Durch einen Dunstschleier scheint in Frankfurt am Main die aufgehende Sonne einen Schornstein an, der seinen Dampf in die Atmosphäre entlässt. Unter der Kohlendioxid-Konzentration in der Erdatmosphäre werden nach Einschätzung von UN-Experten noch viele Generationen zu leiden haben. Foto: dpa

Kohlendioxid treibt den Klimawandel voran. Das Schweizer Start-up Climeworks versucht auf eine ungewöhnliche Art, dem Gas Herr zu werden: Es baut Filtersysteme, die es aus der Luft saugen sollen.

Hinwil - Das kleine Schweizer Städtchen Hinwil ist ein Mekka für Technikfans. Der Formel-1-Rennstall von Sauber konstruiert dort seine Rennwagen. Aber auch Umweltschützer aus der ganzen Welt besuchen den 12 000-Seelen-Ort in der Nähe Zürichs. Denn dort läuft seit zehn Monaten eine Anlage, die bald tausendfach auf der Welt gebaut werden könnte. Sie arbeitet gegen den Klimawandel und filtert das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) aus der Luft. Das Schweizer Start-up Climeworks saugt dort mit 18 großen Kollektoren Luft an und treibt sie durch ein raffiniertes Filtersystem. 900 Tonnen Kohlendioxid sollen jedes Jahr auf der Oberfläche der Filter haften bleiben. Nicht viel, aber immerhin ein Einstieg. Doch Climeworks müsste 750 000 Anlagen bauen, um auch nur ein Prozent der jährlichen CO2-Emissionen der Menschheit abzufangen. Die Schweizer sind verrückt genug, das als eines ihrer Ziele zu benennen.

Die Entfernung von Kohlendioxid aus der Luft bildet eine der großen, noch ungelösten Aufgaben im Kampf gegen den Klimawandel. Ohne solche Techniken kann das große Ziel der Klima-Konferenz in Paris kaum erreicht werden. Um die Erwärmung der Erdatmosphäre auf zwei Grad zu begrenzen, reichen der Umstieg auf Elektroautos oder der Ausbau alternativer Energien längst nicht mehr aus. Die Weltklimakommission (IPCC) hat mögliche Wege bis zum Zwei-Grad-Ziel berechnet. In fast allen Modellen spielen sogenannte negative Emissionen eine große Rolle, also Techniken, die die Kohlendioxid-Menge in der Atmosphäre aktiv verringern.

Grüne Lösungen sind nicht wahrscheinlich

Denkbar wäre ein globales Programm zur großflächigen Aufforstung, denn Pflanzen nehmen während des Wachstums CO2 auf. Schnellwachsende Gewächse wie Pappeln oder das mächtige Elefantengras sind sehr effektive CO2-Sammler. Doch sehr wahrscheinlich ist eine solche grüne Lösung nicht. Stattdessen werden wohl Ingenieure mit neuen Ideen den Weg zu negativen Emissionen ebnen müssen. Aber die Fortschritte lassen zu wünschen übrig.

„Diese Technologien bleiben bisher weit hinter den eingerechneten Potenzialen zurück“, warnte der wissenschaftliche Beirat der Europäischen Akademien Anfang Februar. Der Dachverband der europäischen Wissenschaftler befürchtet, dass das Zwei-Grad-Ziel verfehlt wird, weil die Technologie für Negativ-Emissionen zu spät marktreif wird. Der Bedarf wächst von Tag zu Tag. Je länger die Staaten der Welt für eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen benötigen, desto größer wird die CO2-Hypothek, die es aufzuarbeiten gilt.

CO2-Filter waren lange Zeit Nischenprodukte. Ursprünglich wurden sie für Astronauten entwickelt. Sie sollten die Luft in der internationalen Raumstation ISS vom Kohlendioxid befreien, das die Raumfahrer ständig ausatmen. Ein Spin-off der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) lieferte das erste Beispiel für die sogenannte „Direct air capture“-Technologie (DAC). Es leitete Luft durch ein Filtersystem aus modifizierter Cellulose. Die Cellulose ist beschichtet mit Aminen, die Kohlendioxid chemisch reversibel an der Oberfläche binden. Wenn die Filter voll sind, werden sie erhitzt und geben bei Temperaturen über 70 Grad das CO2 wieder frei und das Treibhausgas wird gesammelt. Auch Climeworks arbeitet nach diesem Prinzip, aber die Technik besitzt eine Schwäche. Sie benötigt viel Energie, um das gebundene CO2 wieder freizugeben. Die DAC-Entwickler verwenden dafür meistens die Abwärme von Kraftwerken und Industrieanlagen.

Dennoch bleibt die Frage, wie das Treibhausgas sinnvoll entsorgt werden kann, nachdem es gesammelt wurde. Im US-amerikanischen Städtchen Decatur, Georgia, pressen Ingenieure das Kohlendioxid in porösen Sandstein.

Treibhausgas als Rohstoff?

Climeworks sammelt auch auf Island Treibhausgase, die in Wasser gelöst und 700 Meter tief in den Untergrund geleitet werden. Im Basaltgestein bilden sich dadurch Karbonate, in denen das Kohlendioxid dauerhaft gebunden wird. „Vergleichbare Gesteine gibt es in vielen Regionen der Welt, etwa in den USA und Indien“, sagt Martin Jendrischik von Climeworks. Das Besondere: In Island stammt die thermische Energie für das Verfahren von einem CO2-neutralen Geothermiekraftwerk. Doch global gesehen müssen andere Konzepte her. Schließlich geht es um gigantische Mengen. Will man etwa die CO2-Emissionen des Straßenverkehrs in Deutschland zurückgewinnen, müsste man jährlich etwa 160 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus der Luft filtern und endlagern.

Der Gedanke liegt nahe, das Treibhausgas als Rohstoff zu verwenden. Kohlendioxid soll in Basischemikalien für die Industrie oder in Treibstoff für Verbrennungsmotoren umgewandelt werden. Auch in diesem Bereich produzieren bereits die ersten Anlagen für den Klimaschutz. Der Chemieriese Covestro hat in Leverkusen ein Verfahren entwickelt, das Kohlendioxid in ein Polymer einbaut, aus dem Schaumstoff für Matratzen erzeugt werden kann.

Kohlendioxid-Kunststoff als Massenprodukt?

In Dresden speist das Start-up Sunfire das Treibhausgas in eine Elektrolyse ein, die schließlich synthetischen Treibstoff produziert, der für Dieselmotoren geeignet ist. Einige Gäste des Unternehmens dürfen den Sprit bereits aus der firmeneigenen Tanksäule zapfen. Eine Pilotanlage in Norwegen soll mit der Sunfire-Technologie jährlich 6000 Tonnen eines Gemischs herstellen, das den Produkten einer Erdöl-Raffinerie ähnelt. 60 Prozent davon sind synthetischer Treibstoff, der Rest eignet sich als Rohstoff für die Industrie. Der Strom für die Elektrolyse müsste jedoch aus erneuerbaren Energien kommen, sonst gerät die CO2-Bilanz schnell in eine Schieflage.

Der neuartige Sprit oder ein Kunststoff aus Kohlendioxid könnten als Massenprodukte zum Königsweg für das Zwei-Grad-Ziel werden. Er würde nicht nur das Klima schonen, sondern gleichzeitig die Abhängigkeit vom Erdöl verringern. Doch bisher sind die Anlagen noch verhältnismäßig klein und keines der Verfahren rechnet sich. Die meisten Start-ups in diesem neuen Forschungsfeld rechnen damit, dass ihre Verfahren in absehbarer Zeit wirtschaftlich werden und wünschen sich eine bessere Unterstützung aus der Politik.

Wie Negativ-Emissionen erreicht werden sollen

Biomasse: Pflanzen nehmen während des Wachstums CO2 auf. Sie werden geerntet, ihre Verbrennung liefert Strom, das Kohlendioxid wird aus den Abgasen gefiltert und dann ins Gestein gepumpt. Dieses Verfahren tritt in Konkurrenz zur Landwirtschaft, denn wo Energiepflanzen wachsen, können keine Nahrungsmittel angebaut werden.

Ozeane: Die Lebewesen im Wasser können CO2 aufnehmen. Doch nicht überall sind die Bedingungen gut genug dafür. Deshalb gibt es die Idee, dass die Ozeane gedüngt werden, um das Wachstum bestimmter Organismen anzuregen, die dann CO2 aufnehmen.

Aufforstung: Neu angepflanzte Wälder könnten globale CO2-Speicherwerden. Der Nachteil: Vielerorts treten die neuen Anbauflächen mit Mensch und Landwirtschaft in Konkurrenz um das Wasser, das für die Bewässerung der Flächen benötigt wird.