Im Juni haben Eltern vor dem Forum in Ludwigsburg gegen die Bildungs- und Familienpolitik demonstriert. Foto:privat Foto:  

Susan Azimi ist eine der Gründerinnen der Ludwigsburger Initiative „Bildung trotz Corona“. Im Interview erzählt sie, wie sie die vergangenen Monate erlebt hat, warum sich die Gruppe zusammengefunden hat und was sie von der Politik erwartet.

Ludwigsburg - Eltern und Kinder haben in den vergangenen Monaten besonders unter der Corona-Krise gelitten. Darauf will die Ludwigsburger Initiative „Bildung trotz Corona“ weiter aufmerksam machen – obwohl ihre Forderungen teils erfüllt sind

Frau Azimi, wie haben Sie die vergangenen Wochen und Monate erlebt?

Es war sehr anstrengend, Kinderbetreuung, Homeschooling und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Wenn man sich den ganzen Tag um die Kinder kümmert, ist es schwierig, zwischendurch mal einen klaren Gedanken zu fassen. Natürlich musste ich Abstriche machen, teilweise habe ich den Haushalt und auch Arbeiten für die Uni nachts erledigt.

So ist es bestimmt nicht nur Ihnen ergangen.

Dieser Tagesablauf war bei vielen Frauen üblich in der letzten Zeit, denke ich. Das zehrt natürlich an den Nerven. Ich habe eine Bekannte, auch sie ist alleinerziehend und arbeitet in Teilzeit. Während sie von daheim gearbeitet hat, wurde aus der Teilzeit fast Vollzeit, weil andauernd jemand angerufen hat. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr an ihre Arbeitszeiten halten, und nebenher musste sie noch ihr Kind betreuen, einkaufen und den Haushalt erledigen.

Wenn der zweite Elternteil fehlt, wird es schwierig.

Wenn der Vater sich überhaupt nicht an der Erziehungsarbeit beteiligt, ist das so, ja. Ich glaube, jetzt ist die Zeit, die Situation von Alleinerziehenden genauer zu betrachten und sich zu überlegen, ob Sorgerecht nicht vielleicht auch stärker als Sorgepflicht betont werden müsste

Sie haben einen fast erwachsenen Sohn.

Der tut sich leicht mit der Schule und er hat mich dann teilweise unterstützt und seinem Bruder zum Beispiel in Mathe geholfen, wenn er das mit mir nicht mehr erledigen wollte. Aber das kann nicht der Maßstab sein, dass er an der Erziehung seiner Geschwister mitwirkt.

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Wie hat die Zusammenarbeit mit den Lehrern geklappt?

Wir haben da, denke ich, eine sehr gute Schule. Die Lehrer haben gesagt, man soll es nicht übertreiben, und auch angeboten, dass wir anrufen und uns bei Fragen immer an sie wenden können. Sie haben ihre Schüler sogar zuhause besucht und waren wirklich bemüht, Kontakt zu halten. Ich weiß aber, dass das bei anderen Eltern mit Kindern an anderen Schulen und anderen Lehrern ganz anders aussah. Da gibt es schon große Qualitätsunterschiede. Wie auch bei den Kindergärten.

Gab es denn einen ausschlaggebenden Moment, nach dem Sie beschlossen haben, die Initiative ins Leben zu rufen?

Am Anfang war das ja erst mal für viele eine Art Schockzustand. Ich habe auch gedacht: Das hältst du jetzt erst mal durch und dann wird die Politik schon die geeigneten Maßnahmen ergreifen. Aber dann ist lange nichts passiert, stattdessen wurde über die Fußball-Bundesliga diskutiert. Darüber habe ich mich, wie auch viele andere Eltern, ziemlich aufgeregt. Und als dann die Golfplätze wieder öffnen durften, haben wir gesagt: Naja, dann können sich die Kinder ja zum Lernen auf dem Golfplatz treffen, genau darauf hatten wir gewartet. Das war der ausschlaggebende Moment.

Und jetzt ist alles wieder gut?

Nein, bei Weitem nicht. Es gibt ja immer noch große Betreuungslücken, weil die Schulen noch längst nicht alles abdecken. Es fällt vieles momentan noch weg: Sport, Religion und AGs beispielsweise. Und selbst, wenn das nur eine kleine Zahl von Familien betrifft, darf man das trotzdem nicht verheimlichen. Mein großer Sohn hat zum Beispiel 14-tägig Unterricht. Und das ist einigen Eltern natürlich zu wenig. Es ist nicht zu verleugnen, dass das angehende Abiturienten vor große Probleme stellt und dass sie Angst haben. Ein Präsenzunterricht ist halt etwas ganz Anderes als Unterricht von zuhause.

Einige Ihrer Forderungen, wie die weitere Öffnung der Kindergärten, sind schon erfüllt. Was wünschen Sie sich noch von der Politik?

Ehrlich gesagt habe ich nicht das Gefühl, dass grundlegende Konzepte vorhanden sind. Was machen wir denn, wenn es eine neue Welle von Infektionen gibt? Werden wir wieder zurückgeschmissen in Homeschooling und -office? Das geht dann wieder alles zulasten von Schülern und Eltern. Da sollte doch mehr kommen und nicht nur Basteltipps von Frau Eisenmann. Denn wir Eltern sind ohnehin Spezialisten im Basteln und im Beschäftigen unserer Kinder.

Was schlagen Sie vor?

Wie wäre es denn, wenn man einfach mal einen runden Tisch einberuft – aber zeitnah? Es ist so viel Zeit vergangen, da müssten wir doch eigentlich schon weiter sein. Bildungs- und Familienpolitik sowie die Gestaltung von Gleichberechtigung muss neu gedacht werden, nicht nur in der Politik, sondern gesamtgesellschaftlich. Eltern haben in den letzten Monaten immense Leistungen erbracht. Ich habe nicht das Gefühl, dass das in der Politik ausreichend berücksichtigt wird. Fehler passieren. Die Frage ist doch, ob wir daraus lernen und es künftig besser machen.

Was muss sich konkret in den Schulen ändern?

Ich glaube, es wird zu wenig in die Weiterbildung von Lehrern investiert, auch in die Ausstattung der Schulen und Schüler. Am Anfang der Pandemie wurde mal darüber gesprochen, 150 Euro zuzuschießen, wenn sich Schüler technisches Equipment zulegen. Davon spricht jetzt keiner mehr. Die Corona-Krise hat doch gezeigt, dass mehr Maßnahmen getroffen werden müssten, um Schulen auch zu befähigen, ordentlichen und zeitgemäßen Unterricht zu gewährleisten. Ich weiß, dass einige Schulen überhaupt nicht wissen, welche Strategie sie bei der Digitalisierung verfolgen sollen. Es wird immer so schön gesagt: So und so viele Millionen stehen zur Verfügung, liebe Schulen, macht doch mal. Ich glaube, da bräuchte es viel mehr zielgenaue Unterstützung.

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Wie bewerten Sie die Entscheidung, Schulen und Kindergärten teilweise zu öffnen?

Das hat die Lage bei vielen entspannt. Aber man hat ja auch gesehen, dass es immer mal wieder Corona-Fälle in einzelnen Einrichtung gibt. Und was ist denn mit Kindern, die krank sind? Die müssen daheim bleiben, klar. Mir fehlt aber auch da eine Strategie, was die Tests von Kindern an Schulen und in Kindergärten angeht. Man hat nicht das Gefühl, dass die Leute im Kultusministerium sich damit beschäftigen wollen. Zumindest mangelt es an der Kommunikation, da kommt viel zu wenig Information, was eigentlich geplant ist.

Ist man ohne Kinder grade besser dran?

Mit Kindern muss man momentan tagtäglich so viele Sachen neu denken und immer flexibel sein. Es kommen viele Probleme auf einen zu, an die man vorher überhaupt nicht gedacht hat. Da müssen die Rahmenbedingungen meiner Meinung nach von der Politik so klar definiert sein, dass man dann in einem Notfall, wie er mit der Corona-Pandemie eingetreten ist, flexibel reagieren kann. Aber wenn der große Plan nicht steht, dann wird es schwierig. Eltern sollten ihren Kindern Sicherheit vermitteln. Nur: Wie soll das gehen, wenn sie selbst nicht wissen, wie und unter welchen Bedingungen das Leben weitergeht?

Infos

Person
Susan Azimi ist 47 Jahre alt und hat drei Kinder im Alter von vier, acht und 21 Jahren. Sie ist deutsch-persischer Abstammung, wohnt in Ludwigsburg, ist alleinerziehend und studiert Politikwissenschaft und Geschichte in Tübingen.

Initiative
„Bildung trotz Corona“ hat sich Anfang Mai zusammengefunden und wird vor allem getragen von Eltern mit Grundschülern und Kindergartenkindern aus dem Kreis Ludwigsburg. Ihr Protest richtet sich in erster Linie gegen die Politik des Landes Baden-Württemberg und des Kultusministeriums.