Inge Auerbacher umarmt nach der Enthüllung der Stele des Erinnerungswegs vor dem Haus ihrer Großeltern den Jebenhausener Helmut Ries. Foto: Michael Steinert

Von New York nach Göppingen: Die letzte Überlebende der jüdischen Gemeinde in Göppingen-Jebenhausen hat sich in ihrer Heimat für Versöhnung stark gemacht.

Göppingen - Anrührende Szenen haben sich am Wochenende in Göppingen-Jebenhausen zugetragen. Die im badischen Kippenheim geborene Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher, die ihre Kindheit in Göppingen und Jebenhausen verbrachte, war eigens von New York in die alte Heimat gereist, um vor dem Haus ihrer Großeltern den „Erinnerungsweg – jüdisches Leben in Jebenhausen“ seiner Bestimmung zu übergeben. Voller Herzlichkeit begegnete Auerbacher vor allem auch den Initiatoren Christine Lipp-Wahl, Volker Hirschfeld und Ilona Abel-Utz vom Verein Haus Lauchheimer, die sich der Erhaltung und der Förderung des jüdischen Kulturerbes in Jebenhausen verschrieben haben.

Die letzte jüdische Überlebende aus Jebenhausen

„Lasst uns an den Händen nehmen“, bat Auerbacher die versammelten Gäste und legte die gerahmte Fotografie zur Seite, die ihre Großeltern Betty und Max Lauchheimer zeigte. Spätestens in dem Moment sprang der Funke auf die Versammelten über. Kaum jemand schien sich der Einzigartigkeit dieser Verbrüderungsgeste entziehen zu können. Und alle lauschten ergriffen den Worten der kleinen, starken Frau aus New York: „Wir gehören zusammen. Ich will mit euch verbunden bleiben. Ich bin eine Jebenhausenerin.“

Mit diesen Sätzen bekräftigte Auerbacher, die letzte Überlebende der ehemaligen jüdischen Gemeinde in dem Göppinger Stadtteil, ihre Nähe zu ihrer schwäbischen Heimat. „Ich hatte nur eine ganz kurze Kindheit“, berichtet die 82-Jährige, die 1942 als Siebenjährige mit ihren Eltern in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee im Mai 1945 kehrte die Familie für kurze Zeit nach Göppingen zurück, bevor Auerbachers im Jahr darauf in die USA auswanderten.

Der Oberbürgermeister spricht von einer „großen Ehre“

Bei dem Festakt im evangelischen Gemeindesaal zur Eröffnung des Erinnerungswegs, der aus neun Stelen besteht, würdigte der Göppinger Oberbürgermeister Guido Till Auerbachers Einsatz gegen das Vergessen. „Mit Ihrer Anwesenheit haben Sie uns eine große Ehre erwiesen“, sagte Till. Auerbacher reist seit Jahren von Kontinent zu Kontinent, um als Augenzeugin und Überlebende des Holocaust jungen Menschen Rede und Antwort zu stehen und an die Gräuel der Nationalsozialisten zu erinnern. Christine Lipp-Wahl, die Vorsitzende des Vereins Haus Lauchheimer, hofft, dass viele Schulklassen nun den hiesigen Erinnerungsweg besuchen werden.

Vor dem Haus Lauchheimer, in dem ihre Großeltern gelebt hatten, enthüllte Auerbacher anschließend die dortige Stele. In Jebenhausen habe sie die glücklichsten Jahre ihrer Kindheit erlebt, sagte die 82-Jährige. „Komm zu mir, Helmut, du sollst bei mir hier vorne stehen.“ Mit herzlichen Worten wandte sich die New Yorkerin auch an Helmut Ries, dessen Großmutter Theres aufs Engste mit Auerbachers Großmutter Betty Lauchheimer befreundet war. „Wenn es einen Himmel gibt, dann sind die beiden dort vereint“, kommentierte Auerbacher ihre Hoffnung auf ein glückliches Ende der brutalen Trennung der Freundinnen durch den Naziterror. Betty Lauchheimer war nach ihrer Deportation 1941 nach Lettland in einem Wald bei Riga erschossen worden.

Das letzte Begräbnis auf dem jüdischen Friedhof galt ihrem Großvater

An Betty Lauchheimer erinnert bereits seit Jahren ein vor ihrem ehemaligen Wohnhaus am Vorderen Berg verlegter Stolperstein. Nun hat die Göppinger Stolpersteininitiative dafür gesorgt, dass der Kölner Künstler Gunter Demnig auch für ihren Ehemann Max Lauchheimer einen Erinnerungsstein verlegt. Max Lauchheimer war von den Nazis ins Konzentrationslager Dachau verschleppt worden. Von dieser Haft erholte er sich nie wieder und starb 1939. Er wurde als letzter jüdischer Bürger auf dem jüdischen Friedhof in Jebenhausen bestattet.

Das Jüdische Museum erhält eine neue Dauerausstellung

Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Göppingen-Jebenhausen beginnt mit dem Schutzbrief von 1777 der Freiherren von Liebenstein. Ihre Blütezeit erlebte die jüdische Gemeinde Mitte des 19. Jahrhundert: 1845 wurden rund 550 Einwohner jüdischen Glaubens gezählt, es waren rund 46 Prozent der Einwohner. Jebenhausen war eine der größten jüdischen Gemeinden in Württemberg.

Noch ist das Jüdische Museum in der alten Dorfkirche in Jebenhausen geschlossen. Die Dauerausstellung wird mit modernen Präsentationsformen und neuen Forschungsergebnissen aufgemöbelt. Den neuen Rundweg haben Sponsoren und die Kommune finanziert, er hat 60 000 Euro gekostet.