Die Initiative 70599 Lebenswert möchte einen Flyer zum Thema Fotovoltaik erstellen. Foto: imago/photothek/Ute Grabowsky/photothek.net

Eine Initiative in Stuttgart will im Sinne der Agenda 2030 der UN nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene umsetzen. Für die Stadt ist das ein Vorzeigeprojekt, doch in Plieningen und Birkach gibt es daran Kritik.

Der Tagesordnungspunkt Budget verspricht im Allgemeinen wenig Aufregung: Zuschussanträge für Vereine und andere Organisationen. Keine große Sache. Doch beim Antrag der Initiative 70599 Lebenswert, einem seit 2020 aktiven bürgerschaftlichen Modellprojekt, das sich der Nachhaltigkeit verschrieben hat, kochten in der jüngsten Beiratssitzung der Bezirke Birkach und Plieningen die Gemüter über. Ein „Dickicht“ erkannte der Plieninger SPD-Bezirksbeirat Ulrich Berger in dem Antrag. Sein Kollege Michael Wörner (CDU) sprach 70599 Lebenswert gar die Überparteilichkeit ab.

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Eingebracht hatte den Antrag der Koordinator der Initiative und stellvertretende Birkacher Bezirksbeirat Ulrich Fellmeth-Pfendtner (Grüne). Insgesamt 1250 Euro, verteilt auf Plieningen (750 Euro) und Birkach (500 Euro), umfasste die Bitte um finanzielle Unterstützung. Die Mittel benötigt das Projekt vor allem für die Erstellung eines Flyers zum Thema Fotovoltaik. Aktuell ein durchaus viel beachtetes Thema. Zudem beantragte die Initiative kleinere Summen für ihre Homepage, eine Standbeschriftung sowie eine Aktion unter dem Titel „Rad-Kultur“.

Verschiedene Gründe für die ablehnende Haltung

Zwar kritisierten einige Bezirksbeiräte in der Sache zunächst vor allem, dass ein Flyer in Zeiten digitaler Medien überflüssig erscheint. Doch die ablehnende Haltung gegenüber der bürgerschaftlichen Initiative vor allem seitens der Plieninger SPD und der CDU gründete möglicherweise tiefer.

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So betonte auf Nachfrage Michael Wörner, dass „der geringe Bezug der von 70599 Lebenswert aktuell bearbeiteten Projekte zu Plieningen, die verantwortlichen Personen und die Art des öffentlichen Auftritts Fragen aufgeworfen haben“. Wörner unterstrich, keine grundsätzlichen Bedenken gegen das Anliegen der Initiative zu haben. Für die Fraktion sei vielmehr die „Tatsache“ von Bedeutung, „dass es bisher nicht in nennenswertem Umfang gelungen ist, Bürger aus dem gesamten politischen Spektrum zu einer aktiven Unterstützung der Gruppierung zu bewegen“. Soll heißen: Dass die Initiative nach rund zwei Jahren noch immer von aktuell nur vier Aktiven geleitet wird, wovon drei Mitglieder den Grünen angehören, stößt Wörner auf.

Initiative will nicht zum Spielball werden

Das „bedauert“ freilich auch Fellmeth, wie er betont, verweist zugleich aber auf rund 40 beteiligte Organisationen, die die Initiative unterstützen. „Das Projekt sollte nicht daran gemessen werden, wer etwas macht, sondern, was gemacht wird“, argumentiert der 70-jährige. Dass in der Liste der Unterstützer auch die Bezirksgremien selbst aufgeführt werden, nennt Wörner als weiteren Kritikpunkt.

Ins selbe Horn stieß Berger, als er in der Bezirksbeiratssitzung anmerkte, dass manche der aufgelisteten Unterstützer nicht gefragt worden seien. Der Fraktionssprecher erklärte im Nachgang, die SPD habe am Antrag von 70599 Lebenswert vor allem gestört, dass er gleich mehrere Posten umfasste. „Allein dieses Durcheinander haben wir abgelehnt, und nicht nur wir, sondern die Mehrheit des Plieninger Bezirksbeirates“, so Berger. „Wir kritisieren hier die Form der Anträge und nicht die Inhalte an sich.“ Die SPD wolle einen verantwortlichen Umgang mit Steuergeldern. „Dass schon vor Antragsbehandlung im Bezirksbeirat Aufträge für das Layout des Flyers vergeben beziehungsweise dieser bereits erstellt wurde, kollidiert unserer Meinung nach mit den Vergaberichtlinien des Bezirksbeirates.“

In einer E-Mail an die Bezirksbeiräte im Anschluss an die turbulente Sitzung am vergangenen Montag machte Fellmeth-Pfendtner seinem Ärger über die Reaktionen Luft: Er hoffe, heißt es in dem Schreiben, dass 70599 Lebenswert nicht „Spielball parteipolitischer Ränkespiele“ werde. Den mitwirkenden Gruppen sei es schwer zu vermitteln, auf welche kritische Resonanz ihr zivilgesellschaftliches Engagement stoße.

Die Stadt sieht in der Initiative ein Pilotprojekt für andere Bezirke

Vor dem Hintergrund, dass die Stadt selbst 70599 Lebenswert über den grünen Klee lobt, muss die massive Kritik an dem bürgerschaftlichen Nachhaltigkeitsprojekt verwundern: Das Netzwerk, das im Sinne der Agenda 2030 der Vereinten Nationen nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene umzusetzen versucht, sei ein „Pilotprojekt für weitere Stuttgarter Stadtbezirke“, heißt es in der neusten Auflage der amtlichen Bestandsaufnahme zur Umsetzung der Agenda 2030. Die Initiative sei „in den Stadtbezirken Birkach und Plieningen von Anfang an auf große Resonanz gestoßen“.

Fellmeth-Pfendtner vermutet denn auch hinter dem Gegenwind andere Gründe: Die CDU störe sich, meint Fellmeth, am Erfolg des in der Spitze von Grünen dominierten Projekts. Die ablehnende Haltung der SPD begründet er mit der Begleichung alter Rechnungen: „Ich war 40 Jahre in der SPD. Seit meinem Wechsel zu den Grünen gelte ich im Ortsverein als Verräter“, sagt er. Die Initiative erhielt am Montag am Ende mit knapper Mehrheit aus Birkach einen Zuschuss in Höhe von 500 Euro. Plieningen lehnte mit Mehrheit den Antrag über 750 Euro ab.