Gentleman im neuen Stuttgarter Club Im Wizemann Foto: Lichtgut/Volker Hoschek

Gentleman & The Evolution und Cidade Negra haben vor knapp 500 Besuchern den neuen Stuttgarter Club Im Wizemann eingeweiht. Dabei zeigte sich erneut: Die Stuttgarter Popkultur ist dann am stärksten, wenn sich die Hilfe der Stadtverwaltung darauf beschränkt, die Macher nicht unverhältnismäßig zu torpedieren.

Stuttgart - Seit dem Wegfall des Liveclubs Die Röhre im Jahr 2012 klaffte eine Lücke in der Stadt: Musiker, die mehr als 300, aber weniger als 1200 Zuschauer sehen wollten, zogen seither oft an Stuttgart vorbei, da es schlichtweg keine geeignete Spielstätte mehr für sie gab. Für die Kultur einer Stadt ist das ein Verlust, auch weil gerade in dieser Kategorie die Weichen für die Popmusik gestellt werden.

Das Kulturamt der Stadt Stuttgart schien dennoch keine allzu große Not zu sehen, dies zu ändern. Man bemühe sich „fieberhaft“ um eine geeignete Location, ließ Kulturbürgermeisterin Susanne Eisenmann schon vor Jahren und immer mal wieder verlauten. Passiert ist nichts.

Der örtliche Konzertveranstalter Chimperator Live beziehungsweise dessen neu gegründete Firma STR Kultur- und Betriebs GmbH und die J. Wizemann GmbH stemmten das Unternehmen Im Wizemann nun ganz ohne Fieber, dafür mit Eigenkapital und Vision. Zwei Hallen, eine für knapp 600 und eine für 1300 Zuschauer. Die Leistung der Stadtverwaltung: wohlwollende Zustimmung, Entgegenkommen bei Baugenehmigungen und konstruktiver Austausch.

Es kommen gerade mal 500 Zuschauer

Zum Start am Samstagabend begrüßt der Veranstalter Bonoer aus Köln beziehungsweise „Grooves United“ dennoch gerade mal 500 Zuschauer. Gentleman, der kölsche Jong, der eigentlich Tillmann Otto heißt, füllt mit seinem Reggae-Pop normalerweise weit größere Räume. Das bringt allerdings nichts, wenn vorher kaum einer von seinem Auftritt weiß. Auf den Freikarten für Mitarbeiter des Johanniter-Verbands steht „Witzemann“ – die Stimmung wäre aber auch ohne diese versehentliche Pointe gut gewesen. An der Bar im Vorraum herrscht reges Treiben, Neugier und viel „Aha!“. Die schicken Gläser dürfen allerdings nicht in den Konzertsaal. Das ist gut, falls mal miese Künstler auf der Bühne stehen.

Doch Gefahr droht am Samstagabend kaum – allenfalls die, von einer schwingenden Viva Con Aqua Fahnenstange erschlagen werden. Das wäre zumindest für einen guten Zweck. Viva Con Aqua baut Brunnen in Afrika. Wer den Verein unterstützen möchte, fordert sein Becherpfand nach dem Konzert nicht zurück, sondern gibt den Becher bei einem der Fahnenschwinger ab.

Cidade Negra aus Rio De Janeiro sind zu Hause Popstars. Derartige Sätze fallen oft, wenn sich die Frage stellt: wieso eigentlich? Reggae-Pop unterscheidet sich nur in Nuancen von der Hintergrundbespaßung in einem der Zelte am Stuttgarter Sommerfest. Dennoch: Vorwiegend brasilianische Frauen kreischen laut, wackeln mit den Hüften und feiern Cidade Negra mit der Kurzweil, die deren Musik hergibt. Eine Frau hält ihren Selfiestick in die Höhe und tanzt. Das Video wird wahrscheinlich sehr verwackelt werden.

Die Akustik ist fantastisch, der Sound glasklar

Der Sound, beziehungsweise die Technik – und auch das muss man dem Hallenbetrieber STR hoch anrechnen – ist aber fantastisch, trotz karger Wände und Industriecharme. Glasklar. Auf der Toilette rühmt sich derweil „Ramos“ von der „Kot Red Crew“, als erster Gast die Wände mit Edding vollgemalt zu haben. Den Stift lässt er im Waschbecken zurück, seine Intelligenz hat er vermutlich schon einige Zeit vorher in der Toilette heruntergespült.

Unterdessen ziehen Gentleman & The Evolution im Saal die Schraube an: mehr Dancehall, mehr Pop, Finesse und Feuer und ein agiler Sänger, der sich mit neunköpfiger Band quer durch das eigene Œuvre zappt. Seine Stimme ist leider nur selten deutlich zu hören, wenn sich seine in der Kreolsprache Patois gesungen Zeilen förmlich überschlagen.

„Eine komische Welt, in der Gutmensch zum Schimpfwort geworden ist, oder?“ sagt Gentleman und eröffnet mit „Superior“ den Zugabenblock. Cidade Negra übernehmen auch noch mal, natürlich nicht ohne vorher über Fußball zu reden. Gentleman nimmt Sänger Toni Garrido in den Arm – als Entschuldigung für das 7:1 bei der WM. Garrido fängt plötzlich an zu springen und ruft dabei: „St. Pauli, St. Pauli“. Gentleman bremst ihn: „Nee, St. Pauli ist morgen, da sind wir in Hamburg. Das hier ist Stuttgart. Das ist der VfB!“. Einer im Publikum sagt: „Kickers, Alter!“ und rollt mit den Augen.

Ohne städtische Hilfe zum Erfolg

Mit Bob Marleys „Redemption Song“ erklären Gentleman und seine Band den Abend für beendet. Natürlich wirkt das, als würde eine Hardrock-Band als Zugabe „Smoke On The Water“ spielen. Doch „Redemption Song“ bleibt auch nach 36 Jahren brandaktuell. Das ist wohl das Schlimmste, was einen Protestsong widerfahren kann.

Das Wizemann ist eine der besten Ideen, die Stuttgart passieren konnte. Auch weil sich abermals zeigt: die hiesige Popkultur ist am stärksten, wenn sich die Hilfe der Stadtverwaltung darauf beschränkt, die Macher nicht unverhältnismäßig zu torpedieren.