Günstige und gehobene Preislagen funktionieren: Die Modeanbieter aus der Mitte stehen dagegen unter Druck. Der harte Konkurrenzkampf mündet in Rabattschlachten. Foto: dpa

Der Wettbewerbsdruck, sprunghafte Kunden und eine generelle Polarisierung im Markt belasten viele Händler. Wer dazu noch eigene Fehler macht, etwa zu langsam auf Trends reagiert, digital verschläft oder zu aggressiv expandiert, gerät ins Schlingern.

Stuttgart - Basler, Escada, K&L, René Lezard, Sinn Leffers, Steilmann, Strenesse, Strauss Innovation, Wöhrl, Zero – die Reihe von Textilunternehmen und -ketten lässt sich problemlos erweitern. Sie sind allein in den vergangenen drei Jahren ins Schlingern geraten, mussten Insolvenz anmelden, haben Läden geschlossen oder sind komplett vom Markt verschwunden. Als jüngste Beispiele erklärten die Damenmodekette Gerry Weber und der Modehändler AWG aus Köngen im Landkreis Esslingen Ende Januar ihre Zahlungsunfähigkeit. Was ist los im Modehandel?

Welche Probleme sind hausgemacht? „In einem wettbewerbsintensiven Umfeld wiegen eigene Fehler umso schwerer“, erklärt Roland Alter, Wirtschaftsprofessor an der Hochschule Heilbronn und Experte für Unternehmensführung. In den meisten Fällen sei nicht ein einzelnes Problem, sondern ein ganzes Bündel von Fehlentwicklungen ursächlich für eine Krise. Als Beispiele für Missmanagement nennt Alter neben ungeeigneten Führungskräften eine zu aggressive Expansion im eigenen Filialnetz, falsche Kostenstrukturen in den Unternehmen sowie Produkte und Dienstleistungen, die nicht gut genug auf die Zielgruppe zugeschnitten seien.

Was befeuert die Krise von außen? Textilketten wie Gerry Weber, Esprit, S. Oliver oder Tom Tailor seien die Leidtragenden einer Polarisierung in der Modebranche, sagt Alter. Während die Anbieter in mittleren Preislagen an Bedeutung verlieren würden, profitierten das gehobene Preissegment und die Billigmode. Mit Billigmode meint Alter sowohl die sogenannten Fast-Fashion-Konzepte wie das des irischen Anbieters Primark, den er als „Ryanair der Textilbranche“ bezeichnet, als auch Lebensmitteldiscounter wie Aldi und Lidl, die immer mehr Textilien im Angebot haben. „Die Discounter jagen den klassischen Modehändlern Marktanteile ab.“

Wer sind die Gewinner? Im Moment sind es Textildiscounter wie Primark, TK Maxx oder Kik sowie Onlineanbieter wie Amazon, Zalando oder die Otto-Töchter About You und Bonprix. Die Hamburger Handelsgruppe beweist, dass die Umwandlung vom klassischen Katalogversender zum erstzunehmenden Mitspieler in der digitalen Einkaufswelt gelingen kann. Otto ist die Nummer zwei im deutschen Onlinemarkt nach Amazon. Der US-Versandriese investiert derweil kräftig in die Entwicklung von Wäsche- und Mode-Eigenmarken, die die Ketten noch stärker unter Druck setzen dürften. Auch Zalando versteht es besser als die Konkurrenz, die Kunden durch personalisierte Angebote und mobile Dienstleistungen anzusprechen.

Sinkt die Markentreue der Kunden? „Beispiele, wie der Glanz einer Marke verblassen kann, gibt es viele“, sagt Volker Hämmerle, Leiter Fashion & Luxury Deutschland bei der Boston Consulting Group (BCG). Noch vor wenigen Jahren habe die junge Kundschaft auch hierzulande vor den Läden einer bekannten US-Modekette Schlange gestanden – mittlerweile hat das Unternehmen große Schwierigkeiten. Eine generell nachlassende Markentreue im Bekleidungssektor sieht Hämmerle allerdings nicht. Dafür seien die Sportartikelhersteller wie Adidas, Puma oder Nike der beste Beleg. Der Sportartikelbereich wachse über fast alle Kanäle.

Wie wirkt sich das Kundenverhalten auf die Händler aus?

Anders als bei Lebensmitteln oder Drogeriewaren sind die Menschen nicht gezwungen, sich ständig etwas Neues zu kaufen – Kunden müssen also zu Impulskäufen bewogen werden. „Dabei ist die Modebranche sehr trendgetrieben und die Kunden werden immer sprunghafter“, sagt Karsten Kilian, Marketingprofessor an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Er erklärt das Fast-Fashion-Phänomen so: Wenn auf der Oscar-Verleihung eine prominente Schauspielerin ein bestimmtes Kleid trage, gelinge es den erfolgreichen Modeketten wie Zara, schon zwei Wochen später eine „Kopie“ davon im Laden zu haben.

Wieso verlieren einst etablierte Bekleidungsketten an Zuspruch?

Was passiert, wenn man diese Modetrends verschläft, sei momentan am schwedischen Zara-Konkurrenten H&M zu beobachten. Die Erfolge aus der Vergangenheit zählten im Kundenbewusstsein nichts mehr. „Heute ist Primark für die Zwölf- bis Siebzehnjährigen einfach cooler. Bei H&M hat schon die Mutti eingekauft, davon will sich der Nachwuchs natürlich abgrenzen“, sagt Karsten Kilian. Und die Elterngeneration habe heute zum einen die Kleiderschränke voll und zum anderen meist auch genügend Geld zur Verfügung, um sich auch in gehobenen Preisklassen nach Textilien umzuschauen.

Wird es weitere Pleiten geben? BCG-Partner Hämmerle schließt weitere Insolvenzen deutscher Modemarken im mittleren Preissegment nicht aus. Viele Wettbewerber werden von hohem Kosten für ihre zu großen Filialnetze erdrückt. H&M hat in den vergangen zehn Jahren mehr als 100 neue Läden in Deutschland eröffnet. 2018 betrieben die Schweden hierzulande rund 470 Filialen. Konkurrenten wie Esprit oder Tom Tailor, das vor einer Übernahme durch den chinesischen Mischkonzern Fosun steht, drehen das Expansionsrad längst zurück und dünnen ihre Filialnetze aus. Das „extreme Ausmaß“ der Verschiebung von Marktanteilen hin zum Onlinevertrieb sei spürbar, so Hämmerle. 2017 lag der Umsatz mit Bekleidung und Textilien in Deutschland dem Handelsverband zufolge bei rund 66 Milliarden Euro, davon entfielen 14 Milliarden Euro (21 Prozent) auf den Versand- und Online-Handel.

Wohin führt der Online-Boom? Hämmerle ist überzeugt, dass das klassische Modegeschäft in den Innenstädten nie ganz verschwinden wird. Aber es werde weitere Verschiebungen in Richtung Online geben. Darauf deuteten schon die sinkenden Passanten-Frequenzen in den Innenstädten hin. An welcher Stelle das Wachstum des Onlinehandels stagnieren wird – ob bei 30, 50 oder 70 Prozent Marktanteil – traut er sich aber, wie viele seriöse Beobachter, nicht vorherzusagen. Der Kuchen wird für Anbieter aber generell nicht größer. Grund: Bekleidung konkurriert in der Gunst der Kundschaft heute – anders als noch vor zehn Jahren – mit dem Smartphone, dem Fitnessarmband und dem Streamingdienst.