Die Schwabenbräu-Passage in Bad Cannstatt: Hat das Gebäude Potenzial für ein innovatives Bürgerzentrum? Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Vom Institut für Städtebau an der Universität Stuttgart gibt es von der Königstraße bis Bad Cannstatt Konzepte für innovative Bürgertreffs. Doch die Idee versandet.

Wenn die Läden sterben, wie können Innenstädte lebendig bleiben? Helfen vielleicht Bürgerhäuser ganz neuer Art jenseits des Kommerzes? „Es braucht Gebäude, die offen für alle sind“, sagt Martina Baum, Professorin am Institut für Städtebau an der Universität Stuttgart. Heute gelte nämlich das Prinzip: ein Gebäude, eine Funktion, eine Zielgruppe. „Täglich“ heißt deshalb die Vision für innovative Bürgerhäuser, die am Institut entwickelt worden ist. Vor Kurzem gab es dazu eine Ausstellung und eine mehrwöchige Veranstaltungsreihe in Stuttgart im Stadtpalais. Doch während es anderswo in Deutschland erste Ansätze gibt, tut sich die Idee in der Landeshauptstadt schwer.

Vorbilder in Skandinavien – und München

Insbesondere in Skandinavien, aber auch in Brasilien gibt es für solche offenen Bürgerhäuser schon Vorbilder: Sie stehen für alles abseits des Kommerzes offen – vom Vereins- oder Bildungstreff über einen ruhigen Raum zum Lernen oder eine Art Jugendhaus, eine Werkstatt zum Basteln, eine Begegnungsstätte zum Kommunizieren und Spielen, eine Bühne zum Musikmachen bis zu einer Infrastruktur für nicht abgedeckte Bedürfnisse wie einen Waschsalon oder vieles mehr. Radikal ist die Idee wegen der Vorstellung, dass spontane Nutzungen für alle Zielgruppen möglich sind.

Diese Bürgerhäuser sollen einen ganzen Stadtteil zusammenbringen. In Deutschland ist das inzwischen in München als Zwischennutzung auf dem ehemaligen Gelände einer Versicherung gelungen. Im Shaere im Stadtteil Neuperlach haben Bildung, Nachhaltigkeit, Soziales, Innovation, Kunst und Kultur gleichzeitig Platz. Studierende in Stuttgart haben schon seit einiger Gebäude ins Visier genommen, die sich theoretisch für eine solche Umnutzung eignen könnten. Das Marstallareal gleich zu Beginn der Königstraße gegenüber dem Bahnhof gehört etwa dazu, das Galeria-Kaufhof-Kaufhaus, Königstraße 6, oder die ehemalige Sportarena, Königstraße 23. Dazu kam in Bad Cannstatt beispielsweise die Schwabenbräu-Galerie.

Eine Chance für die Königstraße?

Gerade ehemalige Kaufhäuser hätten für eine Umnutzung gute Voraussetzungen, sagt die Professorin Martina Baum: Transparenz und ein einladender Charakter im Eingangsbereich, große offene Geschosse. „Es geht nicht um die alte Nutzung neuer Gebäude, sondern die neue Nutzung von alten Gebäuden“, sagt die Studentin Viviana Merz. Doch in der Stuttgarter Stadtmitte, wo die Investoren das Sagen haben, erscheinen solche Konzepte als Utopie.

Potenzial in Bad Cannstatt

Gibt es zumindest in Bad Cannstatt eine Chance, diesen Weg zu gehen? Das Institut für Städtebau hat die lange leer stehende Schwabenbräu-Passage in den Blick genommen. Das Areal ist im Besitz der Stadt, und hier hat aktuell eine Zwischennutzung begonnen, welche die Keimzelle für ein solches ganz neues Gebäudekonzept werden könnte: von der Volkshochschule über das Kulturkollektiv Prisma, mehrere Ateliergemeinschaften oder die Initiative Commons Kitchen, die abgelaufene Lebensmittel für Kochaktionen verwertet, bis zur Fahrradservicestation der Caritas.

Die Studierenden der Uni ermittelten in Bad Cannstatt die Wünsche der Bürger. Dazu gehörte eine Multifunktionssporthalle. Und ein Raum mit einem Klavier, wo jeder spielen darf. Andere wünschten sich einen öffentlichen Hobbyraum zum Basteln und Werkeln. Auch ein Programmkino hätte Fans.

Der grüne Stadtrat Björn Peterhoff sieht jedenfalls Potenzial: „Das ist insgesamt ein sehr tolles Projekt für drei bis vier Jahre Zwischennutzung“, sagt er. „Ich bin absolut überzeugt davon, dass das in etwas Dauerhaftem aufgehen kann.“ Man habe doch an anderer Stelle gesehen, wie sich die Dinge etwa in den Stuttgarter Wagenhallen entwickeln könnten.

Der Reiz dieser Idee sei es, einmal ganz anders auf die Stadtentwicklung zu schauen, sagt Hannes Rockenbauch, der Vorsitzende der Plus-Fraktion im Stuttgarter Gemeinderat: „Wir haben in der Stadt das Häuserbauen für bestimmte Probleme perfektioniert.“ Aber man müsse nicht in Zielgruppen, sondern in den Bedürfnissen eines Quartiers denken lernen: „Irgendwann muss man den Mut haben, mit so etwas auch ins Herz der Stadt zu gehen. Und zwar mehr als mit Zwischennutzungen“, so Rockenbauch.

Für die Stadt erst einmal abgehakt

Doch die Stadt verfolgt dieses Konzept nicht weiter. Hier sieht man eher Möglichkeiten in Bad Cannstatt im Neckarpark, wo etwa die Kulturinsel im Alten Zollamt weiterentwickelt werden könnte, sagt deren Sprecher Oliver Hillinger. Auch für den künftigen Stadtteil Rosenstein diskutiere man über solche Begegnungsorte. Generell greife man die Idee von gemischten, nicht kommerziellen Nutzungen im Rahmen von Stadtteilzentren immer wieder auf. Doch konkret ist das nicht – und das „Täglich“-Konzept ginge darüber hinaus.

Die Schwabenbräu-Galerien sind in dieser Hinsicht aus Sicht der Stadt abgehakt und schafften es auch nicht in die Projektliste der Internationalen Bauausstellung IBA 27. Zurzeit, so heißt es, sei man mit deren Vorhaben sowieso gut ausgelastet. „Das bedeutet, dass Stuttgart derzeit ohnehin bereits ein Experimentallabor im Bereich Planung und Bauen ist“, sagt der Stadtsprecher Hillinger.