Behinderte Kinder sollen an Regelschulen lernen, finden betroffene Eltern. Foto: dpa

Eltern behinderter Kinder wollen nicht länger warten. Die Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen hat jetzt einen Entwurf für ein inklusives Schulgesetz vorgelegt.

Stuttgart - Baden-Württemberg hat ein breitgefächertes Bildungsangebot für Kinder mit Handicaps. Insgesamt gibt es neun Sonderschultypen: für Blinde und für Sehbehinderte, für Hörgeschädigte und Sprachbehinderte, für Körperbehinderte, für geistig Behinderte und für Kranke in längerer Krankenhausbehandlung. Dazukommen noch die Schulen für Erziehungshilfe und die Förderschulen – diese beiden Typen werden von mehr als der Hälfte der rund 53.000 Sonderschüler besucht.

Vom Schuljahr 2013/2014 an sollten die Sonderschulen keine Schüler mehr aufnehmen, forderte Kirsten Ehrhardt, Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben – Gemeinsam lernen am Montag in Stuttgart. Seit Jahrzehnten setzt sich die Initiative dafür ein, dass Kinder mit Einschränkungen zusammen mit ihren Altersgenossen an den regulären allgemeinbildenden Schulen unterrichtet werden. Seitdem Deutschland 2009 die UN-Konvention über die Rechte der Menschen mit Behinderung unterzeichnet hat, haben sich die Aussichten darauf verbessert – zumal Grüne und SPD diese Forderung seit langem unterstützen und im Koalitionsvertrag verankert haben.

Allerdings lasse sich die Landesregierung und insbesondere die Kultusministerin zu viel Zeit, um die Vorgaben umzusetzen, kritisierte Ehrhardt. Deshalb hat die Arbeitsgemeinschaft einen eigenen Gesetzentwurf erstellt, der am Montag auch der Ministerin übergeben wurde. „Die Umsetzung ist keine Kür, sondern eine Pflichtaufgabe des Landes“, so Ehrhardt. Sogar an einigen der neuen Gemeinschaftsschulen, bei denen Inklusion zum Programm gehöre, sei es Eltern schwer gemacht worden, ihre behinderten Kinder anzumelden.

Behinderte Kinder sollen wohnortnahe Schule besuchen

In ihrem Gesetzentwurf fordern die Eltern, dass ihre Kinder eine wohnortnahe Regelschule besuchen können und dort die nötige sonderpädagogische Förderung erhalten. Nach und nach sollten die Sonder- schullehrer an reguläre Schulen versetzt werden. Ein Wahlrecht für Eltern zwischen Regel- und Sonderschule lehnt die Initiative ab. Sonderschulen widersprächen dem Völkerrecht, zudem seien parallele Systeme nicht finanzierbar, sagte der Jurist Markus Funke, Mitautor des Entwurfs.

Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer zeigte Verständnis für die Anliegen der Initiative. „Die Ungeduld ist angesichts der fehlenden Umsetzung der UN-Richtlinie zur Inklusion durch die alte Landesregierung verständlich, aber die angestrebte Schulgesetzänderung benötigt gerade in diesem Bereich ein sorgfältiges und vor allem ein mit allen Beteiligten sehr gut abgesprochenes Vorgehen“, sagte die SPD-Politikerin. Nach wie vor sei beabsichtigt, das Schulgesetz im Schuljahr 2013/14 zu ändern und die Inklusion schrittweise umzusetzen. Zuvor müsse mit den Kommunen die Finanzierung geklärt werden. Diese hatten kürzlich die Landesregierung aufgefordert, die Einführung zu verschieben.

Davor hat der Behindertenbeauftragte des Landes gewarnt. Viele Eltern mit behinderten Kindern hingen buchstäblich in der Luft, sagte Gerd Weimer. „Inklusion darf kein Lippenbekenntnis bleiben.“