Innerhalb von wenigen Wochen bekamen die Türken 40 Prozent weniger Ware fürs Geld. Foto: dpa/Francisco Seco

Der Türkische Präsident präsentiert einen neuen Plan zur Rettung der Lira – Experten sind allerdings skeptisch. Der Staat soll Inflationsverluste von Sparern ausgleichen.

Ankara - Recep Tayyip Erdogan ist als wendiger Politiker bekannt, doch sein neuestes Manöver ist selbst für ihn einmalig. Bisher setzte der türkische Präsident alles daran, den Wert der Lira zu drücken, um Exporte billiger zu machen und so einen Wirtschaftsaufschwung auszulösen. Tatsächlich stürzte die Lira gegen Dollar und Euro ins Bodenlose. Dann trat Erdogan nach einer Kabinettssitzung am Montagabend vors Mikrofon und verkündete einen Plan zur Stärkung der Lira: Wie ein Zauberkünstler zog Erdogan das Versprechen aus dem Hut, dass der Staat die Verluste von Sparern ausgleichen wird, die durch den Kursverfall der Lira entstehen. Anschließend gewann die Lira wieder an Wert. Experten und Kritiker sprechen von einem Taschenspielertrick und einer verdeckten Zinserhöhung auf Steuerzahlerkosten. Dass der neue Plan auf Dauer funktioniert, ist deshalb unwahrscheinlich.

Der wichtigste Grund für die steile Talfahrt der Lira, die allein in den vergangenen Wochen 40 Prozent ihres Wertes eingebüßt hatte, ist Erdogans Absage an eine Erhöhung der Leitzinsen. Zentralbanken bekämpfen weltweit mit Zinsanhebungen steigende Inflationsraten, aber in der Türkei senkte die Zentralbank die Zinsen auf Weisung des Präsidenten auf 14 Prozent, obwohl die Inflation bei 21 Prozent liegt. Erdogan begründet seine Politik unter anderem mit seinem Glauben: Im Islam seien Zinsen verboten. Deshalb werde er die Zinsen weiter senken, kündigte er erst am Sonntag an: „Niemand soll von mir etwas anderes erwarten.“

Investoren verkauften ihre Lira im Rekordtempo

Daraufhin verkauften Türken und ausländische Investoren ihre Lira im Rekordtempo, was am Montag zu einem historischen Einbruch um zehn Prozent an nur einem Tag führte. Schon vorher waren die Realeinkommen gesunken. Vor Brothandlungen bildeten sich Schlangen, Händler und Firmen konnten nicht mehr kalkulieren, in den Apotheken wurden wegen der immer teureren Einfuhr die Medikamente knapp.

Offenbar habe die Regierung erkannt, dass es so nicht weitergehen konnte, sagt der Oppositionspolitiker Dursun Yilmaz, ein ehemaliger Zentralbankchef, nach Erdogans Auftritt. Der einfache Weg zur Stärkung der Lira – Zinserhöhungen – war der Regierung wegen Erdogans ideologischer Festlegung versperrt. Deshalb präsentierte Erdogan als Umweg die Staatsgarantien für Lira-Einlagen. Danach gibt die Zentralbank ab sofort jeden Tag einen amtlichen Dollarkurs bekannt. Lira-Sparer legen fest, ob sie nach drei, sechs, neun oder zwölf Monaten abrechnen sollen. Liegt der Wertverlust der Lira zum Dollar über dem Leitzinssatz von 14 Prozent, bekommen sie die Differenz vom Staat erstattet. Wirtschaftsexperten sprachen deshalb von einer indirekten Leitzinsanhebung. Das sei eine „Kehrtwende“, sagte Yilmaz im Fernsehsender Halk TV.

Die Devisenmärkte reagieren auf die Ankündigung

An den Devisenmärkten schoss die Lira am Montag zeitweise um bis zu 25 Prozent nach oben und machte so einen Teil ihrer Verluste aus den vergangenen Monaten wett. Ein Euro war am Montagmittag 14,80 Lira wert, was etwa dem Stand von Ende November entspricht. Damit war die Lira viel stärker als am Montag, als zeitweise fast 20,70 Lira für einen Euro fällig waren. Verglichen mit Jahresbeginn hat die türkische Währung aber immer noch mehr als 35 Prozent an Wert verloren.

Derzeit weiß niemand, ob die Lira mit Erdogans Garantien langfristig stabilisiert werden kann: In den vergangenen Jahren hatten die Türken einen Großteil ihrer Ersparnisse in Devisen und Gold angelegt, weil sie der Lira nicht trauten. Ob sich das nach Erdogans Versprechen ändert, ist offen. Schließlich räumt Erdogan dem US-Dollar mit seinem Modell eine Rolle als Leitwährung für die Türkei ein.

Erdogan hat umgehend die Steuern erhöht

Teuer ist der Plan obendrein, denn auf den Staat kommen wegen der Garantien für die Spareinlagen zusätzliche Milliardenausgaben zu. Einen Teil des Geldes will sich Erdogan offenbar sofort bei den Steuerzahlern holen: In der Nacht zum Montag wurden die Steuern auf Immobilien, Autos und Internet-Nutzung angehoben. Außerdem halten Experten einen Anstieg der Neuverschuldung für unvermeidlich.

Mit dem Versuch, die Lira auf niedrigem Niveau zu stabilisieren, will Erdogan seine Chancen bei den Wahlen im Juni 2023 verbessern. Mit dem Manöver habe der Präsident zumindest Zeit gewonnen und einen drohenden Kollaps des Bankensektors vermieden, schrieb der Türkei-Finanzexperte Timothy Ash auf seiner Internetseite. Allerdings sei Erdogans neuer Plan keine Alternative zu einer wirksamen Inflationsbekämpfung durch Zinsanhebungen, meint Ash: Er erwartet auch nach Erdogans neuem Zaubertrick im kommenden Jahr für die Türkei eine Inflationsrate von bis zu 50 Prozent.