„Andere Arbeitsmoral“: Tamilische Daimler-Mitarbeiter in „Two Times Tears“ Foto: Festival

Nicht ohne Grund ist Bollywood aus dem Namen des Indischen Filmfestivals Stuttgart verschwunden – die Zahl gut gemachter Independent Filme, die das „echte“ Indien zeigen, steigt stetig.

Stuttgart - Eine Brücke zwischen Indien und Deutschland zu bauen ist nicht möglich. Man kann nur versuchen, auf die andere Seite zu schauen. So weit das Statement eines jener Daimler-Manager, die der Filmemacher Tom Uhlenbruck für seinen Dokumentation „Two Times Tears“ 24 Monate lang beim Aufbau der Lkw-Fabrik in Chennai/Südindien begleitet hat. Ein offenes, ein bitteres Wort vor der Kamera – die Zuschauer beim 12. Indischen Filmfestival Stuttgart im Metropol-Kino wirken bedrückt.

Fünf Tage lang suchen die Freunde des indischen Filmes, die oft auch Freunde Indiens sind oder selbst indischer Abstimmung, das Verbindende der Kulturen. Denn schon lange haben Kurzfilme wie „Seek And Hide“, „The Space Between“ und Langfilme wie „The Quest – Ringan“ und „The Wretched – Haraamkhor“ Streifen im Bollywood-Stil verdrängt, präsentieren cineastische Insiderblicke das „echte Indien“.

In „Seek And Hide“ folgt Filmemacher Manoj Kumar Nitharwal dem jungen Sid aus guter Familie, der in einem Slum zum Voyeur wird. Gegen einen Obolus beobachtet er einen Polizisten, der für sich selbst Rechtsfreiheit in Anspruch nimmt, eine junge Frau vergewaltigt und zuletzt von ihr erschlagen wird.

Die bittere Realität des armen Indiens zeigt auch der Kurzfilm „One Night – Oru Iravu“ von Balajee K. S., in dem wiederum ein Polizist zu Hause einen bösen Ehestreit anzettelt, um anschließend in der südindischen Stadt Chennai mehrere Drogendealer zu jagen und Zeuge zu werden, wie einer von ihnen verblutet. In der sehr real gespielten Szene telefoniert das Opfer mit seiner ahnungslosen Ehefrau; die Kamera zeigt sie zu Hause mit ihrem kleinen Kind. Kattamuthu, der Polizist, kehrt geläutert nach Hause zurück.

Berührend erzählt Makarand Mane in „The Quest“ eine Vater-Sohn-Geschichte. Die bedingungslose Liebe des Kindes schenkt dem Vater trotz auswegloser finanzieller Situation Kraft.

Liebe, Rache, Läuterung: Der Kinobesucher kann sehr wohl auf der Brücke dieser universellen Gefühle von Deutschland nach Indien gehen – was zugegeben bei einer 700- Millionen-Euro-Investition wie der Daimler-Lkw-Produktionsstätte in Chennai andere menschliche Dimensionen haben mag. Dokumentarist Tom Uhlenbruck begleitet nicht nur deutsche und indische Manager, sondern auch deren Gattinnen. Und die haben Luxussorgen – da sucht eine in einem riesigen Supermarkt, dessen Produkte vermutlich ein ganzes indisches Dorf für einige Zeit ernähren könnte, vergeblich ein deutsches Spezialwaschmittel „für Toplader“.

Uhlenbruck wertet nie, er liefert aussagekräftige Szenen und überlässt die Meinungsbildung den Zuschauern. Tamil, eine der Sprachen, die in Chennai (Bundesland Tamil Nadu) gesprochen wird, kennt in seiner Bedeutung keinen Anfang und kein Ende – alles sei „fließend“. So erklärt einer der deutschen Manager den Umstand, dass tamilische Arbeiter eine „andere Arbeitsmoral“ hätten als deutsche.

Urkomisch wirkt in einer Szene das Entsetzen eines Managers, als er feststellt, dass die indischen Arbeiter „schon wieder eine Pooja“ (rituelle Handlung, um Gott zu danken) machen wollen. „Wir hatten doch erst vor zwei Wochen eine Pooja“, stöhnt er. Und er erfährt, die aktuell geplante sei „eine Pooja für die Gerätschaften“. Über You Tube ist zu erfahren, das Produktionswerk der Daimler AG in Oragadam/Chennai sei „ein Paradebeispiel für unsere Global Excellence Strategie“ (O-Ton-Daimler). Tom Uhlenbrucks spannende Dokumentation erzählt von den Welten dazwischen.