Das Zertifikat bescheinigt die erfolgreiche Teilnahme am Deutschkurs. Foto: dpa/Sven Hoppe

Vor 20 Jahren ist in Stuttgart das Bündnis für Integration gegründet worden. Es hat unendlich viele Projekte zur Eingliederung von Zugewanderten ins Leben gerufen. Eine Gewissheit bleibt: Sprache ist der unverzichtbare Schlüssel.

Stuttgart - In Stuttgart leben Menschen aus 185 Nationen, rund 44 Prozent haben einen Migrationshintergrund, bei Jugendlichen hat sogar jeder zweite ausländische Wurzeln. Jedes Jahr wandern rund 20 000 Menschen nach Stuttgart zu: Arbeitsuchende aus dem europäischen Ausland, Schutzbedürftige aus Kriegs- und Notgebieten, Studierende. Ihre Begabungen, ihre Handicaps und ihre Ziele könnten unterschiedlicher nicht sein, die Erwartungen der Gesellschaft und der Wirtschaft nicht minder. Das Bündnis für Integration führt die verschiedenen Enden zusammen und auf den Stuttgarter Weg, ausgerufen vom damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU): Migration ist ein Wachstumsfaktor.

Spracherwerb in allen Lebenslagen

Das setzt die Eingliederung in ein soziales Gefüge, in Arbeit, in Gepflogenheiten, in Bildung voraus. Was aber ist das Wichtigste von Anfang an? „Eine Priorisierung ist wirklich schwer“, sagt Gari Pavkovic, der Leiter der Abteilung Integration bei der Stadt Stuttgart. Dann legt er sich doch fest und sagt: „Alles hängt von guten Deutschkenntnissen ab.“ Die Sprachförderung war von Anfang an Schwerpunkt des Bündnisses für Integration, das im Jahr 2001 gegründet worden ist. Bereits 2002 gehen die städtischen Sprachkurse „Mama lernt Deutsch“ an den Start, in Kitas zieht Sprachschulung ein, Schüler werden von ehrenamtlichen Paten begleitet, 2007 schließen die ersten Kitas und Grundschulen Bildungspartnerschaften.

Verwaltung geht auch kultursensibel

Und doch gibt es Lücken: Unionsbürger werden erst zum Deutschlernen verpflichtet, wenn sie staatliche Transferleistungen beziehen, „für die Gastarbeiter der ersten Generation waren Deutschkenntnisse Jahrzehnte lang Kür, nicht Pflicht“, sagt Gari Pavkovic. Deren Defizite sind heute nicht mehr aufzufangen. Heute müssen zuwandernde Europäer ein B-1-Niveau vorweisen, junge Flüchtlinge erhalten ergänzende Deutschkurse. „Das ist unerlässlich, denn von 1000 Zugewanderten in Ausbildung bringen nur 20 die nötigen Deutschkenntnisse mit“, sagt Pavkovic.

Seit 2004 erhebt das Statistische Amt der Stadt Stuttgart den Migrationshintergrund der Bevölkerung. Insbesondere Ämter, die mit Kinder-, Jugendhilfe und Kinderschutz befasst sind, entwickeln Leitlinien für kultursensibles Handeln. Von 2013 an legt der damalige grüne Oberbürgermeister Fritz Kuhn den Fokus auf Neuzugewanderte und will internationalen Fachkräften und Studierenden das Ankommen erleichtern. Dazu wird 2014 das Welcome Center eingerichtet in gemeinsamer Trägerschaft von Stadt und Wirtschaftsregion Stuttgart. 2016 geht der Ausbildungscampus an den Start, wo das Jobcenter, die Agentur für Arbeit, die Kammern und Betriebe Flüchtlinge beraten und begleiten auf ihrem Weg in den Beruf.

Gut ankommen

Ständig neue Hürden

In der Nacht auf den 21. Juni 2020 versetzt die Stuttgarter Krawallnacht den Integrationsbemühungen einen Dämpfer: Eine Gruppe junger Männer, die Hälfte von ihnen ohne Migrationshintergrund, hat in ihrer Stadt offenbar keine Perspektive entwickelt. Auch fehlen immer noch Kinder im Unterricht, weil sie für die Eltern dolmetschen müssen. „Frauen in Flüchtlingsfamilien haben oftmals nur eine sehr schlechte oder gar keine Schulbildung“, sagt Gari Pavkovic. Ohne WLAN haben Kinder in den Gemeinschaftsunterkünften nicht am Homeschooling teilnehmen können, während sich die Stadt wochenlang hinter juristischen Problemen verschanzt hat. Erst die Sozialunternehmen konnten durch massiven Druck schließlich eine Wende herbeiführen.

Vielleicht hilft in Zukunft der direktere Austausch zwischen den Akteuren: Aktuell plant die Abteilung Integrationspolitik mit der Bürgerstiftung Stuttgart ein Haus des Bürgerengagements. Wo, ist noch offen.