König Fußball thront über allem. Doch in Stuttgart und der Region gibt es mehr hochklassige Teams als den VfB. Sie tun sich schwer, sich zu behaupten. Verkümmert die Sportvielfalt? Wir beleuchten das Thema aus verschiedenen Perspektiven in einer Serie. Heute: der kulturhistorische Hintergrund.
Stuttgart - Wie tickt der Schwabe? Hat er nur Geld, um es nicht auszugeben? Knausern Unternehmen in der Region Stuttgart mehr als in anderen Gebieten im Land, wenn es um die Unterstützung von Sportvereinen geht? Hört man sich bei den Clubvertretern im Land um, dann ist die vornehme Zurückhaltung in Württemberg mehr als ein Klischee. „In weitaus strukturschwächeren Gebieten ist die Identifikation mit den Vereinen viel stärker ausgeprägt als bei uns“, behauptet Alexander Reil, der Geschäftsführer des Basketball-Bundesligisten MHP Riesen Ludwigsburg – und nennt ein Beispiel: „Wenn ein Sportfan in Stuttgart ein VfB-Spiel anschaut, sagt er: Ich gehe zum Fußball. Oder: Ich gehe ins Stadion. In Dortmund heißt es: Ich gehe zum BVB.“
Gestützt wird seine These vom Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger: „Der Querschnitt der Gesellschaft identifiziert sich im Ruhrgebiet oder in Sachsen stärker mit dem Sport, er hat dadurch eine andere Image-Qualität.“ Und die Denkweise der Menschen überträgt sich auf die Unternehmen: „Obwohl die Entscheidungsträger oft gar keine Schwaben sind, passen sie sich der Mentalität der Bevölkerung in der jeweiligen Region an“, stellt Basketball-Manager Reil fest.
Helmut Digel hält diese Zurückhaltung in der Hochleistungsregion um die Landeshauptstadt durchaus für kulturhistorisch begründet. „Der schwäbische Unternehmer denkt länger nach, und er denkt sehr viel wirtschaftlicher“, ist sich der Sportwissenschaftler und -soziologe sicher. Vermutlich hänge das mit der protestantischen Arbeitsethik von Max Weber zusammen, die in Württemberg vorherrschte und auf Enthaltsamkeit basiert. Digel: „Der Unternehmer engagiert sich für sein Unternehmen.“ Manche Firmen unterstützten am ehesten noch den kirchlichen Bereich. „In der Tradition der schwäbischen Unternehmen spielt der Sport keine zentrale Rolle“, weiß der langjährige Leichtathletik-Funktionär und ehemalige Bundesliga-Handballer aus Möhringen. Wenn, dann spielte sich die Leibesertüchtigung im Turnverein ab, auf ehrenamtlicher Basis.
Wirtschaftliches Kalkül spielte dagegen keine Rolle. Dies bestätigt auch Historiker Bausinger: „Die Unternehmen identifizierten sich mit dem idealistisch geprägten Freizeitsport.“ Für Digel steht fest: „Die meisten Unternehmer sind Mittelständler, die ihre Ausgaben und Einnahmen äußerst effizient zu kontrollieren wissen. Für viele von ihnen ergibt Sportsponsoring keinen Sinn, weil sich der Verkauf ihrer Produkte an spezifische Kunden richtet.“
In der Regel produziere das schwäbische Unternehmen eher für Großunternehmen, ist Zulieferer und benötigt nur einen sehr begrenzten Werbeetat. Insgesamt werde der Sport immer noch „als wichtigste Nebensache“ angesehen, findet Bausinger. „Der Sport ist kein Marktfaktor“, sagt Digel. Dabei sei die Sportindustrie für das Bruttosozialprodukt inzwischen wichtiger als die Landwirtschaft und die Pharmaindustrie. „Der Sport ist in allen modernen Volkswirtschaften unverzichtbar geworden“, erklärt der ehemalige Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). Für ihn steht außer Frage, dass während der wirtschaftlichen Krise der vergangenen Jahre der Sport ein überraschend stabiler Wirtschaftsfaktor gewesen ist – mit weltweit kontinuierlichem Wachstum.
Besonders schnell und groß ist Helmut Digel die zunehmende Bedeutung des Sports in China aufgefallen. Ganz im Gegensatz zu Baden-Württemberg ist dort die Sportindustrie ein staatlich relevantes Anliegen. Der Sportsponsoring-Markt wird damit immer wichtiger. Digel hat dies in den vergangenen Jahren mehrfach vor Ort beobachten können. Er ist Vorsitzender der Koordinierungskommission für die nächste Leichtathletik-WM im August in Peking, an der sich Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen beteiligen. Vor allem die Konsumgüterindustrie zeigt dabei großes Interesse.
Das alles ändert nichts daran, dass der Sport hierzulande auch mit anderen Bereichen konkurriert. „Das Leben spielt sich nicht nur im Fußball und Handball ab“, sagt Erwin Staudt, ehemaliger Präsident des VfB Stuttgart und früherer IBM-Manager. „Manche Unternehmen wie Würth oder Trumpf zeigen ihre Verantwortung für das Gemeinwesen auch durch ihr Engagement im kulturellen Bereich.“ Und was kulturhistorisch gewachsen ist, lässt sich nicht so einfach ändern.