Saadat Sayed (links) und Abbas Ebrahimi (rechts) sollen bei einem Kurs etwas über das deutsche Rechtssystem lernen. Der Übersetzer Ali Safie (Mitte) hilft dabei. Foto: factum/Granville

Wie funktionert Deutschland? Warum ist Selbstjustiz hierzulande verboten? Und wer ist eigentlich Winfried Kretschmann? Durch einen neuen Kurs sollen Flüchtlingen den deutschen Rechtsstaat kennenlernen.

Remseck - Eine Schule hat Saadat Sayed in Afghanistan nie besucht. In Deutschland muss der junge Mann hingegen gleich mehrmals die Woche zum Unterricht, er lernt Deutsch – und etwas über die Rechte und die Pflichten in dem Staat, in dem er nun lebt. Am Dienstagmorgen sitzt er mit rund einem Dutzend weiterer Flüchtlinge im Remsecker Haus der Bürger. „Richtig. Ankommen. Rechtsstaatsunterricht für Flüchtlinge“ heißt der Kurs der Schiller-Volkshochschule (VHS) des Kreises, der Sayed und anderen Asylbewerbern so abstrakte Begriffe wie Religionsfreiheit, Demokratie und Gleichberechtigung nahebringen soll. Um den Stoff besser zu vermitteln, gibt es einen Dolmetscher.

Ein Dolmetscher hilft bei der Vermittlung

Die Idee sei gewesen, vor allem etwas über verbindliche Grundwerte zu lehren, sagt Jürgen Schmiedel, der Leiter der Schiller-Volkshochschule. Die Idee dazu kam aus dem Stuttgarter Justizministerium und vom Verein der Richter und Staatsanwälte im Land, die Dozenten für die mehr als 100 Kurse im ganzen Land rekrutieren sich deshalb auch aus den beiden Berufsgruppen. Jeder der Kurse läuft rund drei Stunden, eine wöchentliche Wiederholung gibt es nicht. Vor allem in Sprachkursen und über die Flüchtlingsbetreuer vor Ort habe man die erwachsenen Schüler geworben, sagt Schmiedel. Denn die Teilnahme ist freiwillig. Die Veranstaltung in Remseck ist der erste im Landkreis Ludwigsburg, weitere werden demnächst in Marbach und in Bietigheim-Bissingen stattfinden.

Geleitet wird der Vormittag von Kirsten Schaber, die im Brotberuf einer Zivilkammer des Stuttgarter Landgericht vorsitzt und von Florian Bollacher, Richter am Oberlandesgericht. Sie erzählen aber nicht nur etwas über die deutsche Justiz, sondern geben auch einen Abriss über das politische System in Deutschland. Während bei Angela Merkel noch viele zustimmend nicken, so, als wäre die Kanzlerin jedem im Raum ein Begriff, kennt den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann keiner.

Dass Selbstjustiz verboten ist, freut die Kursteilnehmer

Um die Begriffe deutlich zu machen, nutzen die Dozenten konkrete Beispiele. So zeigt Bollacher den Teilnehmern, dass das Urteil eines Imam über eine Tat unerheblich ist: in Deutschland gelte nämlich die Trennung zwischen Staat und Kirche. Auch besprochen wird, dass kein Mädchen dem Schwimmunterricht in der Schule aus religiösen Gründen fernbleiben soll.

Kirsten Schaber erklärt den Flüchtlingen, dass hierzulande Selbstjustiz verboten ist. Die Gruppe freut sich über diese Nachricht, sie sei schließlich auch deshalb aus Afghanistan geflohen, weil viele das Recht in die eigene Hand nähmen, sagte eine junge Frau. Sie erzählt, dass ein Familienmitglied auf dem Markt ihrer Heimatstadt mit einem Messer ausgeraubt wurde. Der Täter sei aber nie von der Polizei verfolgt worden. Dass in Deutschland die Strafverfolgung keine Rücksicht auf Vermögen, Rang oder Religion nimmt, findet sie deshalb gut.

Viele Kursteilnehmer haben schon eigenen Erfahrungen mit dem deutschen Staat gemacht. So beklagen manche, dass ihnen eine Arbeitserlaubnis fehle, andere, dass ein Sprachkurs abgelehnt worden sei. Marzkhel Haddia hat Bescheid bekommen, dass ihr Asylantrag abgelehnt worden sei. Nun lebten sie und ihre Familie in ständiger Angst vor der drohenden Abschiebung, sagt sie.