Ingvild Goetz will mit dem Verkauf ihrer Kunst Armut bekämpfen. Foto: Agentur Focu/Dashuber

Der Versandhandel hat die Familie Otto reich gemacht. Warum trennt sich die Erbin Ingvild Goetz plötzlich von Werken aus ihrer Kunstsammlung?

Man sollte meinen, dass man solch ein Erbe nicht so einfach ausschlägt. Doch für die Töchter von Ingvild Goetz steht schon lange fest: Sie wollen die Kunstsammlung ihrer Mutter nicht weiterführen. Es ist auch wahrlich stattlich, was im Lauf der Jahre zusammenkam. An die 5000 Werke hat Ingvild Goetz in ihrem Leben zusammengetragen.

Möglich wurde das wiederum durch ihr Erbe, sie ist die älteste Tochter des Hamburger Unternehmers Werner Otto, der den erfolgreichen Otto-Versand aufbaute. Inzwischen ist Ingvild Goetz über achtzig Jahre alt und steht wie viele Sammler, die jahrzehntelang den Kunstbetrieb in Deutschland maßgeblich mitgestalteten, vor der Frage: Wird jemand ihr Kunstengagement weiterführen?

Als Frieder Burda 2019 starb, stellte sich die Frage, wie es mit dem Museum Frieder Burda in Baden weitergehen soll. Heute leitet nicht etwa Burdas Stieftochter Patrizia Kamp das Museum, sondern der Museumsmanager Henning Schaper, der versucht, Museum und Stiftung im Sinne des Sammlers weiterzuführen. Weniger gut klappte die Nachfolge in Ulm. Nach dem Tod des Pharmaunternehmers Friedrich Erwin Rentschler wurde die Ausstellung seiner FER Collection im Stadtregal Ulm von heute auf morgen geschlossen. Erst nach mehreren Jahren konnten sich die Erben einigen, sodass nun ein paar Arbeiten aus der Sammlung im einstigen Wohnhaus des Sammlers in Laupheim ausgestellt werden.

Werke namhafter Künstler kommen untern Hammer

Ingvild Goetz hat schon früh damit begonnen, sich um ihr Erbe zu kümmern und wird in den nächsten Tagen 49 Arbeiten bei Sotheby’s versteigern lassen. Bei Auktionen in Köln und London werden teils live, teils online Werke von Sarah Morris, von Greta Bratescu, Andreas Gursky und Jonathan Meese angeboten. Das Spitzenlos, ein orangefarbenes Kissenbild von Gotthard Graubner, wird auf 300 000 bis 500 000 Euro geschätzt.

Ihr Museum hat sie bereits dem Staat geschenkt

Schlagzeilen machte die Otto-Erbin aber schon 2013, als sie dem Freistaat Bayern ihr Museum in München-Oberföhring schenkte. Unweit ihres Wohnhauses hatte sie 1993 ein Museum vom damals noch weitgehend unbekannten Architekturbüro Herzog & de Meuron bauen lassen. Die Sammlerin überschrieb nicht nur das Museum dem Staat, sondern schenkte Bayern auch ihre Videokunst-Sammlung, 375 Medienkunstwerke aus mehreren Jahrzehnten. Sie habe persönlich kein Bedürfnis, „dass nach meinem Tod noch etwas ist“, hat Ingvild Goetz vor einiger Zeit in einem Interview gesagt, aber natürlich wollte auch sie nicht, dass ihre über Jahrzehnte zusammengetragene Sammlung im Orkus verschwindet – zumal sie, die lange eine Galerie in München betrieb, immer Wert darauf gelegt hat, nicht nur Moden hinterherzujagen. Im Gegenteil ist sie bekannt dafür, Talente zu entdecken. Sobald deren Werk allzu stark boomte, verlor Goetz oft das Interesse und verkaufte dann durchaus auch Arbeiten, um in Neues investieren zu können.

Ingvild Goetz hat ein Gespür für Talente

Viele schüttelten den Kopf, als sie zum Beispiel ihre Bestände von Damien Hirst kurzerhand abstieß. Sie hatte auch von ihm bereits früh Arbeiten erworben. Als sie aber plötzlich den Eindruck hatte, dass Hirsts Werke „süffig“ werden, war er für sie nicht mehr interessant. „Mein Herzblut hing nicht mehr an den Arbeiten“, sagte sie später im Gespräch mit unserer Zeitung.

Sammler kaufen meist die Kunst ihrer Zeit

Während es in öffentlichen Sammlungen ein Tabu ist, Werke zu verkaufen, war für Ingvild Goetz das Verkaufen ein Mittel, um die Sammlung lebendig zu halten. Trotzdem spiegeln Privatsammlungen naturgemäß die Stilrichtungen, die zur Zeit des Ankaufs aktuell sind. So liegen die Schwerpunkte der Goetz Collection auf Arte Povera, amerikanischer Kunst des späten 20. Jahrhunderts, Young British Artists und Medienkunst.

Die Privatsammlung als offenes Depot

Selbst wenn eine jüngere Generation eine Sammlung weiterführt, setzt sie zwangsläufig eigene Akzente. Ideal wie selten hat sich die Nachfolge des Stuttgarter Sammlerpaares Ute und Rudolf Scharpff ergeben. Deren Tochter Carolin Scharpff-Striebich betreut deren Sammlung, in der sich amerikanische Graffitimalerei, sozialkritische Kunst und zeitgenössische Malerei befindet, sammelt aber auch selbst. Vor allem führt sie die gute Tradition ihrer Eltern fort, die ihre Bestände als offenes Depot verstanden und der Hamburger Kunsthalle, dem Kunstmuseum Bonn, die Staatsgalerie und dem Kunstmuseum Stuttgart anboten, sich daraus zu bedienen.

Trotz der aktuellen Auktion bei Sotheby’s, diverser Schenkungen und den Dauerleihgaben für die Münchner Museen wird Ingvild Goetz ihren Töchtern eines Tages noch einige Werke vererben können. Sie habe ihnen aber bereits die Erlaubnis erteilt, damit zu machen, was sie wollen.

Mit dem Erbe Gutes tun

Karitativ
Ingvild Goetz ist die älteste Tochter des Hamburger Unternehmers Werner Otto, der mit dem Otto-Versand viel Geld verdiente. In frühen Jahren war die Familie aber keineswegs gut gestellt. „Ich bin als Flüchtlingskind aufgewachsen und weiß, was Armut bedeutet“, sagt Ingvild Goetz, die sich deshalb auch immer karitativ engagiert hat. Mit dem Verkauf der 49 Werke will sie ein von ihr initiiertes Projekt gegen Altersarmut unterstützen und „mobil eingeschränkten, einsamen und seelisch belasteten Menschen ein Altern in Würde erlauben.“

Aktionen
Die Versteigerungen finden am 29. März live in Köln statt und online noch bis 30. März.