Oliver Riek alias Gastronomicus: Auf Facebook will er unterhalten, aber auch auf Missstände aufmerksam machen. Foto: privat/Oliver Riek

Oliver Riek arbeitet seit 17 Jahren in der Gastronomie – an der Basis. Der Job ist hart und der Umgang mit Gästen nicht immer einfach. Das macht der Kellner in seiner Facebook-Gruppe zum Thema. Neuerdings weist er dort auf Missstände im Gastgewerbe hin.

Stuttgart/Hamburg - Wer seit 17 Jahren in der Gastronomie arbeitet, kennt sie alle: Die nörgeligen Gäste, die Allergiker, die Choleriker. Darüber tauscht sich Oliver Riek mit Gleichgesinnten auf seiner Facebook-Seite Gastronomicus aus. Neuerdings weist er dort auch unter dem Hashtag #hotelleaks auf Missstände im Gastgewerbe hin – zum Beispiel kritisiert er, wie ein Hamburger Luxushotel Überstunden abgilt. Allerdings ist der 38-Jährige selbst kein unbeschriebenes Blatt, denn er war eine Weile überzeugter Nazi. Eine Vergangenheit, zu der er steht, aber mit der er gebrochen hat.

Herr Riek, Sie bieten auf Facebook unterhaltende Inhalte aus der Welt der Kellner an. Mittlerweile haben Sie mehr als 10.000 Follower. Welche Inhalte sind für Ihre Fans interessant?

In erster Linie natürlich meine satirischen Texte, die vielen Erlebnisberichte aber eben auch das, was den Beschäftigten unter den Nägeln brennt.

Vom Kellner zur Social-Media-Figur: Wie kam es dazu und was steckt dahinter?

Ich habe vor gut acht Jahren angefangen in Facebook-Gruppen meine Erlebnisse niederzuschreiben und gemerkt, dass diese Geschichten gut ankommen. Eine eigene Seite war die logische Konsequenz und so entstand Gastronomicus. Dahinter steckt ein Mensch, der für die Gastronomie brennt. Ich bin ein Kellner von der Straße und weiß, wo ich herkomme. Das ist wichtig für die Authentizität.

Sie wollen selbsterlebte skurrile Begebenheiten mit anderen Leidensgenossen teilen?

Natürlich! Egal, wo Kollegen arbeiten, von der Nordsee bis zu den Alpen, verbinden uns jene Erlebnisse, welche jeder von uns schon hinter sich hat. Es tut auch mir gut zu wissen, dass, egal, was ich erlebe, es immer Kollegen gibt, die das auf ähnliche Weise auch schon so erlebt haben.

Arbeiten Sie immer noch hauptberuflich in der Gastronomie? Erzählen Sie uns etwas über Ihren aktuellen Job, wie stark gehen Ihnen die Gäste „mit ihren Absurditäten“ auf den Wecker?

Ich bin ein Kellner aus Leidenschaft, ein Frontschwein, der den Kontakt mit den Gästen braucht. Meinen Arbeitsplatz halte ich jedoch bis heute erfolgreich und aus nachvollziehbaren Gründen geheim. Natürlich gibt es Gäste, die einen ärgern oder über die man sich ärgert. Anstelle jetzt aber den Frust in mich hineinzufressen, schreibe ich darüber. So entstand auch mein Buch: „Ist das Gemüse auch vegan?“ Gäbe es die schlimmen Gäste nicht, gäbe es Gastronomicus nicht.

Wer Ihren Blog liest, findet einen Themenmix, der nicht ganz durchschaubar ist – zwischen die Unterhaltungsformate mixen sich unter dem Hashtag #hotelleaks nun auch Enthüllungsstorys rund um das Thema Missstände im Gastgewerbe. Wie passt das zusammen?

Jeder kennt Tage, an welchen man gefühlt nur geile oder nur beschissene Gäste hat und so lebt meine Seite von guten und schlechten Erlebnissen. Ich greife Themen auf, die die Beschäftigten bewegen, Themen, über die man weniger redet. Ich möchte keine plumpe Klamaukseite betreiben, sondern auch mal zum Nachdenken und zur Diskussion anregen und ich denke, dass klappt sehr gut!

Woher bekommen Sie Ihre Informationen und was wollen Sie damit bezwecken, wenn Sie Quellen nicht namentlich belegen, aber dafür beispielsweise ein bekanntes Luxushotel wie das The Fontenay in Hamburg anprangern, Mitarbeiter mit zu vielen Überstunden zu belasten?

Meine Informationen bekomme ich direkt von den Betroffenen, die sich mir anvertrauen. Bezwecken möchte ich damit auf real existierende Missstände aufmerksam zu machen, die sonst nicht thematisiert werden, aber klare Antworten nach dem „warum“ des Personalmangels lieferten. Mit der Fontenay-Affäre ging #hotelleaks überhaupt erst los und ich habe nie behauptet, dass das Fontenay-Hotel Überstunden nicht korrekt abrechnet. Die Arbeitsverträge, die das Fontenay ausstellt, sind rechtlich einwandfrei. Es besteht aber ein Unterschied zwischen dem, was rechtlich konform, aber unfair gegenüber den Mitarbeitern ist. Denn über den Bruttolohn 15 Überstunden im Monat abzugelten, bedeutet, dass jeder Mitarbeiter gut einen Monat pro Jahr umsonst arbeitet. Dazu kommt der Stundenlohn mal 15 und die Mehrarbeit in Zeit berechnet. Das ist eine Praxis, der sich viele in unserer Branche bedienen und das kritisiere ich öffentlich. Dieses Detail zu kritisieren heißt jedoch nicht, ein ganzes Unternehmen an den Pranger zu stellen. Das The Fontenay prangere ich nicht an, ich lade das Unternehmen nur dazu ein, diese Praxis zu überdenken.

Zuletzt haben Sie vor allem mit solchen Enthüllungsstorys auf sich aufmerksam gemacht – ist das Zufall oder Absicht?

Ich glaube nicht an Zufälle und verlasse mich auch nicht darauf. Was ich tue, mache ich absichtlich

Wie begegnen Ihnen Kollegen intern oder extern vor diesem Hintergrund?

Der Winzer und Gastronom bezeichnete mich einmal als Nestbeschmutzer. Man kann aber kein Nest beschmutzen, welches seit Jahrzehnten völlig verdreckt ist! Insbesondere die „Macher“ und „Lenker“ der Branche können mich anscheinend nicht besonders gut leiden, aber das ist verständlich, dafür unterstützen mich meine Kollegen in meinem Betrieb und geben mir viel Kraft.

Was ist Ihr Anspruch als Blogger – auch für die Zukunft?

Insbesondere jungen Kollegen will ich etwas von meiner 17-jährigen Erfahrung in meinem Beruf abzugeben und versuchen - wenigstens mikroskopisch klein - die an sich schönste Branche der Welt zu verbessern.

Inwieweit hat Ihre Vergangenheit als überzeugter Neonazi noch Einfluss auf Ihre jetzige Tätigkeit, Ihre Follower und Ihre öffentliche Wahrnehmung?

Natürlich gibt es Menschen, die mir meine Vergangenheit übel nehmen. Jedoch habe ich, nachdem ich den gewagt hatte, damit an die Öffentlichkeit zu gehen und „jetzt.de“ ein Interview zu geben, überwiegend positive und mutmachende Reaktionen erhalten. Meine Resozialisierung verdanke ich zum größten Teil der Gastronomie. Ich habe dieses dunkle Kapitel in meiner Vergangenheit abgeschlossen und bin auch hin und wieder in der Präventionsarbeit tätig.