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Der Außenminister ist weg, aber nach Südamerika wird er innenpolitisch wohl weiter holzen.  

Buenos-Aires - Chefdiplomat oder innenpolitischer Abräumer vom Dienst? FDP-Chef Guido Westerwelle steckt bis zum Hals in einem politischen Rollenkonflikt, den er sich selbst aufgehalst hat. Das Publikum rätselt: Was will er denn nun eigentlich sein?

Man muss den Mann auch verstehen. Er war lange in der Opposition. Zu lange vielleicht. In dieser Zeit hat er sich und seiner Partei ehrgeizige, man könnte auch sagen: radikale Ziele gesteckt. Opposition ist bekanntlich Mist, da will man wenigstens ab und an gehört werden.

Inzwischen stehen die ehrgeizigen Ziele im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Das freut den Mann. Einerseits. Andererseits wollen die Schwarzen plötzlich nichts mehr von radikalen Reformen im Steuer- und Gesundheitssystem wissen. Von wegen Finanzierungsvorbehalt. Deshalb haben der Mann und seine Gelben jetzt ein echtes Problem. Wähler laufen ihnen enttäuscht davon. Und das ausgerechnet vor der wichtigen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai.

Das ist, in aller Kürze, die Ausgangsposition, als Guido Westerwelle vor ein paar Wochen seine Sozialstaatsdebatte anzettelt. Das Thema Hartz IV liegt in der Luft, man erwartet einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts. Westerwelle, nach dem Abgang Oskar Lafontaines der letzte Populist im Land, den man noch ernst nehmen muss, lässt es dankend krachen.

Das Kalkül geht auf. Natürlich. Westerwelle ist ein begnadeter Provokateur. Tabus zu brechen, die längst keine Tabus mehr sind, ist seine Spezialität. Erwartungsgemäß heulen Sozialstaatsromantiker aller Klassen auf, und wenigstens Westerwelles liberale Stammkundschaft steht wieder in Treue fest zu ihrem Vorsitzenden, was die Umfragewerte der FDP stabilisiert. Vorläufig jedenfalls.

Was will Westerwelle eigentlich sein?

Der schweigende Rest allerdings fragt sich: Was will Westerwelle eigentlich sein? Oppositionsführer in einer Regierung, dessen Vizekanzler er ist? Außenminister oder innenpolitischer Abräumer vom Dienst bei der FDP? Mit anderen Worten: Ist Westerwelle ein Fall für die Psychologie? Auch wenn man dem Spitzenliberalen nicht gleich eine Persönlichkeitsspaltung attestieren möchte - Westerwelle steckt bis zum Hals in einem politischen Rollenkonflikt, den er selbst verschuldet hat und der zumindest seiner Reputation schadet, wie seine sinkenden persönlichen Umfragewerte zeigen.

"Ein Außenminister kann natürlich Parteivorsitzender sein und muss als solcher auch innenpolitisch angreifen", analysiert der Politikwissenschaftler Jürgen Falter. Westerwelles Vorgänger Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Klaus Kinkel hätten dies bisweilen auch getan. "Aber er muss sich schon die Frage gefallen lassen, wie stark er als Deutschlands Chefdiplomat und Vizekanzler polarisieren darf", sagt Falter unserer Zeitung. Und: "Westerwelle mutet sich eine Gratwanderung zu, die ihm nicht gelingen will."

Als Zumutung empfindet Kanzlerin Angela Merkel die Verbalattacken ihres Stellvertreters. Sie mache sich Westerwelles Wortwahl in Sachen Hartz IV "nicht zu eigen", lässt sie eine stellvertretende (!) Regierungssprecherin erklären. Das ist die Höchststrafe. Später legt Merkel persönlich nach: "Das sind nicht meine Worte, und das ist nicht mein Duktus." Weitere bissige Stimmen aus dem Unionslager belegen, wie sehr Westerwelles Kampagne die Zusammenarbeit in der Regierung belastet. Als würden die christsozialen Angriffe aus München, die den Koalitionsfrieden immer wieder empfindlich stören, nicht schon reichen.

Auch in der eigenen Partei rumort es. Aber es wagt sich niemand so richtig aus der Deckung. Wenn NRW-Landeschef Andreas Pinkwart vorschlägt, die Verantwortung an der Parteispitze müsse auf mehrere Schultern verteilt werden - geschenkt. Der Mann steht im Wahlkampf und kämpft darum, in Düsseldorf weiter mit der CDU regieren zu dürfen. Nein, Westerwelle scheint seinen Laden fest im Griff zu haben.

Westerwelle in Deutschland und der Welt präsent

Wer sich öffentlich zu Wort meldet, äußert sich positiv über den Vorsitzenden. So auch Silvana Koch-Mehrin, FDP-Chefin im Europäischen Parlament, dessen Vizepräsidentin sie zugleich ist. Westerwelle im Rollenkonflikt? "Das kann ich nicht nachvollziehen. Es ist doch so: Erst wird ihm vorgeworfen, als Außenminister hätte er sich aus der Innenpolitik abgemeldet. Dann schiebt er eine wichtige innenpolitische Debatte an, und es ist auch wieder nicht recht", erklärt sie. Westerwelle sei "in Deutschland und in der Welt präsent. Das ist gut für Deutschland, und das ist gut für die FDP."

Im Clinch mit der Union um zentrale Reformvorhaben in Sachen Steuern und Gesundheit legt die Liberale ganz im Sinne ihres Parteichefs nach. "Wir erleben gerade den Unterschied zwischen der sprachlosen Zwangsehe von Union und SPD und der Wunschehe zwischen Union und FDP. Was früher zwischen Union und SPD in Hinterzimmern ausgekungelt wurde, wird heute leidenschaftlich und öffentlich diskutiert", sagt Westerwelles Powerfrau in Brüssel. Es laufe nichts schief in der Koalition, "sondern das ist Demokratie pur", erklärt Koch-Mehrin unserer Zeitung.

Das kann man so sehen. Aber es stellt sich die Frage, wie weit man mit Demokratie pur kommt. Gab es je eine Koalition im Bund, die nach wenigen Monaten schon derart zerrüttet war? Der Politikwissenschaftler Ulrich Sarcinelli macht dafür vor allem die Westerwelle-FDP verantwortlich. "Die Partei hat in den letzten Jahren eine eindimensionale Kampagnenpolitik betrieben, fokussiert auf ganz wenige Themen. Das rächt sich jetzt, da man aus der Opposition raus ist. Die Umstellung ist der FDP und insbesondere ihrem Vorsitzenden bisher nicht gelungen", bemängelt er.

Dabei scheint Westerwelle zunächst auf gutem Weg zu sein. In seinen ersten Wochen im Amt zeigt er sich staatsmännisch, macht keine gravierenden Fehler auf dem schlüpfrigen außenpolitischen Parkett, wo schon ein falsches Wort internationale Irritationen auslösen kann. Endlich ist er angekommen in seinem Wunschressort, endlich hat er den Job als Chefdiplomat, auf den er so lange hingearbeitet hat.

Dann rauschen die Umfragewerte für die Liberalen, die vor der Bundestagswahl um 15 Prozent gelegen hatten, in den Keller. Und in der Partei ist weit und breit niemand, der gegen die Reformverderber von CDU und CSU hätte holzen und ihnen obendrein ein eigenes, polarisierendes Debattenthema vor den Bug knallen können. Ausgenommen natürlich Westerwelle selbst.

Da ist er, der ewige Guido

Der Chef muss also ran. Und da ist er dann wieder, der ewige Guido. "Westerwelle hat etwas Überdrehtes, Lautes und Schrilles. Möllemann lässt grüßen. Er wirkt immer leicht unecht", urteilt Sarcinelli. "Man fragt sich stets: Ist das jetzt ernst gemeint oder wieder nur schrille Kampagne?"

Am Beispiel des FDP-Chefs lasse sich zeigen, wie schwer es in der Politik ist, ein Image loszuwerden, das sich einmal verfestigt hat, sagt der Experte für politische Kommunikation. Und: "Der Versuch, den Chefdiplomaten zu spielen, war nur ein kurzes Intermezzo. Genscher brachte den Diplomatenstil und die unangefochtene Autorität des Parteivorsitzenden zusammen." Davon sei Westerwelle noch weit entfernt.

Der Politikwissenschaftler Jürgen Falter sieht den Außenminister noch in der Lernphase. "Er wird in das Amt hineinwachsen, da habe ich keine Zweifel, aber natürlich hat Westerwelle seine Eingewöhnungszeit innenpolitisch um ein paar Wochen verlängert." Derzeit ordne Westerwelle eben alles der NRW-Wahl unter.

Seit Samstag befindet sich der FDP-Chef auf seiner bisher längsten Auslandsreise. Begleitet wird er in Südamerika von seinem Partner Michael Mronz und einer Wirtschaftsdelegation. Unverhofft holt die Innenpolitik die deutsche Reisegruppe ein. In Buenos Aires sieht sich der Außenminister genötigt, Vorwürfe zurückzuweisen, die Manager seien dabei, weil sie an die FDP gespendet hätten. Er ist sichtlich genervt. Und sein Ministerium muss erklären, Eventunternehmer Mronz sei privat an der Seite des Außenministers und nutze die Reise nicht zur Geschäftsanbahnung.

Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien - eine ganze Woche wird der Außenminister unterwegs sein. In Berlin soll es ein paar Leute geben, die ganz froh darüber sind. Aber natürlich wissen sie: Der Mann kommt zurück. Und er wird dann immer noch der Alte sein. Der ewige Guido eben.