Esslingens Wahrzeichen: Der Dicke Turm Foto: Peter Petsch

Es könnte einem das Herz bluten: So schlechte Zeiten hat Esslingens Wahrzeichen, der Dicke Turm, wohl noch nie erlebt.

Esslingen - Es könnte einem das Herz bluten: So schlechte Zeiten hat Esslingens Wahrzeichen, der Dicke Turm, wohl noch nie erlebt. Seit die letzten Pächter des Restaurants Ende 2011 das Handtuch geworfen haben, ist der Zutritt verboten. Lediglich Spinnen scheinen sich im Innern wohlzufühlen und weben fleißig dichte Vorhänge gegen neue Eindringlinge. Die wird es vermutlich so schnell nicht geben. Denn die höheren Anforderungen und Ansprüche an Brandschutz, Fluchtwege und Küchentechnik erfordern Investitionen von mehr als einer Million Euro. Die Stadt als Besitzerin des Turms will dafür nicht gerade stehen. Und ein Pächter hat sich bisher nicht gefunden.

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Am Standort liegt das gewiss nicht. Kaum irgendwo im Mittleren Neckarraum ist die Aussicht so fantastisch wie von dort. Der Blick schweift ungehindert in die Ferne. Nichts bleibt dem Betrachter von hier aus verborgen – auch ein paar Bausünden nicht. Immerhin: Die Stadtverwaltung achtet mit Bedacht darauf, dass in der mittelalterlichen Innenstadt keine Dachfenster und -gauben eingebaut werden. Und dass die Dächer mit rotbraunen Ziegeln gedeckt werden und nicht mit den modischen anthrazitfarbenen. Alles andere wäre – von oben betrachtet – ein hässlicher Stilbruch.

Erstaunlicherweise haben die Esslinger für ihr fast 500 Jahre altes Wahrzeichen nie einen richtigen Namen gefunden – es ist eben der Dicke Turm. Gebaut wurde er 1527. Allerdings, vermutet Peter Hövelborn, dass im Keller noch Reste des Vorgänger-Turms erhalten sind. Hövelborn war fast 20 Jahre lang städtischer Denkmalpfleger und kennt die Historie der Mittelalter- und Freien Reichsstadt aus dem Eff-Eff. „1240 war die erste Ummauerung der Stadt abgeschlossen“ – aus dieser Zeit sind im Keller des Turms noch Stubensandsteinquader erhalten.“

Der Dicke Turm gehört zur Esslinger Burg – die nie eine Burg war. Vielmehr wird der Burghof nur von der Stadtmauer gesäumt. Der Turm sitzt auf der Mauer aus dem 13. Jahrhundert. Sie schützte die Stadt nach Norden gegen Eindringlinge. Doch 1519 fuhr Herzog Ulrich schweres Geschütz auf. Nördlich und östlich dieser Mauer wurden Palisaden und Gräben angelegt, um den Herzog in Schach zu halten. Diese Nord- und Ostflanke wurde dann bis 1530 als neue Stadtmauer angelegt und hochgebaut. Es deute viel darauf hin, so Hövelborn, dass Albrecht Dürer beteiligt war. Die Entlastungsbögen und der Rauchabzug im Turm trügen dessen Handschrift.

Wann immer Esslingen angegriffen wurde, das Kommando wurde von der Hochwacht aus geführt, die ebenfalls auf der alten Stadtmauer sitzt und mit dem Dicken Turm durch den Seilergang verbunden ist. Im Turm selbst wurden hinter fast fünf Meter dicken Mauern auf vier Etagen Kanonen positioniert. Skurrilerweise hatten sie sogar Namen, wie Peter Hövelborn belegen kann: Die so genannten Schlangen hießen Drache, Löwe oder Schwarzer Bock, vermutlich um bei den Einsatzwirren möglichst klar die Befehle führen zu können. Die kleineren Falkonetten hießen Traube, Frosch oder Schwarzer Bock. Ein Gemälde im Kaisersaal des ehemaligen Reichsstädtischen Rathauses und heutigen Esslinger Amtsgerichts zeigt: Bis 1727 war der Dicke Turm noch vollständig erhalten. Nachdem allerdings 1802 Esslingen an Württemberg fiel, wurden die oberen Stockwerke schnöde als Baumaterial genutzt. 1887 wurde das Bollwerk mit einem Fachwerk-Turmhelm sowie einem Türmchen mit Laterne aufgestockt. So präsentiert er sich noch heute. Seine Blüte erlebte er jedoch in den 1970er- und 1980er-Jahren, als dort immer wieder Staatsempfänge abgehalten wurden. Jetzt ist von diesem Glanz nur noch wenig zu spüren. Hövelborn bezweifelt, dass sich je eine Spitzengastronomie dort ansiedeln wird. Die Investitionen sind zu hoch, die Parkplätze zu weit entfernt. Er hat deshalb eine andere Idee: Der Dicke Turm als Museum für seine eigene Geschichte. Der Burghof eigne sich prächtig für ein Picknick für Schulklassen. Und nebenan lädt die Burgschenke zur Stärkung ein.

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