Die Inflationsrate ist weiter zweistellig. Wer genau hinschaut, findet für einzelne Produkte starke Preissteigerungen. Doch manches ist sogar günstiger geworden. Wir geben einen großen Grafik-Überblick.
Die Inflation trifft jeden anders. Die Statistikämter geben die Teuerungsrate derzeit mit ungefähr zehn Prozent an, doch das ist nur ein Mittelwert. Die persönliche Inflationsrate kann man online ausrechnen, doch das ist kompliziert. Interessanter ist der Blick auf einzelne Produkte: Was hat sich am stärksten verteuert, was ist sogar billiger geworden? Daten des Statistischen Landesamts geben die teilweise überraschenden Antworten, und an der Spitze steht nicht der Gaspreis.
Welches Produkt sich verglichen mit 2015 am stärksten verteuert hat, verraten wir unten. Weil Energiepreise sehr viele Verbraucher treffen und ein großer Ausgabenposten sind, fallen Preissteigerungen wie im laufenden Jahr besonders ins Gewicht, deshalb beginnen wir unsere Analyse damit.
Energie: Hohe Börsenpreise führen zu Preisanstieg
Am stärksten leiden demnach Ölkunden unter den steigenden Preisen. Wer im September seinen Öltank befüllen ließ, zahlte glatt doppelt so viel wie im Mittel des Jahres 2021. Bei den Kosten fürs Gas kommen die Landesstatistiker auf einen Preisanstieg von etwas über 50 Prozent.
Woher kommt das, wo derzeit alle übers Gas reden? Ölkunden kaufen stets zum Tagespreis, deshalb treffen Preissteigerungen sie direkt. Als einen Grund für den starken Preisanstieg bezeichnet der Geschäftsführer des Portals HeizOel24, Oliver Klapschus, den russischen Angriff auf die Ukraine. Heizöl basiert auf Gasöl, und das ist infolge von Lieferstopps knapp. Überdies war im Sommer wenig Wasser im Rhein und der meist mit Schiffen bewältigte Öltransport stark eingeschränkt.
Bei Strom und Gas haben Privathaushalte in der Regel längerfristige Verträge, bei denen sich die Preissteigerung erst später niederschlagen – so auch in der amtlichen Statistik. Unternehmen beschaffen ihre Energie kurzfristiger und sind „stärker von den Preissteigerungen an der Energiebörse betroffen“, schreibt das Statistische Bundesamt in einer aktuellen Analyse zur Gaspreisentwicklung. Es berechnet deshalb die Preissteigerung separat, für Haushalte beträgt sie 17,7 Prozent im Vergleich zur zweiten Jahreshälfte 2021 und für Unternehmen 38,9 Prozent.
Steigende Energiepreise machen (fast) alles teurer
Für Baden-Württemberg werden keine separaten Werte ausgewiesen. Dass die Daten zwischen dem statistischen Bundes- und Landesamt so stark voneinander abweichen, liegt auch an den Zeitraum, auf den sie sich beziehen. Im September sind Nachfrage und Preis für Energieträger auch generell teurer als z.B. in den Sommermonaten. Ein Vergleich mit Daten aus der zweiten Jahreshälfte fällt dadurch geringer aus als die aus dem gesamten Jahr.
Wenn Energie teurer wird, merkt man das nicht nur in der Nebenkostenabrechnung – sondern bei nahezu allen Produkten. Gestiegene Kosten für Energie und Brennstoffe machen nicht nur Privathaushalten zu schaffen. Sie sind auch der Grund für Preissteigerung weiterer Produkte.
Mehl und Backwaren: Energie- und personalintensiv
Brot wird im Ofen gebacken, und das kostet Energie. Daher stehe die Branche vor einer “riesigen Herausforderung”, sagt Meike Bennewitz, Pressereferentin des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks - weil auch Mehl und Personal mehr kosten. Weil in Deutschland viel Getreide angebaut wird, sei kein Mangel zu befürchten. Doch der Getreidepreis orientiere sich an den Börsen in Chicago und Paris - wo sich kriegsbedingte Lieferschwierigkeiten ebenso niederschlagen wie Dürren in Kanada und den USA im Vorjahr. Das bestätigt auch Karl Ruthardt vom baden-württembergischen Müllerbund.
Handwerkliche Bäcker können die Preise nur bedingt anheben, klagt Meike Bennewitz – weil die Konkurrenz industriell gefertigte Backwaren günstig anbietet. Die Stichprobe vor Ort zeigt aber, dass vereinzelt Preissteigerungen unmittelbar bevorstehen. Für Mehl, Öl und Energie müsse sie mehr bezahlen als noch vor einem Jahr, sagt eine Mitarbeiterin der Bäckerei Simit Palast in Stuttgart. In der Folge müssten die Preise steigen – oder die Backwaren kleiner werden.
Obst und Gemüse: Ware teilweise aus Lagerbeständen
Die Preise für Obst und Gemüse sind im Vergleich mit den anderen vorgestellten Lebensmitteln relativ moderat gestiegen: Für frisches Obst zahlen Verbraucher 7,3 Prozentpunkte, für Gemüse (ohne Kartoffeln) 6,3 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.
Warum ist das so? Eine Verkäuferin an einem Marktstand in der Innenstadt erklärt, dass momentan ein großer Teil der Ware noch aus Lagerbeständen stamme. “Wenn im Winter vermehrt Ware aus beheizten Gewächshäusern kommt, steigen die Kosten”, sagt sie. Schon jetzt merke sie, dass manche nicht unbedingt notwendigen Lebensmittel schlechter verkauft werden – zum Beispiel Himbeeren.
Milchprodukte: Verknappung des Milchangebots
Ist Butter ungewöhnlich teuer geworden? Der Verbraucherpreisindex sagt: Ja. Der Preis ist mehr als doppelt so hoch wie 2015 und liegt aktuell 79 Prozentpunkte über dem vom Vorjahr. Daran sei ein geringeres Milchangebot schuld, sagt Hans Foldenauer vom Bundesverband Deutscher Milchviehalter.
Die Zahl der Betriebe gehe zurück, gleichzeitig werde weniger in neue Milchviehställe investiert. Durch geringeren Fettanteil in der Milch sei es außerdem zu höherer Nachfrage an Milchfett gekommen – in der Folge wird Butter teurer. “Nun können Milchbauern immerhin die Produktionskosten decken, das war lange nicht so”, sagt Foldenauer.
Gastgewerbe: Starke Konkurrenz
Gaststätten haben zuletzt ebenfalls aufgeschlagen. Ein Restaurantbesuch ist heute im Schnitt 8,6 Prozentpunkte teurer als im Vorjahr. Neben Energie und den servierten Produkten sei auch das Personal teurer, sagt Daniel Ohl von der Dehoga Baden-Württemberg: im Sommer wurden die Tarifgehälter ebenso erhöht wie der Mindestlohn.
Warum steigen die Preise dann nicht noch stärker? Wegen dem “harten und intensiven Wettbewerb”, sagt Daniel Ohl, zudem seien Gäste sehr sensibel gegenüber Preissteigerungen. Wenn es finanziell eng wird, verzichteten zudem häufig viele auf Restaurantbesuche und Hotelaufenthalte.
„Günstigere“ Preise durch bessere Geräte
Nicht alle Produkte sind im Preis gestiegen. Insbesondere technische Geräte sind im Vergleich zu 2015 günstiger geworden: Telefone um 17,7 Prozent, Fernseher sogar um 22,3 Prozent. Das liegt daran, dass die Produktqualität im Verbraucherpreisindex mitberücksichtigt wird, so Mara Mantinger, Pressesprecherin des Statistischen Landesamtes. Wenn man heute ein Handy kauft, bekomme man mehr Leistung im Vergleich zu vergangenen Jahren. Das schlägt sich im Verbraucherpreisindex nieder.
In diesem Beitrag haben wir einzelne Produktgruppen analysiert, im für die Inflation betrachteten Warenkorb befinden sich aber noch weitere. Das folgende Schaubild zeigt die Preisentwicklung sämtlicher Produktgruppen seit 2015, gelb markiert ist das Preisniveau vom September 2022 verglichen mit dem Durchschnittswert 2015.
Einen „Blick in die Glaskugel“ wollte kein Gesprächspartner wagen. Aufgrund der hohen Interdependenzen zwischen Rohstoff- und Verbraucherpreisen, rechnet jedoch niemand mit baldiger Entspannung.