Der Bäckermeister Thomas Schmidt (rechts) und sein Mitarbeiter Michael Foto: Stefan Jehle

Thomas Schmidts Gläserne Bäckerei ist als Inklusionsbetrieb ein Vorzeigeprojekt: Unter den zwölf Angestellten sind sechs behinderte Mitarbeiter - sie machen exakt die Hälfte der Belegschaft aus.

Karlsruhe - Dem 22-jährigen Michael macht die Arbeit sichtlich Spaß. Mit einem großen Blech holt er fünf Stangen frisch gebräunten Walnuss-Baguettes aus dem Ofen. „Mir gefällt es hier, ich bin sehr zufrieden“, sagt er lächelnd. Er hilft bei Spülarbeiten und in der Produktion. Vor allem nachmittags ist er in der Backstube der Bäckerei Schmidt in Karlsruhes Innenstadt anzutreffen. Zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt die Bäckerei – und sie gilt landesweit als Vorzeigeprojekt eines Inklusionsbetriebs, denn sechs davon sind Menschen mit Behinderungen.

Nur ein paar Schritte nebenan arbeitet Boris. Er bereitet den Brezelteig für den nächsten Tag vor. Die Mischung will genau abgewogen sein. Nach dem Kneten kommt die Teigmasse in den Kühlraum, bei vier Grad Celsius. Am nächsten Morgen wird von 6 Uhr an gebacken wird. Boris, 25, ist seit mehr als zwei Jahren dabei. Schon kurz nach der Eröffnung der Bäckerei Schmidt stieß er zu dem Team. Als einer von der behinderten Mitarbeitern, die genau die Hälfte der Belegschaft ausmachen. „Was er macht, das macht er gut“, sagt sein Chef, der 54 Jahre alte Bäckermeister Thomas Schmidt, über ihn Eigentlich hatte Boris den Traum, Stapelfahrer in einem Großlager zu werden. Jetzt ist er Bäckereigehilfe, schultert eine 35-Stunden-Woche. Ob er das bis zur Rente machen wolle? Boris grinst. So wie bei der Frage, ob sein Chef „ein guter Chef“ sei. Die Arbeitsatmosphäre ist angenehm.

Am Anfang sehr gefordert

Die Idee zur Beschäftigung von Behinderten kam ein halbes Jahr vor Eröffnung der Backstube im Spätherbst 2016, sagt Thomas Schmidt. Er und seine Frau Tina, die den Betrieb mit ihm zusammen führt, betraten damit Neuland. Er sei „am Anfang sehr gefordert gewesen“, räumt er ein: bei fünf „Ungelernten“, mit denen jeder Schritt geübt werden musste. In der Regel gelte für diese Menschen mit Handicap, wie Schmidt sie nennt, eine 31-Stunden-Woche. Seine eigenen Arbeitstage, so sagt der Bäckermeister, hätten in der Startphase häufig zwölf bis 15 Stunden gedauert.

Im vergangenen Dezember kam der 22-jährige Michael als sechster Inklusionsmitarbeiter dazu. Wenn jemand meine, einen Inklusionsbetrieb „aus wirtschaftlichen Gründen machen zu müssen, soll er es besser bleiben lassen“, sagt Schmidt. Vom Integrationsamt, das bei der Vermittlung assistiert, bekommen Betriebe für die Beschäftigung Behinderter zwar Fördergeld. Das „dürfe aber nicht den Ausschlag geben“, sagt er. Der Bäckermeister machte stattdessen ganz neue Erfahrungen. „Sie bekommen sehr viel zurück von den Mitarbeitern“, auch viel menschliche Wärme. Einer seiner jungen Angestellten, ein Mann mit Down-Syndrom, sei „der lustigste Kerl im ganzen Team“.

Das Födergeld hat für den Bäcker nicht den Ausschlag gegeben

Mit seinem Betrieb verfolgte Schmidt noch zwei weitere Ziele, ohne die der Erfolg – und damit auch die dauerhafte Beschäftigung der Behinderten – vermutlich nicht möglich wäre. Das eineist eine gläserne Bäckerei. Durch große Fenster kann jeder Passant, jeder Kunde den Bäckern zusehen, wenn der Teig geknetet, das Brot gebacken, die Backstube gereinigt wird. Für Schmidt steht zum anderen die Qualität des Produkts steht an erster Stelle. Für Blätterteigwaren wie Pasteten und Apfeltaschen bezieht er die Butter aus dem benachbarten Elsass, das Getreide kommt ausschließlich von zertifizierten Bauern der Marke Kraichgau-Korn, einer Marktgemeinschaft in Zaberfeld-Michelbach (Kreis Heilbronn). Deren Vollwertmehl wächst und gedeiht ohne Spritz- und Düngemitteln.

Bernhard Pflaum ist immer wieder Gast in Schmidts Backstube. Der Referatsleiter im Karlsruher Integrationsamt nennt Schmidts Bäckerei „ein einzigartiges Unternehmen im Backhandwerk“. Auch Pflaum ist aber klar, dass wohl kaum ein Kunde seine Brötchen nur wegen der Beschäftigung von Behinderten dort einkauft. Auch die Produkte müssen überzeugen. Und das tun sie offenbar, obwohl diese Qualität ihren Preis hat.

Inklusionsbetrieb

Mitarbeiter
Ein Unternehmen kann als Inklusionsbetrieb anerkannt werden, wenn mindestens 30 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „besonders betroffene Schwerbehinderte“ sind, solche Menschen insbesondere, die am (ersten) Arbeitsmarkt allgemeine Probleme haben einen Job zu finden. Bekannte Beispiele sind die Cap-Märkte.

Behörde
Zuständig für Inklusionsbetriebe ist das Integrationsamt des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) mit Standorten in Karlsruhe und Stuttgart. Es zahlt einen festgelegten „Nachteilsausgleich“ an die Betriebe. Betriebsabläufe und Arbeitsplatzsituation von Inklusionsbetrieben werden auch nach Anerkennung regelmäßig geprüft. Neben den Geschäftsabschlüssen sei „die soziale Wertschöpfung“ ein Kriterium, so das Karlsruher Integrationsamt.


https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.inklusion-in-stuttgart-spaetes-geschenk-fuer-17-jaehrigen.a957ebce-38c0-425b-9498-9c8068da6559.html " title=" " class="system-pagebreak">