Der Kopf von Fabian Gramling ist abgerissen – auf der Windschutzscheibe des Wahlkampfbusses lag die Patrone. Foto: privat

Zerstochene Reifen, abgerissene Beklebung und eine Patrone hinter der Windschutzscheibe des Wahlkampfbusses des CDU-Politikers. Kollegen reagieren bestürzt. Der Steinheimer Bürgermeister geht mit einem Post an die Öffentlichkeit.

Der Fund einer Patrone auf der Windschutzscheibe des Wahlkampfbusses vom CDU-Bundestagskandidaten Fabian Gramling löst im Landkreis Ludwigsburg Bestürzung aus. Die Bedrohung machte der Politiker selbst öffentlich. An dem Fahrzeug seines Vaters in Gemmrigheim waren zudem auf beiden Seiten die Folien mit seinem Gesicht abgerissen worden. Politiker aus verschiedenen Parteien äußerten sich inzwischen bestürzt über diese Art, Menschen einschüchtern zu wollen, die sich für die Demokratie engagieren.

 
Fabian Gramling (links) diskutiert über Klimapolitik bei einer Veranstaltung im März 2023. Foto: Simon Granville

Der Wahlkampf sei emotional viel aufgeladener als der vergangene – das sei ihm von Anfang an aufgefallen und stimme ihn nachdenklich. Tragen die Inhalte zur Polarisierung bei? Die CDU habe sich unter Friedrich Merz in der Migrationspolitik klar positioniert – das liege daran, dass in den vergangenen Jahren bei der Abschiebung von Straftätern zu wenig passiert sei. „Die Bürger wollen sehen, dass wir handeln.“ Inzwischen wählten selbst langjährige Migranten die AfD oder Mexikaner einen US-Präsidenten Donald Trump. Durch Ereignisse wie die von Magdeburg und Aschaffenburg sei Vertrauen verloren gegangen.

Persönliche Konsequenzen zieht Fabian Gramling aus dem Vorfall nicht. Er werde weiterhin keinen Security-Dienst zu Veranstaltungen mitnehmen, erklärt der Familienvater. Die Polizei hatte die Patrone in ihrem Bericht über den Vorfall nicht erwähnt. Die Beamten wollten das Projektil zunächst untersuchen, um niemanden unnötig zu ängstigen, erklärt Yvonne Schächtele, Sprecherin des Polizeipräsidiums Ludwigsburg. „Stand heute handelt es sich um die Patrone einer Schreckschusspistole.“ Inzwischen ermittele der Staatsschutz wegen Bedrohung und Sachbeschädigung.

Steinheimer Bürgermeister wendet sich an die Öffentlichkeit

Mittlerweile erklärten sich einige Politiker mit dem Abgeordneten solidarisch. Als „inakzeptabel“ bezeichnete in einem Meta-Post der parteilose Steinheimer Bürgermeister und Freie-Wähler-Kreisrat Thomas Winterhalter die Einschüchterung von Politikern, die sich haupt- und ehrenamtlich für das Gemeinwesen einsetzten: „Demokratie lebt vom Engagement.“ Die Bürger haben, so Winterhalter, die Chance, Kandidaten aus der Region zu wählen. Diese Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, verdiene Respekt – und keine Angriffe. Winterhalter kündigt an: „Mit Menschen, die den politischen Diskurs zerstören, gewählte Politiker beleidigen oder einschüchtern wollen, werde ich keinen Dialog mehr führen.“

Vertreter anderer Parteien stärken dem CDU-Mann den Rücken. „Ich schätze den Kollegen Gramling, er hat meine volle Solidarität, ungeachtet des Wahlkampfes“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoğlu aus Ludwigsburg. „Eine solche Aktion ist einfach schrecklich. Gewalt und Drohungen haben in unserer Gesellschaft keinen Platz, auch nicht im hitzigen politischen Wettbewerb. Ich hoffe, die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen.“

Grünen-Landtagsabgeordneter beobachtet Verrohung der Debatte

Er habe Fabian Gramling telefonisch kontaktiert, um sich mit ihm solidarisch zu erklären, berichtet Tayfun Tok, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Murr. „Ich beobachte eine Verrohung in der Debatte, der Ton verschiebt sich.“ Er frage sich, wie es so weit habe kommen können. Tok hält es für wichtig, mit Andersdenkenden im Gespräch zu bleiben. Auch er könne nicht verstehen, weshalb Straftäter wie der von Aschaffenburg noch jahrelang in Deutschland bleiben können. „Da muss sich etwas in unserem Strafvollzug ändern.“

Der Vorfall zeige, dass politische Auseinandersetzung zunehmend von Gewalt und Einschüchterung begleitet werde – das sei in einer Demokratie völlig inakzeptabel und müsse von allen Seiten verurteilt werden, sagt der AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hess.

Mehr Straftaten gegen Politiker

Anstieg
Die Straftaten gegen Mandatsträger und Vertreter politischer Parteien im Land Baden-Württemberg haben im Jahr 2023 deutlich zugenommen. 540 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger wurden laut polizeilicher Kriminalstatistik verübt, das ist ein Anstieg um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Gründe
Der Anstieg dürfte auch auf ein verändertes Anzeigeverhalten zurückzuführen sein, heißt es aus dem Innenministerium. 373 Taten ereigneten sich im Internet – das seien nahezu doppelt so viele wie 2022. Gewaltsame Übergriffe blieben die Ausnahme. Zweimal wurden Politiker tätlich angegriffen.