Foto: Werner Sobek Stuttgart

Der Stuttgarter Statiker Werner Sobek greift Aussagen von Kollegen gegen S 21 scharf an.

Stuttgart - Als verantwortlicher Planer für die Statik des Tiefbahnhofs kennt der Stuttgarter Ingenieur Werner Sobek das Bauprojekt bis ins kleinste Detail. Im Interview nimmt Sobek zu Vorwürfen Stellung, wonach das Projekt wegen Sicherheitsbedenken gestoppt werden müsse.

Herr Sobek, Ihr Kollege Frei Otto fordert den Baustopp von Stuttgart21, weil auf Grund des Baugrunds „Gefahr für Leib und Leben“ drohe. Ist die Warnung berechtigt?

Die Warnung ist in keinster Weise berechtigt. Ich bin erschüttert, dass sich Herr Otto jetzt in dieser Form äußert – nachdem er viele, viele Jahre lang als aktiver Planer am Projekt Stuttgart21 mitgewirkt hat und somit die seit langem vorliegenden Gutachten zur Beschaffenheit des Baugrunds gekannt haben muss. Diese Gutachten sagen eben nicht, dass Lebensgefahr droht.

Herr Otto warnt davor, der neue Tiefbahnhof könne vom Grundwasser überschwemmt oder durch den Druck des Grundwassers unkontrolliert aus der Erde gepresst werden.

Wenn man im Grundwasser baut, entsteht Auftrieb. Das weiß man seit Archimedes. Der neue Stuttgarter Hauptbahnhof liegt zwischen sechs und acht Metern im Grundwasser. Das ist technisch überhaupt kein Problem und für die Verhältnisse der Stadt, wenn Sie an die vielen Tiefgaragen, Stadtbahn- oder S-Bahn-Tunnel denken, in keinerlei Weise sensationell. Im Gegenteil: Die Röhren der S- und U-Bahn liegen seit nahezu 35 Jahren in aller Ruhe teilweise noch sechs Meter tiefer als der neue Bahnhof im Grundwasser. Und nichts ist passiert.

Als Laie würde ich sagen, der Tiefbahnhof entwickelt wegen seiner Größe einen deutlich höheren Auftrieb als eine schmale S-Bahn-Röhre. Ist das korrekt?

Ja. Aber schon das Eigengewicht der Hauptbahnhof-Konstruktion reicht aus, den Auftrieb nahezu zu kompensieren. Hinzu kommen hunderte von Pfählen, die den Bahnhof zehn bis 16 Meter tief im Untergrund verankern. Das ist eine zusätzliche Sicherheit. Insgesamt gesehen gibt es das von Herrn Otto befürchtete Problem also gar nicht.

Herr Otto sagt, er spreche seine Warnung auch aus „moralischer Verpflichtung“ aus. Können Sie mit diesem Begriff in diesem Zusammenhang etwas anfangen?

Ich will das nicht kommentieren.

Versuchen Sie es.

Am Projekt Stuttgart 21 sind einige der besten und namhaftesten Ingenierbüros überhaupt beteiligt. Diesen Kollegen kann man nicht einfach mal so unterstellen – auch nicht indirekt – dass sie unmoralisch oder verantwortungslos handeln würden. Das ist schlichtweg ein Unding.

"Vieles, was als Fakten präsentiert wird, sind in Wahrheit Mutmaßungen"

In den letzten Monaten sind viele Experten oder Gutachter aufgetaucht, die vor bisher unbekannten, aber umso größeren Risiken bei Stuttgart21 warnen. Verstehen Sie das?

Es gibt ein Podium der Besserwisser, auf das noch viele rasch aufspringen wollen. Vieles, was da wie Fakten präsentiert wird, sind in Wahrheit Mutmaßungen, Befürchtungen oder gar unseriöse Verdächtigungen. Ich gebe zu bedenken: Bei einer Baumaßnahme dieser Größenordnung ist allein die technische Beschreibung des Vorhabens schätzungsweise mehr als hundert Meter Leitz-Ordner dick. Das ist ein unglaubliches Kompendium, das im Zuge der Bauarbeiten noch ausgedehnt wird. Diese seriöse Arbeit von Fachleuten, Prüfingenieuren und anderen kann man doch nicht einfach mal mit einem schnellen Drüberschauen in Zweifel ziehen oder vom Tisch wischen. Einige der selbsternannten Kritiker und Gutachter treten mitunter schon sehr dreist auf.

Ist das eine Kampagne der Fachwelt oder der Medien?

Die Medien spielen bei dem Projekt nicht immer die beste Rolle. Was die Branche der Ingenieure angeht, glaube ich, dass wir zu leise sind. Wenn ein Kollege Unsinn erzählt, äußert sich derzeit kaum ein anderer Kollege dazu in der Öffentlichkeit. Bei Stuttgart21 hätten die Ingenieure schon viel früher deutlicher Position beziehen und Klartext reden müssen. Damit hätte man viele Irritationen vermeiden können.

Ist das Projekt Stuttgart21 in der Fachwelt tatsächlich so umstritten?

Nein, das ist es überhaupt nicht. Stuttgart21 hat interessante bautechnische Herausforderungen, sicher. Aber es ist keine Operation am offenen Herzen. Auch die viel zitierte Sorge wegen der quellfähigen Gesteinsschichten ist unbegründet. Der Bahnhof berührt keine Anhydrit-Schichten. Er liegt vollständig oberhalb dieser Schicht.

Projekte wie Stuttgart21 sind durch ihre Komplexität kaum zu fassen. Das führt beim Bürger zu Misstrauen. Verstehen Sie das?

Im Ansatz kann ich das nachvollziehen. Man hat es hier in Stuttgart über Jahre versäumt, die Bürgerschaft hinreichend zu informieren und insbesondere für die großen Chancen der Weiterentwicklung ihrer Stadt zu begeistern. Die Bürger haben bis heute kein Bild vor Augen, wie der oberirdische Teil des Gesamtprojekts Stuttgart21 nach der Fertigstellung einmal aussehen wird.

An Stuttgart21 wird zehn Jahre lang gebaut. Was könnten Sie, die Planer und Ingenieure, während der Bauzeit beitragen, dass die Bürger mehr Vertrauen gewinnen?

Ich sehe vor allem das Stadtplanungsamt gefordert. Es muss seinem Namen gerecht werden. Bei der künftigen Erweiterung der Innenstadt auf den heutigen Gleis- und Bahnflächen müssen alle Bürger intensiv eingebunden werden. Das müsste eine Stadt oder ein Stadtteil sein, in dem es erstrebenswert ist zu leben, von der die Bürger hoffen, dass sie bald Realität wird. Das könnte zum Beispiel eine emissionsfreie Stadt ohne den Verbrauch jeglicher fossilen Energien sein. So könnte eine zu erträumende Stadt von morgen aussehen. Dieses Zukunftsbild von Stuttgart21 ist bisher bedauerlicherweise nicht gezeichnet worden. Das müssen wir dringend nachholen. Dabei müssen alle mithelfen. Die große Chance ist da.