USA, Austin: Demonstranten versammeln sich mit US-Flaggen vor dem texanischen Kapitol, um gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus zu protestieren. Foto: dpa/Eric Gay

Nicht alle Amerikaner sind mit den aktuellen Einschränkungen ihres Alltags einverstanden. Einige versammeln sich deswegen sogar zu Demonstrationen – und könnten den Ausnahmezustand damit verlängern. Die Motive für den Widerstand sind höchst unterschiedlich.

New York - Vor einer Ansteckung habe sie „überhaupt keine Angst“, die Schutzmaßnahmen kritisiert sie als übertrieben. „Es löst eine Wut in dir aus“, sagt die Republikanerin Melissa Ackison, die einen Posten im Senat des US-Staates Ohio anstrebt. Gemeinsam mit ihrem zehnjährigen Sohn und Dutzenden weiteren Demonstranten bezog sie Anfang der Woche Stellung vor dem Sitz des Gouverneurs, der in Ohio zur Pandemie-Bekämpfung Ausgangsbeschränkungen angeordnet hatte.

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Die Kundgebung in der Stadt Columbus war nicht die einzige in den vergangenen Tagen. Ob in Texas, Oklahoma oder Virginia – fast im ganzen Land versammelten sich kleinere und zum Teil auch größere Gruppen von Menschen, um gegen den „Lockdown“ zu protestieren. In einige Fällen handelte es sich dabei um Unterstützer von Präsident Donald Trump. In anderen Fällen steckten aber auch Impfgegner, Verschwörungstheoretiker oder rechte Splittergruppen hinter den Aktionen.

„Befreit Minnesota“

Trump jedenfalls drückte mit einer Serie von Tweets am Freitag seine Unterstützung für die Demonstranten aus, besonders in demokratisch regierten Staaten. „Befreit Minnesota“, „Befreit Michigan!“ und „Befreit Virginia“ schrieb er komplett in Großbuchstaben auf Twitter. Und das obwohl er nach eigenem Bekunden den Gouverneuren der einzelnen Staaten überlassen will, wann sie das öffentliche Leben wieder hochfahren.

Eine große Mehrheit der Amerikaner befürwortet die strengen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Doch die Minderheit derer, die den offiziellen Warnungen skeptisch gegenüberstehen, oder die angesichts der Folgen für das eigene Leben einfach frustriert sind, macht sich immer öfter bemerkbar. Durch offene Missachtung der Regeln wollen sie zuständige Gouverneure und andere Politiker unter Druck setzen.

Organisiert wurden die Proteste oft über Facebook-Gruppen, bei denen nicht immer klar ist, wer dahinter steckt. Teilweise hatten sie aber auch die Unterstützung von prominenten Großspendern der Republikaner.

„Make America Great Again“

Die bisher größte Kundgebung, vor dem Kapitol des Staates Michigan in der Stadt Lansing, erinnerte stark an eine der Wahlkampfveranstaltungen des Präsidenten – inklusive Trump-Fahnen und Baseballkappen mit der Aufschrift „Make America Great Again“.

Gesundheitsexperten warnen, dass eine allzu schnelle Aufhebung der Schutzmaßnahmen einen erneuten Anstieg der Infektionszahlen verursachen könnte. Trotzdem geben sich der Präsident und einige seiner Anhänger ungeduldig.In Lansing beteiligten sich Tausende, viele von ihnen innerhalb ihrer Autos, an dem Protest gegen die in Michigan von der demokratischen Gouverneurin Gretchen Whitmer angeordneten Beschränkungen. Vor dem Kapitol riefen sie in Sprechchören „Lock her up!“ („Sperrt sie ein!“) – genau wie es Trump und viele seiner Anhänger im Wahlkampf von 2016 mit Bezug auf seine damalige Rivalin Hillary Clinton taten.

Auf die Demonstranten angesprochen, hatte Trump bereits am Donnerstag Mitgefühl bekundet. „Sie leiden“, sagte er. „Sie wollen zurück.“ Bedenken, dass die Menschen durch ihr Missachten der Regeln das Gesamtrisiko erhöhen und sich nicht zuletzt selbst dem Virus aussetzen könnten, wies er zurück.

Ausdruck des Machtkampfes zwischen beiden Parteien

In einer aktuellen Umfrage von AP-NORC bewerteten die meisten US-Bürger Schutzmaßnahmen wie die Schließung von Schulen sowie von Bars und Restaurants und auch das Verbot von größeren Versammlungen positiv. Drei Viertel der Befragten hielten es für richtig, dass alle Menschen derzeit möglichst zu Hause bleiben sollten. Sowohl unter Demokraten als auch unter Republikanern stellte eine Mehrheit den Verantwortlichen in den Staaten und Städten insgesamt ein gutes Zeugnis aus.

Gerade in Michigan ist der Widerstand aber auch Ausdruck des Machtkampfes zwischen den beiden Parteien. Der jüngste Protest wurde von der Michigan Conservative Coalition organisiert, die enge Verbindungen zum Präsidenten hat. Whitmer zeigte sich, ebenso wie andere Politiker, wegen der Proteste besorgt. Möglicherweise hätten sie sogar dazu beigetragen, dass die Corona-Sperren noch länger beibehalten werden müssten, sagte sie. Allein in diesem Staat gibt es fast 30 000 bestätigte Infektionen, mehr als 2000 Todesfälle werden mit dem Virus in Verbindung gebracht.

„Hört auf, unsere Wirtschaft abzutöten“

Doch nicht nur Demokraten bekommen die zunehmende Wut der Unzufriedenen zu spüren. Am Mittwoch umkreiste ein Autokorso das Gebäude des von Republikanern dominierten Parlaments in Oklahoma City. An den Autofenstern oder auf Schildern prangten Aufschriften wie „Stop killing our economy“ („Hört auf, unsere Wirtschaft abzutöten“), „We need our church“ („Wir brauchen unsere Kirche“) und „time 2 work“ („Zeit zu arbeiten“). Zu den Organisatoren zählte Carol Hefner, die in Oklahoma Trumps Wahlkampf vor vier Jahren in zentraler Funktion unterstützt hatte.

Andere Versammlungen wurden eher von Randgruppen initiiert. Ein Protest in der texanischen Hauptstadt Austin, bei dem Parolen wie „Free Texas“ und „Make America Free Again“ skandiert wurden, konnte über eine Plattform des bekannten Verschwörungstheoretikers Alex Jones live verfolgt werden. An der Kundgebung in Ohio nahmen unter anderem Impfgegner, Befürworter eines liberalen Waffenrechts und Aktivisten der erzkonservativen Tea-Party-Bewegung teil.

„End the Lockdown PA

Die Aufrufe zu den Demonstrationen erfolgten vor allem über Facebook-Gruppen wie „Reopen Virginia“ oder, im Staat Pennsylvania, „End the Lockdown PA“. Bei einem Protest in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, betont die Teilnehmerin Kelly Mullin, dass bei dem Coronavirus die Infektionsgefahr von der individuellen Gesundheit abhänge. Ihrer Darstellung zufolge könnte sich ein jeder daher durch genügend Schlaf, frische Luft und den Verzehr von Bioprodukten schützen. „Ich meine, dafür sollten unsere Steuergelder verwendet werden. Esst Brokkoli“, sagt sie.

Während sehr viele Menschen nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus nur milde oder sogar überhaupt keine Symptome zeigen, gelten Patienten mit Vorerkrankungen sowie ältere Personen tatsächlich als besonders gefährdet. Nach Ansicht von Experten gibt es allerdings keine Hinweise darauf, dass der Verzehr von bestimmten Nahrungsmitteln eine Infektion verhindern könnte.