Eine Tempo-30-Zone in Ludwigsburg zu ändern, war nicht einfach. Anwohner im Stadtteil Pflugfelden mussten mehrere Anläufe nehmen. Jetzt sagten Rathaus und Stadträte Ja. Aber sie wiesen auch auf Probleme hin.
Mittags ist’s ruhig in der Straße Im Obstgarten, idyllisch gelegen am Feldrand des Ludwigsburger Stadtteils Pflugfelden. Allein die Töne eines Geigenschülers liegen über dem Wohngebiet. Anders nach Schulende: Dann toben Kinder auf der Straße, fahren Waveboard und Tretroller, spielen Ball, malen mit Kreide. Ein Paradies zum Aufwachsen – „Bullerbü“, wie es Stadtrat Kilian Raasch (Freie Wähler) jüngst in Anlehnung an die Kinderbuchreihe von Astrid Lindgren passend beschrieb. Allerdings mit Makel: Streng genommen ist das Spielen auf der Straße in Tempo-30-Zonen laut Verkehrsordnung verboten.
Was darf ich in einer Spielstraße?
Die Anwohner machten sich deshalb in den vergangenen Jahren dafür stark, dass sie eine Spielstraße vor ihrer Haustüre bekommen. In der darf gespielt werden. Es ging der Nachbarschaft also um die Sicherheit der Kinder – von denen es hier reichlich gibt: 45 unter 18 Jahren leben in 25 Haushalten entlang der Straße. Und siehe da: Mit jüngstem Beschluss waren die Bürger tatsächlich erfolgreich. Einstimmig sprach sich der Mobilitäts- und Umweltausschuss des Gemeinderates dafür aus, Im Obstgarten in eine Spielstraße zu verwandeln. Wie haben die Bürger das nur geschafft?
Lesen Sie aus unserem Angebot: Die Spielstraße ist wieder weg
Mit viel Einsatz. „Wir haben so viele Schreiben wie nie zuvor bekommen“, machte die erfahrene Grünen-Stadträtin Christine Knoß in der Sitzung deutlich. Margit Liepins (SPD) bat die anwesenden Pflugfelder gar darum, die Schreiben künftig zu bündeln. „Allerdings“, macht Anwohner Marcel Muñoz im Nachhinein klar, „hatte das zweimal nichts gebracht“.
Zunächst gab es ein Nein zur Spielstraße
Denn es brauchte mehrere Anläufe bis zum Erfolg. 2019 hatten Bürger all der Haushalte erstmals ein Schreiben ans Rathaus unterschrieben. Wie dann zwei Jahre später verlief das im Sand – obwohl Stadtmitarbeiter der Verkehrsplanung und -sicherheit bei einer Besichtigung zustimmten, dass die Änderung sinnvoll und leicht umsetzbar wäre. Auch im Stadtteilausschuss kam kein anderes Ergebnis zustande. Das Problem: Der Gemeinderat hatte bei der Erschließung 2009 gegen eine Spielstraße und für Tempo 30 gestimmt. An den Beschluss ist die Stadtverwaltung gebunden. In einem Infogespräch wurde also klar: Es braucht eine Änderung des Beschlusses.
Lesen Sie aus unserem Angebot: Spielstraßen in Stuttgart
Gesagt, getan: Marcel Muñoz, für die Grünen im Stadtteilausschuss, ging auf die Ratsfraktion seiner Partei zu. Die stellte den Antrag, neu abzustimmen. Zudem animierte er die Nachbarn, über das Kontaktformular auf der Webseite den Rat persönlich zu kontaktieren. 14 Haushalte kamen dem nach, mehr als die Hälfte. Ihre Schreiben flatterten allen Stadträten einzeln ins Mail-Postfach. Als „überwältigend“ empfindet Marcel Muñoz dieses Mitwirken. Es sei einfach ein tolles Miteinander in der Nachbarschaft. Die Unterstützung dabei, das Thema gemeinsam anzugehen, sei groß gewesen.
Rathaus: Änderung in Spielstraße soll nicht zu teuer sein
Vor der Sitzung jedoch der Rückschlag: Das Rathaus schlug dem Gemeinderat in der Vorlage vor, den Wunsch abzulehnen. „Ich hatte schon damit gerechnet, dass das tatsächlich passiert. Die Chancen hatte ich vielleicht bei 50:50 gesehen“, sagt Muñoz. Doch Bürgermeister Sebastian Mannl verdeutlichte recht schnell, dass er in der Vorlage ebenfalls an den Beschluss von 2009 gebunden ist, gegen den er nicht arbeiten wolle. So kamen die Räte unter dem Applaus anwesender Pflugfelder dem Bürgerwunsch nach – unter der Prämisse, dass die Veränderung weder aufwendig noch teuer sein darf. Mit einem Betrag um die 10 000 Euro wird für zwei Schilder, Markierungen sowie Pflanzkübel für die Fahrbahn gerechnet.
Ganz ohne kritische Anmerkung ging der Punkt aber doch nicht durch. Kilian Raasch befürchtet, dass Parksuchverkehr folgen werde, „wenn die 45 Kinder einmal selbst Autos haben“. Und Armin Klotz (CDU) rechnet schon jetzt mit „wildem Parken“, sollten – was 2009 ein Grund für das Votum gegen die Spielstraße war – Parkplätze wegfallen. Darf in einer Spielstraße doch nur in markierten Flächen geparkt werden. „Da würde die Stadt auch kontrollieren. Dem müssten sich die Anwohner bewusst sein.“
Ist das Parken in der Spielstraße verboten?
Die Veränderung ist jedoch überschaubar. Denn Im Obstgarten wurde 2009 schon so gebaut, als wäre es eine Spielstraße. Ohne Gehweg und mit einem abgesetzten Parkstreifen. Auf dem müssen die Stellplätze nun markiert werden. „Es hängt jetzt davon ab, wie die Linien gezogen werden“, sagt Marcel Muñoz. Ob jeweils ein oder zwei Autos vor den vier angrenzenden Häusern erlaubt sind. Nicht mehr geparkt werden darf dann jedenfalls auf dem Parkstreifen direkt vor den vier Garagen – die wohl größte Veränderung. Und Besucher werden eben nicht mehr mal eben auf der Fahrbahn parken dürfen. Das nehmen die Anwohner in Kauf. Von „Erleichterung“ spricht Marcel Muñoz, der nach dem Votum die Nachbarn informierte. Danach stießen sie erst einmal an. Und gefeiert wird auch Ende Juni, wenn die Anwohner ihr alljährliches Obstgartenfest begehen. Als Hocketse – natürlich auf der Straße.
Initiative Tempo 30
Zielsetzung
Still und heimlich ist die Stadt Ludwigsburg der bundesweiten Initiative „Tempo 30“ beigetreten, an der auch der Städtetag mitwirkt. Die Mitglieder erhoffen sich, auf einfacherem Wege mehr Lebensqualität herbeiführen zu können. Und zwar, indem sie selbst festlegen dürfen, wo Tempo 30 gilt. Diese Forderung stellen sie nun an den Bund. „Die Idee ist, dass Tempo 30 als Grundgeschwindigkeit gilt, von der dann in Einzelfällen auf 40 oder 50 Stundenkilometer hochgeregelt werden kann“, sagt Mobilitätsbürgermeister Sebastian Mannl. Auch Ludwigsburg wolle verstärkt auf Tempo 30 setzen, um das Stadtbild, die Sicherheit oder auch die Luftqualität zu verbessern.
Kritik
Die Fraktionen des Gemeinderats signalisierten mehrheitlich, den Beitritt zu begrüßen. Sie kritisierten die Verwaltung aber, diesen Schritt gegangen zu sein, ohne den Rat informiert zu haben. „Ausdrücklich“ rügte etwa Klaus Herrmann (CDU) den Vorgang, verbunden mit der Hoffnung, dass sich so etwas nicht wiederhole. Mannl entschuldigte sich: „Das gehört natürlich im Vorfeld besprochen, ganz klar.“