Umweltschützer fordern generelle Fahrverbote für Dieselautos – doch Politik und Industrie ringen um Wege, die Luft auch durch die Nachrüstung älterer Modelle sauberer zu machen. Foto: dpa

Für die Autobranche wäre es zu schön, um wahr zu sein. Um Fahrverbote zu vermeiden, kaufen alle Leute Dieselautos mit der neuesten Technologie. Doch mittlerweile ist klar, dass sie die Besitzer älterer Autos nicht länger auf ihren Problemen sitzenlassen kann.

Stuttgart - Es kommt, es kommt nicht, es kommt . . . Die Frage, ob tatsächlich bald ein Fahrverbot für Dieselautos in Stuttgart kommt, ließ sich in den vergangenen Wochen eher durch das Abzupfen von Margeritenblättern beantworten als durch harte Fakten. Die Autoindustrie erklärte, eine nachträgliche Verbesserung der bereits verkauften Autos sei „sehr komplex und würde umfangreiche und tiefe Eingriffe in die Motorsteuerung und Abgasanlage erfordern“. Die Landesregierung dagegen berief sich auf die hohe Schadstoffbelastung der Luft. Jede Seite beharrte auf ihrem Standpunkt, für den es durchaus gute Gründe gab. Nur eine Einigung lässt sich so kaum erzielen.

Die Politik

Doch zuweilen geschehen zwischen Wirtschaft und Politik wundersame Dinge. Kaum hatte die Landesregierung sich im Februar festgelegt, ab 2018 an Tagen mit hoher Luftverschmutzung Fahrverbote für die 82 Prozent der Dieselautos zu erlassen, die nicht der neuesten Schadstoffnorm namens Euro 6 entsprechen, kam Bewegung in die Diskussion. Die Gesetze der Physik haben sich seither nicht verändert, doch unter dem Druck eines drohenden Fahrverbots scheint Unmögliches doch in den Bereich des Möglichen zu rücken.

Kretschmann hat den Druck auf die Hersteller erhöht

Erste Andeutungen, wonach die Autoindustrie von ihrem harten Nein abrückt, machte der Ministerialdirektor im Landesverkehrsministerium, Uwe Lahl, bereits Ende März: als er unserer Zeitung sagte, man spreche mit der Autobranche über die Nachrüstung, und er sei „recht optimistisch“, was deren Innovationskraft angeht. Eine Woche später wurde Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview mit unserer Zeitung noch deutlicher. Wenn die „Nachrüstung klappt und wir so die Ziele, die mit dem Luftreinhalteplan erreicht werden sollen, erreichen, sind die Fahrverbote noch nicht in Stein gemeißelt“. Die Signale der Wirtschaft seien nun „positiver als vor einigen Wochen“. Ein geschickter Schachzug, der ihm in der Branche Respekt abnötigt.

Mit dieser Aussage hat Kretschmann den Druck auf die Hersteller enorm erhöht. Denn seine Botschaft lautet: Wenn Fahrverbote kommen, kann niemand mehr der grünen Verkehrspolitik den Schwarzen Peter zuschieben, er liegt dann vielmehr bei der Industrie, die ihre Chance hat verstreichen lassen. Das macht es praktisch unmöglich, die bisherige Verweigerungshaltung durchzuhalten. Doch in der Autobranche wurde zugleich aufmerksam registriert, dass Kretschmann auch die Hand ausgestreckt hat: Anders als kurz zuvor noch der Ministerialdirektor bestand Kretschmann nicht mehr ausdrücklich darauf, dass die älteren Dieselautos auf die bisher strengste Schadstoffnorm Euro 6 gebracht werden müssen. Vielmehr nannte er als Ziel jetzt nur noch die Einhaltung des Luftreinhalteplans und dass die Nachrüstung „klappt“. Das eröffnet Spielräume, die nun ausgelotet werden.

Die Industrie

In der Industrie laufen nun die Drähte heiß. Die Chance, ein Fahrverbot doch noch zu vermeiden, darf sie sich im Grunde nicht entgehen lassen. Deshalb wird nun fieberhaft überlegt, wie man den technischen Aufwand für die Nachrüstung begrenzt, ohne Kretschmanns Kompromissbereitschaft über Gebühr zu strapazieren. Als Treiber tritt ausgerechnet der VW-Konzern auf, der sich durch den massiven Druck in den USA bereits einiges Know-how erarbeitet hat.

Eine delikate Frage

Nach Informationen unserer Zeitung läuft die Diskussion unter den Herstellern gegenwärtig darauf hinaus, dass die Branche anbieten könnte, Autos mit Euro-5-Werten so zu verbessern, dass sie zwar nicht zwingend die Euro-6-Norm erreichen, deren strenge Werte ohnehin nur auf dem Rollenprüfstand gelten. Im Gegenzug könnten die Hersteller der Politik anbieten, die Nachrüstung so anzugehen, dass sie für messbare Verbesserungen auf der Straße statt auf dem Prüfstand führt – vor allem unter Bedingungen, wie sie in Innenstädten vorherrschen.

Mit solchen Autos, so die Argumentation, lasse sich schneller ein Beitrag zur Einhaltung der Schadstoff-Grenzwerte in der Stuttgarter Atemluft leisten als mit Fahrzeugen, die zwar strengere Normen erfüllen, aber weiter für den Prüfstand optimiert sind. Damit, so die Erwartung, könne Kretschmann auch vor der Justiz, bei der die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Fahrverbote einklagen will, eher punkten als mit dem Beharren auf den Euro-6-Normen, die ja wegen ihrer Realitätsferne in der Kritik stehen.

Die Autokäufer

Eine delikate Frage liegt den Herstellern allerdings weiter im Magen – die Frage, wer für die Nachrüstung bezahlt. Eine Finanzierung über Steuererleichterungen wäre für Unternehmen am schonendsten – doch das öffentliche Echo könnte verheerend ausfallen. Schließlich könnten die Autohersteller dann dastehen wie die Bonusbanker, die vom Steuerzahler rausgehauen werden. Auto-Professor Stefan Bratzel von der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach sieht die Politik dennoch mit im Boot: „Ich halte es für realistisch, dass am Ende die Industrie und der Staat je um die 1000 Euro beisteuern und der Halter mit einigen Hundert Euro dabei ist.“ Die Beteiligung des Staats lasse sich durchaus begründen – schließlich habe sich das Ganze unter den Augen der Politik abgespielt. „Die Politik kann jetzt nicht so tun, als sei sie von alledem kalt erwischt worden.“

Die Regeln

Doch es gibt es noch eine weitere Voraussetzung, damit der Diesel wieder salonfähig wird: Auch von den Autos, die der strengsten Norm Euro 6 entsprechen, sind einige durch hohe Schadstoffwerte aufgefallen, wenn sie nicht auf dem Prüfstand, sondern im laufenden Verkehr getestet wurden. Die Sorge, dass auch Euro-6-Diesel unter ein Fahrverbot fallen könnten, dürfte dazu beitragen, dass sich auch diese inzwischen schlecht verkaufen.

Mehr Sicherheit wird es wohl erst geben, wenn die sogenannte Euro-6d-Norm greift, nach der neue Modelle ab September diesen Jahres und Neuzulassungen älterer Baureihen ab September 2019 auch auf der Straße getestet werden müssen. „Wenn im realen Verkehr gemessen wird, gibt es keine Möglichkeit mehr, die Autos auf die Prüfungssituationen vorzubereiten“, sagt ein Automanager und klingt dabei fast erleichtert. Sehnsüchtig wartet die Branche auf engere Fesseln, damit sie nicht mehr über die Stränge schlagen kann.