Katrina Kaif am Set des Malsej Ghat in der Region Maharashtra Foto: Magnum

Urvashi Butalia ist Verlegerin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin. Sie weiß, dass vor Indiens Frauen noch ein weiter Weg liegt, aber auch, dass sie schon viel bewegt haben. Die Ausstellung „Women Changing India“ im Stuttgarter Haus der Wirtschaft zeigt den Stand der Dinge.

Stuttgart. - Frau Butalia, Ihr größter Erfolg als Verlegerin ist die autobiografische Geschichte eines Hausmädchens, das einen doppelt so alten Mann heiraten muss, mit 14 schwanger wird und sich von ihrem gewaltbereiten Mann befreit, nach Neu-Delhi absetzt und schließlich Erfolg durch das Schreiben erlangt.
Es ist eine starke Geschichte, die viele anspricht. Jede arme Frau in Indien hat die unstillbare Sehnsucht, ihr Leben zu ändern. Die indischen Frauen kämpfen hart dafür. Die Autorin Baby Halder spricht vielen aus der Seele. Daher kommt der Erfolg des Buchs. Sie erzählt die Geschichte von vielen Frauen, gibt ihnen Mut. Dann wurde das Buch auch noch ein internationaler Erfolg. Das bedeutete für mich als Verlegerin natürlich viel – eine arme, ungebildete Frau hat nicht nur ihr Leben verändert, sondern auch das unseres Verlags. Durch das Geld, das das Buch eingebracht hat, können viele andere Bücher veröffentlicht werden.
Der Büchermarkt in Indien ist groß und unübersichtlich.
Wir veröffentlichen in 22 oder 23 Sprachen. Die meisten Bücher erscheinen in Hindi und in Englisch. Wenn man einen Bestseller in Englisch veröffentlicht, ist man bei gut 700 000 oder 800 000 Exemplaren.
Die Bilder der Ausstellung „Women Changing India“ zeigen starke Frauen, die ihr Leben verändert haben, die Lokführerinnen, Polizistinnen, Filmschaffende und Politikerinnen geworden sind. Wie verändern diese Frauen die Gesellschaft?
Jede Einzelne macht eine Veränderung aus. Das Problem ist die Größe des Lands. Indien ist so groß, dass die Auswirkungen kaum zu spüren sind. Die Bilder der Ausstellung zeigen Frauen, wie sie lernen, mit Macht umzugehen. Seit 1992 gibt es die Frauenquote in jedem Dorf. Frauen kümmern sich darum, dass Kinder zur Schule gehen, dass es sanitäre Einrichtungen gibt, dass das Gemeindezentrum funktioniert. Diese kleinen Dinge interessieren Männer nicht, haben aber viel mit Lebensqualität zu tun.
Die Herkunft spielt trotz der schönen Gegenbeispiele eine große Rolle in Indien.
Das stimmt. Ich beispielsweise bin in eine Familie hineingeboren, die nicht arm ist. Es geht aber um die Frauen, die dieses Glück nicht haben und dennoch ihr Leben ändern. Wenn man sich die Frauen anschaut, die Lokführerinnen, Taxifahrerinnen oder Tankwärterinnen werden, dann sind das Frauen, die nie ihr Haus verlassen haben – als Töchter oder als Ehefrauen. Und plötzlich machen sie eine Arbeit, die bisher von Männern dominiert war, und sie machen ihren Job gut. Diese Frauen sind Vorbilder für andere.
Die Familie spielt in Indien eine große Rolle.
Familie kann vieles sein – sie kann Unterstützung bedeuten, aber auch eine Falle sein. Die Familie ist auch ein Platz von furchtbarer Gewalt. Da unterscheidet sich der indische Feminismus vom westlichen: Wir tun die schrecklichen Seiten der Traditionen oft ab. Man kann die Familie aber nicht von der Hand weisen. Ohne Familie ist eine Frau in Indien komplett allein.
Wie geht es Indiens Frauen im Jahr 2015?
Wir haben große Erwartungen, dass sich viele Dinge ändern werden. Dass die neuen Gesetze, die in Kraft getreten sind, auch ihre Wirkung zeigen. Es gibt aber auch viele Bedenken, was die grundsätzliche Situation von Frauen in Indien angeht.
Von welchen Gesetzen sprechen Sie?
Das neue Gesetz gegen Vergewaltiger, bei dem die Täter härter bestraft werden. Das neue Gesetz zum Schutz vor sexueller Belästigung und auch das neue Gesetz in Sachen Erbe. Aber auch viele andere Gesetze, die nicht direkt Frauen betreffen, haben natürlich Auswirkungen auf das Leben der Frauen.
Indien machte in den vergangenen Jahren häufig Schlagzeilen mit Gewalt gegen Frauen.
Die Proteste danach waren sehr laut. Und daraufhin wurde das Sexualstrafrecht verschärft, auch wenn das schon zuvor immer wieder zur Diskussion stand. Über die Todesstrafe wird aber nach wie vor heftig diskutiert, auch wenn die Vergewaltigern laut Gesetz droht. Viele Feministinnen lehnen das ab. Dann gibt es noch viele andere Veränderungen, wie man medizinische Beweise sicherstellt, wie man Protokolle macht. Viel ist passiert. Auch darüber, wie man den Sexualkundeunterricht an Schulen anders gestalten könnte. Es wird zudem mehr darüber nachgedacht, wie man indische Städte für Frauen sicherer machen kann.
Zum Beispiel mit mehr Taxifahrerinnen.
Die gab es in Mumbai auch schon vor den Vorfällen im Dezember 2012. Es ist richtig, dass die großen Taxiunternehmen mehr Frauen angestellt haben. Einfach aber aus dem Grund, dass diese Arbeit nun auch Frauen möglich ist. Wenn man aber als Frau ein Taxi bestellt, kann man nicht davon ausgehen, dass man eine Taxifahrerin bekommt. Das wird alles von einem Computer gesteuert. Es gibt aber auch wenige Unternehmen, die ausschließlich für Frauen arbeiten.
Wie erklären Sie das, dass die Gewalt gegen Frauen in Indien zunimmt?
Ich sage es nicht gern, aber wenn man sich internationale Statistiken anschaut, steht Indien nicht so schlimm da. Das heißt aber nicht, dass man sich zurücklehnen kann. Auch nur ein Fall ist ein Fall zu viel. Es wird aber nicht richtig mit diesen Verbrechen umgegangen. Für die Opfer gibt es oft keine Gerechtigkeit, die Täter werden nicht bestraft. Indien hat eine starke Frauenbewegung, die die Fälle in den Mittelpunkt rückt. Das hat sich verändert. Vor allem seit Dezember 2012 wird mehr darüber berichtet. Das ist gut, denn der Druck auf die Regierung wächst. Es ist gut, dass sich immer mehr Frauen trauen, überhaupt zur Polizei zu gehen. Von außen betrachtet sieht es so aus, dass die Realität indischer Frauen voll von Gewalt und Opferrollen ist. Das ist nicht so. Genau das zeigt auch die Ausstellung.
Nach wie vor ist das bekannteste Klischee über Indien, dass es ein Land der Gegensätze sei.
In jedem Klischee steckt auch immer ein Funke Wahrheit. Indien ist ein modernes Land mit vielen Traditionen. Das widerspricht sich oft. Das sieht man in den Leben von Frauen. Das sieht man an den Fotos. Sie zeigen Frauen, die an der Spitze einer Bank stehen. Es gibt diese Lebenswege. Aber es gibt auch Unterdrückung und furchtbare Gewalt. Wie können diese beiden Realitäten nebeneinander existieren? Ich selbst habe darauf auch keine Antwort, obwohl ich mein ganzes Leben in Indien gelebt habe. Indien ist nicht nur ein sehr großes Land, sondern lebt auch noch in verschiedenen Jahrhunderten zur selben Zeit.
Was würden Sie sich für die Zukunft indischer Frauen wünschen?
Ich bin eine Optimistin. Wir indischen Frauen gehen keinen Schritt mehr zurück. Wir sind in einer Umbruchstimmung. Es geht nur noch voran. Wir haben eine gute Basis. Zumindest auf dem Papier. Mit einer Rechtspartei an der Spitze ist das alles schwieriger. Obwohl ironischerweise mehr Frauen als jemals zuvor in der Regierung sind. Es wird kein einfacher Kampf.

Info:

Urvashi Butalia ist Mitherausgeberin des Bild- und Essaybands zur Ausstellung „Women Changing India“. Sie wurde 1952 in Ambala, Indien, geboren. Sie studierte Literatur und Südasienwissenschaften in Neu-Delhi und London, arbeitete bei der Oxford University Press in Delhi. Mit Ritu Menon gründete Urvashi Butalia den ersten feministischen Verlag Indiens: Kali for Woman. Daraus ging ihr eigener Verlag Zubaan Books hervor.

Die Ausstellung: Es sind Bilder einer langsamen Revolution, die erstmals in Deutschland zu sehen sind. „Women Changing India“ ist bis zum 13. Februar im Haus der Wirtschaft in Stuttgarter zu Gast. Das Projekt wurde von der Bank BNP Paribas initiiert. Die Ausstellung wurde bereits in einigen Städten in Indien gezeigt, kam 2011 erstmals nach Europa, wo sie in Mailand, London, Brüssel und Paris vorgestellt wurde.