Viele Besucher der Chai-Zeit im Begegnungsraum spielen miteinander Schach. Der Afghane Abdulhadi Rashid (links) scheint dabei unschlagbar zu sein. Foto: Cedric Rehman

Im Begegnungsraum neben der Asylunterkunft an der Breitscheidstraße gibt es jeden Montag eine Teestunde. Geflüchtete und Deutsche lernen sich dabei auf Augenhöhe kennen.

S-Mitte - Abdulhadi Rashid hat auch schon eine Partie gegen den Schachspieler vom Schlossplatz gespielt. Die Frage, ob er oder Rudolf Kautz den Gegner schachmatt gesetzt hat, quittiert er mit einem Lächeln. So schwer sei es gar nicht gewesen, lässt er wissen.

Der Afghane ist schon wieder dabei, den König eines Gegners mit seinen Figuren zu umzingeln. Dieses Mal ist es eine junge Frau, die ihm gegenüber sitzt und zunehmend verzweifelt wirkt. Sie greift immer wieder in die Erdnussschale vor ihr auf dem Tisch. Sie braucht offenbar Nervennahrung. Rashids Freund Neamatullah Barekzahid meint, dass sein Freund immer viele Züge seiner Gegner vorausdenkt. „Er weiß, was der Gegner mit seinen Figuren auf dem Brett macht, bevor er darüber nachdenkt. Niemand hat da eine Chance“, sagt er.

Deutsche und Geflüchtete spielen Schach

Es sind Deutsche und Geflüchtete, die vor dem Begegnungsraum an der Breitscheidstraße mit Abdulhadi Rashid am Tisch sitzen. Er scheint unter den Besuchern der Teestunde jeden Montag in dem Treffpunkt neben der Asylunterkunft und angrenzend an der Universitätsgelände eine Legende zu sein. Gruppen von Besuchern sitzen auch im Innenraum des im vergangenen Jahr aus Holz und Ziegeln von Studenten und Flüchtlingen errichteten Gebäudes zusammen, spielen Karten oder unterhalten sich. Es wird überall auf Deutsch gesprochen.

Der Afghane Barekzahid erinnert sich, dass er die ersten flüssigen Sätze auf der fremden Sprache formuliert hat, als er mit Studenten der benachbarten Uni im vergangenen Jahr den Begegnungsraum gebaut hat. Da sei ihm klar geworden, wie wichtig es ist, Deutsch gut zu beherrschen. „Solange Du in einem fremden Land die Sprache nicht sprichst, bleibst Du alleine und findest keine Freunde“, sagt er. Die habe er 2017 unter den Studenten gefunden, die zusammen mit den Bewohnern der Asylunterkunft den Treffpunkt errichtet haben. Viele, die er damals kennengelernt habe, kämen immer noch zum Teetrinken jeden Montagabend, sagt er. „Und dann kommen auch immer wieder neue Leute.“

Flüchtling findet Freunde

Barekzahid bezeichnet Schwarztee als Chai. Das Wort ist in Afghanistan gebräuchlich genau wie im Irak, Syrien und anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Die Teestunde im Begegnungsraum ist dann auch eine Chai-Zeit.

Chai ist in den Kulturen Vorderasiens aber mehr als eine stark gebrühte und mit sehr viel Zucker gemischte Stimulanz, die ein angeblich Flügel verleihendes Getränk in der Dose alt aussehen lässt. Chai ist vielmehr eine Einladung zum Gespräch und zur Kontemplation. Abwarten und Chai trinken können etwa Syrer, Iraner oder Afghanen so gut wie die Briten bei ihrer täglichen Teatime.

Adelheid Schulz leitet das Projekt im Begegnungsraum seit Beginn dieses Jahres. Sie betont wie wichtig es für die Geflüchteten ist, anderen auf Augenhöhe begegnen und bei einer Tasse Tee mit ihnen plaudern zu können, sagt sie. Möglich seien so Begegnungen, aus denen sich persönliche Beziehungen ergeben. „Natürlich geht es auch dabei nicht selten um Unterstützung etwa beim Deutschlernen“, erklärt sie. Doch der Kontext ist eben einer, in dem sich alle beim Tee gut verstehen und nicht der eine der Bittsteller ist, der andere derjenige, der etwas gewährt oder nicht.

Abdulhadi Rashid muss sich vor dem Begegnungsraum derweil noch etwas gedulden, bevor er seinen nächsten Sieg auf dem Schachbrett feiern kann. Eine Gruppe von Studenten läuft an dem Treffpunkt mit Dudelsäcken und in Schottenröcken vorbei und alle Schachspieler hören mit dem Spielen auf und schauen ihnen zu. „Ist schon ein ziemlicher Kulturmix hier“, sagt die Frau, die gerade gegen Rashid verliert. Bei einer Tasse Chai scheint dieser besonders bekömmlich zu sein.