In der JVA Stuttgart-Stammheim liegt der Ausländeranteil mit über 70 Prozent am höchsten im Land Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Derzeit sitzen im Land mehrere Hundert Menschen mehr im Gefängnis als eigentlich Plätze vorhanden sind. Das löst Konflikte aus und stellt die Mitarbeiter vor Probleme. Justizminister Guido Wolf setzt auf Erweiterungen und zusätzliches Personal.

Stuttgart - Guido Wolf (CDU) nimmt kein Blatt vor den Mund. „Die Situation stellt uns vor große personelle wie auch räumliche Herausforderungen“, sagt der neue Justizminister auf Anfrage unserer Zeitung. Gemeint ist die Lage in den Gefängnissen im Land. Dort ist die Zahl der Gefangenen innerhalb von nur 15 Monaten um rund sieben Prozent auf 7098 gestiegen. Im geschlossenen Vollzug sitzen 6322 davon. Und genau hier liegt das Problem. Denn die Gefängnisse in Baden-Württemberg bieten eigentlich nur 6087 Haftplätze. Das bedeutet: Zusammenrücken in den Zellen.

Der Grund dafür: „Seit August 2015 ist die Anzahl Untersuchungsgefangener sprunghaft um knapp 30 Prozent angestiegen“, sagt Wolf. Nach einer Auswertung des Justizministeriums, die unserer Zeitung vorliegt, geht die Zunahme praktisch ausschließlich auf ausländische Gefangene zurück. Deren Anteil ist stark gestiegen, ihre Gesamtzahl liegt inzwischen bei 3123. Sie kommen aus 100 verschiedenen Nationen. Den höchsten Ausländeranteil weist dabei die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Stuttgart-Stammheim mit 73,5 Prozent auf. Dort sind überwiegend Untersuchungshäftlinge untergebracht.

Besonders auffällig: Zwar liegen bei den Inhaftierten ohne deutschen Pass nach wie vor Türken und Rumänen vorn, allerdings haben die Nationen, aus denen zuletzt viele Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, deutlich aufgeholt. Inzwischen stammen über 1100 Gefangene aus solchen Ländern. Binnen Jahresfrist hat sich etwa die Zahl der inhaftierten Gambier und Tunesier verdreifacht, die der Algerier, Marokkaner und Pakistani verdoppelt. Syrer und Afghanen spielen dagegen in der Statistik nur eine untergeordnete Rolle.

„Belegungs-Tsunami“

Der Landesvorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD), Alexander Schmid, bezeichnet den rasanten Anstieg der Inhaftierten binnen eines Jahres als „Belegungs-Tsunami“. Einen solchen habe es bereits in den 90er Jahren gegeben, als viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien einsitzen mussten. Vor allem der starke Anstieg bei den Untersuchungshäftlingen aus dem Ausland führe zu einer „drangvollen Enge“ in einigen Anstalten. So müssten mancherorts Einzelzellen mit zwei Personen und Doppelzellen mit drei oder vier Personen belegt werden – was wiederum zu Konflikten unter den Inhaftierten führe und Personal binde.

Der Belegungs-Engpass liegt aber nicht allein an der deutlich gestiegenen Zahl der Inhaftierten. Erschwerend hinzu kommt, dass die Sanierungsarbeiten in den Justizvollzugsanstalten (JVA) Stuttgart-Stammheim, Mannheim und Heilbronn andauern und das Land in den vergangenen eineinhalb Jahren trotzdem bereits mehrere kleine Einrichtungen geschlossen hat – aus Kostengründen. Sie seien teilweise alt, aber vor allen Dingen zu personalineffizient gewesen, heißt es aus dem Justizministerium.

Nach eigenen Angaben machte das Ressort im Jahr 2015 die Standorte Crailsheim (Außenstelle der Sozialtherapeutischen Anstalt), Kleincomburg (Außenstelle der JVA Schwäbisch Hall) sowie Sachsenheim und Pforzheim (beides Außenstellen der JVA Heimsheim) dicht. In diesem Jahr folgten darüber hinaus Ellwangen (Außenstelle der JVA Schwäbisch Gmünd) und die Frauenabteilung Heidelberg (Außenstelle der JVA Mannheim). Daran übt BSBD-Landeschef Schmid Kritik: „Das waren Kapazitäten, die derzeit fehlen.“

Hoffen auf neue Gefängnisgebäude

Justizminister Wolf rechnet damit, dass sich die Situation voraussichtlich Mitte 2017 mit der Fertigstellung der Baumaßnahmen in Stuttgart-Stammheim, Mannheim und Heilbronn entspannen werde. Dann stehen insgesamt 250 Haftplätze mehr als bisher zur Verfügung. Darüber hinaus kommt langfristig das geplante Großgefängnis in Rottweil hinzu, das für Wolf eine „große Bedeutung“ hat. Denn auch wenn im Zuge dieses Neubaus die bisherige JVA Rottweil und ihre Außenstellen in Hechingen, Oberndorf und Villingen-Schwenningen sowie voraussichtlich auch das Gefängnis in Waldshut-Tiengen geschlossen werden, bleibt am Ende ein Plus von weiteren 240 Haftplätzen. Man gehe Stand heute davon aus, dass das reichen wird.

Allein darauf verlassen will man sich im Justizministerium aber nicht. Eine seriöse Prognose zur weiteren Belegungssituation sei schließlich nicht möglich, heißt es dort. Deshalb will Wolf jetzt zumindest beim Personal rasch aufstocken: „Im Justizvollzug fehlen rund 120 Stellen, die im Rahmen der derzeitigen Haushaltsaufstellung beantragt sind“, sagt Wolf. Mit zusätzlichen Mitarbeitern könne man auch zur Sicherheit in den Gefängnissen beitragen.

Ob das genügen wird, bleibt allerdings abzuwarten. Zumindest, wenn sich der aktuelle Trend noch eine Weile fortsetzt, geht das Zusammenrücken in der Zelle weiter.