Ein unterernährtes Kind in Sanaa in Jemen. Ein Bürgerkrieg hat die Nahrungslieferungen gekappt. Foto: dpa

Weltweit bahnt sich ein Rückschlag im Kampf gegen den Hunger an. Es sind Fortschritte erzielt worden, aber 50 Ländern droht, dass sie das Ziel „eine Welt ohne Hunger“ bis 2030 nicht erreichen werden.

Berlin - Es gibt Erfolge im Kampf gegen die Unterernährung. Im Welthungerindex 2018, den die Deutsche Welthungerhilfe am Donnerstag gemeinsam mit der irischen Hilfsorganisation Concern vorgestellt hat, ist der Senegal so ein leuchtendes Beispiel: In allen vier Punkten – Kindersterblichkeit, Unterernährung, Wachstumsverzögerung, Auszehrung –, die in den Hungerindex einfließen, hat sich das westafrikanische Land stark verbessert. Der Index ist auf der 100-Punkte-Skala von fast 30 im Jahr 2000 auf 17,2 aktuell gefallen, das ist ein ähnlich guter Wert wie der von Bolivien; eine Null würde bedeuten, dass es überhaupt keinen Hunger gibt. Blickt man in das von der hohen Arbeitsmoral der muslimischen Bruderschaft der Muriden inspirierte Land Senegal und hört beispielsweise den Bauern Djiby Mbaye aus dem Norden, dann ist da eine Erfolgsgeschichte: Sein Dorf habe mit Hilfe von Bewässerungskanälen die landwirtschaftlich genutzte Fläche erweitert von 50 auf 2000 Hektar: Große Erfolge habe man mit Süßkartoffeln, Kirschtomaten für den EU-Markt und Erdnüssen: „Wir sind auf einem guten Wege“, sagt Mbaye. Die Jugend müsse nicht mehr nach Europa auswandern, um ihr Glück zu suchen.

Im Welthungerbericht wird die Arbeit der Regierung des Senegal gelobt, denn die habe eine nationale Koordinierungsstelle für Ernährung geschaffen und in die Landwirtschaft investiert, die sie als wichtig Basis für das Wirtschaftswachstum sehe und in der 77 Prozent der Senegalesen beschäftigt sind. Allein die Produktion des Devisenbringers Erdnüsse ist binnen sechs Jahren um fast 300 Prozent gestiegen, hohe Zuwächse haben auch die Reis- und Melonenproduktion.

Die Statistiken sind erschütternd, sagt der Generalsekretär

Wo Licht ist, da ist aber auch Schatten. Aus der globalen Perspektive zeichnen die Autoren der Welthungerhilfe und von Concern eher ein düsteres Bild. „Die Statistiken sind so erschütternd wie ernüchternd“, sagt Mathias Mogge, Generalsekretär der Welthungerhilfe. „Etwa 124 Millionen Menschen leiden unter Hunger, ein markanter Anstieg gegenüber den 80 Millionen vor noch zwei Jahren.“ Hinzu komme, dass weltweit 151 Millionen Kinder von Wachstumsverzögerungen betroffen seien, unter anderem wegen Mangelernährung oder weil ihre Mütter im Teenageralter waren, als sie schwanger wurden, und selbst nicht ausreichend ernährt waren. 51 Millionen Kinder seien von Auszehrung betroffen, das heißt, ihr Gewicht ist bezogen auf ihre Größe zu gering.

Wegen drei Phänomenen – Klimawandel, Konflikten und schlechter Regierungsführung – drohten die Errungenschaften im Kampf gegen den Hunger verloren zu gehen, sagt Mogge. Laufe es weiter so wie bisher, sei das vor drei Jahren beschlossene Ziel, eine Welt ohne Hunger bis zum Jahr 2030 zu schaffen, nicht zu erreichen.

Wenige Wochen nachdem die Bill-Gates-Stiftung für das subsaharische Afrika einen Anstieg der Armut vorausgesagt hat, wird mit dem Welthungerindex 2018 eine zweite pessimistische Prognose für die Entwicklung gestellt. Zwar ist im globalen Durchschnitt der Welthungerindex seit 2000 um 28 Prozentpunkte gefallen auf einen heutigen Durchschnittswert von 20,9 Prozent. Aber Hunger sei regional sehr unterschiedlich ausgeprägt und im subsaharischen Afrika (29,4) sowie Südasien (30,5), wozu Länder wie Indien, Afghanistan und Myanmar gehören, sei die Hungersituation immer noch „ernst“ und im krassen Gegensatz zur verbesserten Lage in Lateinamerika, Osteuropa oder Südostasien.

„Die zehn Länder mit den weltweit höchsten Sterblichkeitsraten bei Kindern unter fünf Jahren liegen alle in Afrika südlich er Sahara“, heißt es im Report. Sieben davon gehörten zu den fragilen Staaten, sind also zerrüttet wie der Südsudan, Somalia oder die Zentralafrikanische Republik, die übrigens mit einem Welthungerindex von 53,7 Prozent das traurige Schlusslicht der Skala bildet. Seit 2012 leidet das einst vom blutrünstigen „Kaiser“ Bokassa regierte Land unter einem Bürgerkrieg zwischen muslimischen und christlichen Milizen, Banditentum und politischer Instabilität. Das Land und seine Hauptstadt Bangui gelten als so gefährlich, dass fast alle Botschaften dringend vor einer Reise dorthin abraten. „Existenzgrundlagen gingen verloren, Märkte wurden zerschlagen, die Ernährungssicherheit ist beeinträchtigt“, sagt die Studie.

Jemen ist auf dem drittletzten Platz gelandet

Konflikte und Kriege können Länder wortwörtlich lahmlegen: So ist der Jemen – Welthungerindex 39,7 und damit drittletzter Platz – auf Nahrungsmittelimporte angewiesen. Doch durch den Bürgerkrieg ist der Nachschub über die Häfen abgeschnitten, obwohl das Aushungern einer Bevölkerung laut Völkerrecht eigentlich verboten sei, wie die Mitautorin der Studie, Laura Hammond , betont.

Wie ein roter Faden finden sich im Bericht immer wieder Hinweise auf die Folgen des Klimawandels, etwa im südlichen Afrika, wo als Ursachen für die Unterernährung 2015 und 2016 das Wetterphänomen El-Nino genannt wird, das in vielen Regionen zu Dürren sowie Ernte- und Viehverlusten geführt habe. Oder aber in Haiti, wo zwar politisches Chaos, strukturelle Armut und das Erdbeben von 2010 die Misere verursachten, aber ein extremes Wetterphänomen – der Hurrikan Matthew in 2016 – die Not noch einmal vergrößerte. Die Karibikinsel Haiti, nur 1000 Kilometer von der US-Küste entfernt, habe „das höchste Hungerniveau in der westlichen Hemisphäre“, sagen die Autoren. Mit einem Welthungerindex von 35,4 sei die Lage „sehr ernst“ und Haiti liegt weit am Ende des Rankings.

Die großen Hungersnöte mit Millionen von Toten gehörten wohl der Vergangenheit an, glaubt Laura Hammond. Mit Frühwarn- und Reaktionssytemen, Notvorräten sowie „der nötigen Dosis politischen Willens“ müssten Dürren heute keinesfalls zu einer Hungersnot führen. Gute Fortschritte im Kampf gegen den Hunger wurden nicht nur in Angola und Ruanda, sondern auch im früher dürregeplagten Äthiopien gemacht – das belegt ihre These. Hammond aber ist besorgt über die von Menschen gemachte Ursachen der Not und sagt, Hunger sei eigentlich „politisch“: „Die Länder mit der schlimmsten Hungersituation im Jahr 2018 waren jene, die von Konflikten, politischer Gewalt und Vertreibung betroffen sind.“