Noch einmal stehen Inga und Elias Krischke zusammen in Calixto Bieitos Musical „Cabaret“ in Stuttgart auf der Bühne. Wir haben mit den beiden Darstellern darüber gesprochen, wie es ist, als Geschwister zusammen in einem Stück zu spielen.
Hinter dem dunkelroten Vorhang herrscht Aufruhr: Figuren in Federboa, Dessous und High Heels machen sich bereit für eine Show, irgendwo zwischen Zwielichtigkeit und hemmungslosem Genuss – Willkommen im „Cabaret“. Das Musical erzählt vor der düsteren Drohkulisse des aufziehenden Faschismus in fast verzweifeltem Hedonismus von Andersartigkeit, sexueller Befreiung und Selbstvergessenheit. Auf der Bühne im Stuttgarter Schauspiel wird es in der Inszenierung von Calixto Bieito zu einem beeindruckenden Tanz der Extreme im Balanceakt zwischen Ekstase und bitterem Absturz.
Themen der Zeit
Eine solche Erzählung schwappt fast zwangsläufig ins Jetzt über – denn Radikalisierungstendenzen, steigende Inflation und sexuelle Vielfalt stehen im gesellschaftlichen Diskurs auch heute auf der Tagesordnung. „Von der Enttabuisierung, die wir im Stück erleben, sind wir heute weit entfernt“, findet Elias Krischke, der in „Cabaret“ als Conférencier zu sehen ist.
„Die düstere Prognose hingegen erleben wir gerade ähnlich: Das Geld wird weniger wert und wir erleben neben mühsam errungenen Fortschritten in Klima-, Gesellschafts- und Sozialpolitik, vielleicht aus Angst rückwärtsgewandte Kämpfe innerhalb der Gesellschaft“, sagt er. „Cabaret“ lote die Extreme und Grenzen eines solchen Nährbodens aus. „Wir sehen sexuelle Freiheit auf der einen Seite, auf der anderen muss sich halb Berlin prostituieren, um sich eine Wohnung leisten zu können.“
Die Welt von „Cabaret“ hat sie nicht mehr losgelassen
Diese Extreme zu erkunden, ist für Elias Krischke als Conférencier eine besondere Erfahrung – und das nicht nur, weil er sich in der Rolle dieses ungreifbaren Zwischenwesens besonders gut austoben kann. Für ihn und seine Schwester Inga, die als Gast in der Rolle der Sally Bowles zu sehen ist, hat das Musical eine besondere Bedeutung: Schon in ihrer Jugend war „Cabaret“ die Kulisse für ihre ersten gemeinsamen Schritte ins Rampenlicht. Damals sangen Inga und Elias Krischke als Statisten im Kinderchor – und beobachteten mit großen Augen die schillernden Figuren auf der Bühne. Seither hat die Welt von „Cabaret“ sie nicht mehr losgelassen. „Die Rollen, die wir heute spielen, sind für uns jeweils Kindheitsträume“, sagt Inga Krischke.
Im Schauspielhaus sitzen die beiden auf einem dunkelgrünen Samtsofa. Vor ihnen ein dunkler, an den Ecken schrabbeliger Holztisch, draußen der weite Balkon des Theaters, den man aufgrund seiner Architektur gerne für Fotos nutzt. Ein Ort, irgendwo zwischen außergewöhnlich und heimelig. So ähnlich fühlt sich auch die gemeinsame Zeit auf der Bühne für die Geschwister an.
Es ist das erste Mal seit dem Studium an der Folkwang Universität der Künste in Essen, dass sie gemeinsam an einer Inszenierung beteiligt sind. Normalerweise leben sie weit voneinander entfernt und tauschen sich selten über die Rollen aus, die sie gerade spielen.
Beim gemeinsamen Gespräch im Schauspielhaus verstricken sie sich hingegen so schnell in lebhafte Debatten über ihre Figuren, dass sie darüber manchmal fast vergessen, dass sie mitten in einem Interview stecken.
Diese Vertrautheit hilft Inga und Elias Krischke auch auf der Bühne: „Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können. Wir müssen uns oft nur anschauen und wissen, was der andere meint. Das gibt mir eine enorme Sicherheit und Ruhe“, sagt Inga Krischke. In der Inszenierung von Bieito tritt das deutlich zutage: Das einzige Duett der beiden Geschwister wird nicht nur gesanglich zu einem Highlight des Stücks. Auch ihre sprühende Dynamik ist bestechend. Zwischen flatternden Dollarscheinen wirbeln sie so mühelos umeinander herum, dass man die Vertrautheit zwischen ihnen fast spüren kann.
Familienzusammenführung auf der Musical-Bühne
Doch ganz ohne Stolpersteine gelang der Schritt, in Stuttgart gemeinsam zu arbeiten, für die beiden dann doch nicht. Inga stieß erst anderthalb Wochen vor der Premiere als Gast zum Ensemble hinzu. Den Großteil der Proben hatte sie verpasst. „Ich dachte anfangs, ich kenne das Stück, weil ich Sally Bowles auch am Schauspielhaus Düsseldorf spiele. Aber hier ist sie eine ganz andere Figur. Man kann beide Auftritte nicht miteinander vergleichen“, sagt sie.
Auch bei ihrem Bruder führte die plötzliche Familienzusammenführung im Vorfeld zu Bedenken: „Am Anfang hatte ich kurz Bedenken, was es mit mir macht, wenn Inga plötzlich in einem Bereich ist, den ich eigentlich für mich definiere. Sie kennt mich so gut, kennt alle meine Geschichten. Verhalte ich mich anders, wenn sie da ist?“ Doch die anfänglichen Zweifel waren bald verschwunden: „Ich fand es schön zu sehen, dass der Mensch, der ich hier geworden bin, derselbe ist, den auch Inga kennt.“
Eine weitere Vorstellung von „Cabaret“ mit Inga und Elias Krischke am Samstag, 3. Juni; weitere Aufführungen danach am 4. und 5. Juni sowie am 5., 6. und 7. Juli
Geschwister mit gleichem Beruf
Erste Bühnenerfahrung
Elias und Inga Krischke machten ihre ersten Bühnenerfahrungen bereits im Kindesalter: Bei diversen Stücken waren sie am Stadttheater Hildesheim zu sehen.
Ausbildung
Nach der Schule studierten beide an der Folkwang Universität der Künste Musical sowie Gesang, Schauspiel und Tanz. Für Inga folgten daraufhin Engagements bei großen Musicalproduktionen, etwa als Scaramouche in „We Will Rock You“. Elias konzentrierte sich nach einem zusätzlichen Studium am Max Reinhardt Seminar in Wien auf das Schauspiel und ist seit 2020 festes Mitglied des Stuttgarter Ensembles. Sich gegenseitig auf der Bühne zu sehen, bleibt für beide bis heute etwas Besonderes: „Als ich Inga in „We will Rock You“ in der Porsche Arena gesehen habe, habe ich nur noch geweint. Sie ist eine der besten Sängerinnen, die ich kenne“, so Elias Krischke.