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Seit 1996 haben Ernst Konarek und Gottfried Breitfuß 199 Vorstellungen von "Indien" gespielt. Am 12. Dezember um 20.15 Uhr ist die 200. und letzte Vorstellung im Theaterhaus.

Stuttgart - Ein Proll und ein Feingeist reisen als Schnitzel essende Restaurant-Tester durch das Land. Aus der Zwangsgemeinschaft wird eine Freundschaft. Seit 1996 haben Ernst Konarek und Gottfried Breitfuß 199 Vorstelllungen von "Indien" gespielt. Am 12. Dezember um 20.15 Uhr ist die 200. und letzte Vorstellung im Theaterhaus.

Herr Breitfuß, Herr Konarek, warum hören Sie auf?

Breitfuß: Weil man aufhören soll, wenn's am schönsten ist.

Aber schön war's doch auch schon die anderen 199 Male.

Breitfuß: Schon. Wir dachten aber, 200 ist eine runde Zahl und ein guter Zeitpunkt zum Aufhören.

Konarek: Es ist ja auch nicht gesagt, dass wir nicht noch einmal mit "Indien" auf Gastspiel gehen. Aber wir spielen seit 1996, und 13 Jahre sind eine lange Zeit, auch wenn wir das noch sehr gern spielen. Es ist ja nicht so, dass wir für immer auseinandergehen, aber ein Abschied tut immer ein bisschen weh.

Breitfuß: Das Aufhören lernen, das ist das Wesen von Theater. Bei jeder Vorstellung ist es immer das letzte Mal. Theater ist immer eine Sterbeübung. Das wär was, wenn es das geben könnte - das Sterbenlernen und dass man das Loslassen dürfen auch als einen erotischen Vorgang sehen könnte.

Vor dem Loslassen steht das Beginnen. Wie war Ihr Gefühl bei der Premiere?

Breitfuß: Es ist merkwürdig, aber wir haben tatsächlich schon kurz vor der Premiere gemerkt: Das lässt sich gut spielen.

Konarek: Dass wir es so lange spielen würden, haben wir nicht gewusst. Wir haben auch nicht viel probiert, vielleicht vier Wochen. Ich hab' das Stück zufällig bekommen und gesehen, es ist noch besser als der Film. Ich habe es Gottfried gegeben und dem damaligen Intendanten Friedel Schirmer. Ich kannte das Waldhorn noch von einer Wirtshausoper aus der Intendanz von Ivan Nagel. Wir haben also das Lokal besichtigt. Und das war's. Alle sagten super, machen wir. Bei der Premiere hatte ich aber eigentlich eine ganz andere Sorge als das übliche Lampenfieber.

Welche?

Konarek: Ich hatte eine Achillessehnenentzündung, einen Riss, der sich infiziert hat an der Hacke.

Breitfuß: Deine Satanische Ferse haben wir immer dazu gesagt.

Konarek: Ich habe da eben Bandagen getragen und immer gedacht: Hoffentlich reißt das nicht. Danach musste ich auch operiert werden.

Und Gottfried Breitfuß hat Sie im Krankenhaus besucht, so wie sein Bösel den todkranken Fellner besucht?

Konarek: Als Gottfried zu Besuch kam, war das sehr schön und besonders, das hatte so was.

Breitfuß: Das war eine Szenerie fast wie im Stück, da gab's auch eine Baustelle und Lärm, grotesk. Den Teil des Stücks mag ich sehr, je grausiger, desto toller. Wie die beiden das vertuschen, dass man sterben muss. Ich mag die Momente, wenn meine Figur gläsern und fein wird, wenn der Bösel lacht, aber eben über etwas anderes als er zugibt. "Wenn man an den Tod denkt, wird alles lächerlich", hat Thomas Bernhard gesagt. Und das zu spielen ist jedes Mal eine große Freude. Wir schenken uns da nichts.

War von Anfang an klar, wer wen spielt?

Konarek: Das war völlig klar! Ich bin der Feinsinnige (lacht). Nein, es war überhaupt keine Frage, ich weiß nicht mal, ob wir darüber nachgedacht haben. Ich glaube, wir haben nicht mal darüber geredet.

Wie ist das, so lange im selben Stück mit einem Kollegen zu spielen?

Breitfuß: Das habe ich noch nie gemacht. Wir haben danach auch einige andere Sachen zusammen gemacht, alles Früchte dieser Arbeit. Es ist ein großes Glück, und ich fühle mich sehr beschenkt von dieser Freundschaft mit Ernst. Wir haben viel Leben verbraucht zusammen, wie es bei Claudel heißt, und ich fühle mich sehr beschenkt.

Konarek: Es war immer so: Wir haben es uns immer schön gemacht vor der Vorstellung, haben immer zusammengesessen und natürlich über Inszenierungen geredet und über private Sachen. Es ist eine Freundschaft geworden, die vielleicht eine ähnliche Tiefe hat wie die von Bösel und Fellner.

Von welcher Szene wird Ihnen die Trennung schwerfallen?

Konarek: Von manchen Sätzen bestimmt. "Warum bin ein Mensch geworden und der andere nur ein Hendl", zum Beispiel. Oder als sie über Gleichberechtigung reden und feststellen, dass die Frage sich so nicht stellt, weil man eh immer wieder geboren wird, mal so, mal so, und dann sagen: Deshalb verbrennen sie auch die Witwen, damit sie schneller ein Mann werden. Wie sich das Thema Geschlechterverkrampfung da entkrampft, das find ich sehr schön. Ich mag auch, wenn der Fellner sagt, dass er froh ist, dass der Bösel am Bett sitzt. Der Bösel fragt: "Warum?", und der Fellner sagt: "Weil du nix verstehst."

Das macht auch den Erfolg aus, dass es ein so gutes Stück mit großartigen Dialogen ist.

Breitfuß: Das Stück hat einfach eine enorme Bandbreite. Es ist burlesk, komisch, tragisch, sehr voll. Solche Stücke wachsen nicht auf den Bäumen. Es ist eine Arbeit, von der ich sagen kann, dass sie sich auch emotional bezahlt gemacht hat. Der Erfolg und die Freude werden auch vom Publikum geteilt.

Konarek: Ja, die Arbeit gehört zu den vier bis fünf Sachen, von denen man sagen kann: Die hat man total erwischt. Das liegt eben auch daran, dass "Indien" eines der besten Stücke ist, die es nach dem Zweiten Weltkrieg gegeben hat.

Was ist das Besondere?

Konarek: Man erfährt schreckliche Sachen, die einem wehtun, und man kann dabei immer noch lachen. Es ist eine wunderbare Geschichte von einer Freundschaft zweier Männer, die nicht zusammenpassen und die sich doch in ihrer Einsamkeit finden. Wenn Fellner im Krankenhaus liegt und stirbt, ist Bösel der Einzige, der bei ihm ist. Das ist der letzte große Dienst, den man einem Menschen erweisen kann.

Wie hat sich das Publikum verändert?

Konarek: Nicht so sehr. In der Rosenau waren sie anfangs snobby, danach war's gut, auch im Theaterhaus ist das Publikum immer sehr gemischt.

Breitfuß: Es gibt inzwischen Stammgäste, das merkt man an den Vorreaktionen bei Witzen. Manche bringen schon ihre Kinder mit. Sie sind zum Familienstück geworden, diese bösen Blumen der österreichischen Poesie. Das Stück hat ja bald eine Art Kultcharakter bekommen. Da kamen auch solche Kulturmenschen. Damen, wo man nicht wusste, ist das ein Kleid oder ein breiter Gürtel? Das war lustig zu sehen, wie diese Damen da im Waldhorn neben einem Metzger aus der Nachbarschaft saßen. Es waren immer auch Gäste von der Straße da.

Die Gäste haben ja meistens auch Schnitzel und Kartoffelsalat bestellt. Können Sie das überhaupt noch essen außerhalb der Bühne?

Konarek: Sehr gern, ich ess auch gern panierten Karpfen. In Zuffenhausen haben wir immer an die armen Leute gedacht, die während der Vorstellung diese Schnitzel essen mussten. Das war Überlebenstraining. Wir haben sie uns nach einer Weile von der Requisite bringen lassen.

Breitfuß: Im Waldhorn hatte der Ort viel mit dem Stück zu tun. Als Restauranttester, die wir spielen, gab es viel, das wir da wohl auch moniert hätten. Die Toilette neben der Küche, die Gerüche. So ein 50er-Jahre-Raum färbt immer zurück. Aber das Stück ist so gut, das können Sie auch in einer Turnhalle spielen.

Gab es andere Pannen als die schlimmen Schnitzel?

Konarek: Gottfried hat mal die Erdbeeren vergessen, die er mir bringt, wenn er ins Krankenhaus kommt.

Breitfuß: Und es gibt da einen Koffer, in dem der Fellner alle Sachen drin hat, auch Trivial Pursuit. Einmal ist da die Zahlenkombination des Sicherheitsschlosses verrutscht. Ich bin von der Bühne abgegangen, habe eine Zange geholt und den Koffer mit Wucht und Wut aufgemacht. Das Kofferl war ruiniert, aber das Stück wär' ohne das Spiel aus dem Koffer sonst nicht weitergegangen.

Wie hält man über mehrere Jahre die Spannung solch einer Inszenierung?

Konarek: Ich habe mir kürzlich ein altes Video angesehen. Wir sind älter geworden, aber wir spielen nicht viel anders. Gottfried und ich sind da sehr präzise. Gerade bei diesem Stück ist es wichtig zu spielen, was drinsteht, statt es künstlich gegen den Strich zu bürsten.

Breitfuß: Wir haben immer wieder darüber gesprochen, was noch zu verbessern ist. Das ist ein Wesenszug des Theaters: die Wiederholbarkeit und die Variation. Es ist nur scheinbar eine Wiederkehr des Gleichen, so ein Abend ist situativ immer wieder anders, das ist das Interessante.

Wie bereiten Sie sich auf die letzte Vorstellung vor?

Konarek: Gottfried und ich haben ein Ritual: Wir treffen uns vor jeder Vorstellung, schauen nach den Requisiten, gehen den Text durch, und dann sagen wir einen Spruch, den ein älterer Kollege immer gesagt hatte vor der Premiere: "So, jetzt nehmen wir uns nichts mehr übel."