Unternehmen leiden unter akutem Ingenieurmangel. 37.000 Stellen sind unbesetzt.

Berlin -  Willi Fuchs, Direktor des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), verlangt, dass die Hürden für die Zuwanderung ausländischer Ingenieure nach Deutschland drastisch gesenkt werden.

Herr Fuchs, was wollen Sie gegen den Ingenieurmangel tun?

Willi Fuchs:Kurzfristig müssen wir unsere jetzt aktiven Ingenieure so weiterbilden, dass sie bis 65 oder 67 arbeiten können. Zudem brauchen wir eine Zuwanderungspolitik für Ingenieure. Unser Land muss attraktiv werden für Fachkräfte aus dem Ausland. Wir müssen die Einkommensgrenzen für die Bewilligung einer Arbeitsgenehmigung drastisch senken oder besser ganz abschaffen.

Und mittelfristig?

Da müssen wir die Abbrecherquoten an den Universitäten senken. Die Lehre muss didaktisch besser werden. Die Studierenden dürfen nicht nur Theorie büffeln wie Mathe, Naturwissenschaften oder Mechanik. Sie müssen vielmehr früh in praktische Ingenieurprojekte einbezogen werden. Dann wissen sie auch, wofür sie die theoretischen Kenntnisse erwerben. Einige Unis sind schon jetzt sehr erfolgreich mit einem anderen Ansatz: Sie testen vor Aufnahme des Studiums gezielt die Eignung der Kandidaten.

Und langfristig?

Es müssen mehr Abiturienten für das Ingenieurstudium gewonnen werden. Da gilt es, noch ein großes Potenzial zu heben. Die attraktiven Seiten des Ingenieurberufs müssen besser dargestellt werden.

Was ist mit den Kitas und Schulen?

Technische Bildung findet an deutschen Schulen bislang nicht statt. Das ist ein Missstand, der behoben werden muss. Der eine oder andere Lehrer versucht es zwar auf eigene Faust. Aber grundsätzlich gilt, dass eine systematische technische Bildung und Ausbildung der Schüler bei uns fehlt, im Gegensatz etwa zu England oder Frankreich. Für eine Volkswirtschaft wie Deutschland, die von der Technik lebt, ist dies ein ungeheures Defizit.

In Deutschland sind nur 15 Prozent der tätigen Ingenieure weiblich, in Schweden liegt der Wert bereits bei 25 Prozent. Was läuft bei uns falsch?

Kaum ein Land hat so wenige Ingenieurinnen wie Deutschland. Wir haben es zwar bereits geschafft, mehr Frauen zur Aufnahme eines Ingenieurstudiums zu bewegen. Da sind wir schon bei rund 22 Prozent. Woran es genau liegt, dass wir nicht mehr Frauen für den Job begeistern können, darüber rätseln auch wir noch. Es scheint ein gesamtgesellschaftliches Phänomen zu sein, dass Technik bei uns männlich ist und nicht weiblich. Das Technikbild muss korrigiert werden. Dabei sind viele neue Technologien, etwa im Gesundheits- oder Biobereich, prädestiniert für weibliche Arbeitnehmer.

Kann es nicht sein, dass die Firmen noch viel zu wenig familienfreundliche Jobs anbieten?

Bei familienfreundlichen Jobs hinken wir gegenüber skandinavischen Ländern noch dramatisch hinterher. In Sonntagsreden werden die Skandinavier zwar stets als Vorbild genannt. Wenn es dann aber konkret wird, setzen sich bei uns zu sehr die Bedenkenträger durch. Der VDI etwa setzt sich bereits massiv für mehr Betriebskitas ein.

Deutsche Ingenieure sind im Schnitt älter als anderswo. Warum ist das so?

Unsere Unternehmen leiden stärker unter der Alterung der Ingenieure als andere Länder. Das Durchschnittsalter der deutschen Ingenieure liegt derzeit bei 50 Jahren. Unsere Unternehmen leiden auch deswegen mehr unter den Nachwuchsproblemen, weil Deutschland zum Glück noch ein bedeutender Produktionsstandort ist. Die produzierenden Branchen steuern rund ein Viertel zum Bruttoinlandsprodukt bei. Das ist in Europa und der Welt ein erstklassiger Wert.

Müssen deutsche Unternehmen wegen fehlender Ingenieure Aufträge ablehnen?

Wir haben eine Lücke von etwa 37 000 Ingenieuren. Damit steht fest, dass unsere Volkswirtschaft etwa 3,5 Milliarden Euro weniger Wertschöpfung im Jahr erzielt, als möglich wäre. Man muss auch den Blick nach vorn richten: Wenn in Zukunft nicht die ausreichende Zahl von Ingenieuren zur Verfügung steht, um Neuentwicklungen voranzutreiben, dann sind die langfristigen Folgen katastrophal. Wenn eine Innovation nicht hier betrieben wird, sondern wegen fehlender Fachkräfte im Ausland, dann ist diese Innovation für unser Land verloren. In einigen Jahren hätte dies dann unmittelbar auch negative Auswirkungen auf unserem Arbeitsmarkt.