Frauen der Sambaschule Em Cima da Hora während der Parade im Sambodrom in Rio de Janeiro zum Auftakt am Mittwochabend Foto: /William Volcov

In der Welthauptstadt des Karnevals haben mit zwei Monaten Verspätung die vier tollen Tage begonnen. Die nachgeholte größte Party der Welt ist ein Befreiungsschlag für die Millionen-Metropole.

Für Paulo Roberto da Silva (66) ist dieser Tag trotz seiner langen Erfahrung dann doch noch einmal etwas ganz anderes: „Nach zwei Jahren und zwei Monaten wieder die Bühne des Sambodroms betreten zu dürfen ist ein großes Privileg“, sagt da Silva. „Und völlig anders als alles, was ich in den letzten Jahren erlebt habe. Ich habe mehrere Freunde verloren, aber heute hat Gott uns erlaubt, hier zu sein und eine Party für die Leute zu feiern.“

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In dieser Woche werden in der Welthauptstadt des Karnevals die weltberühmten Umzüge nachgeholt. Im vergangenen Jahr fiel Karneval wegen der Pandemie aus, in diesem Jahr wurden die Umzüge wegen der Omikron-Variante und der daraus resultierenden Ungewissheit verschoben. Fast täglich meldeten während der Pandemie die Sambaschulen in den sozialen Netzwerken Todesfälle aus den eigenen Reihen. Insgesamt starben während der Covid-Pandemie fast 700 000 Menschen. Das hat auch die Sambaschulen hart getroffen.

Corona spielt bei den Auftritten der Sambaschulen eine große Rolle

Für Anderson dos Santos Souza (31) ist der Karnevalsauftakt deshalb der Tag, der den Sieg über die Pandemie markiert: „Wir haben so vieles durchgemacht, Verluste und Leid, trotzdem können wir nicht anders als die Freude am Glücklichsein leben.“ Am Mittwoch, dem Auftakt der vier tollen Tage im Sambodromo in Rio de Janeiro, gehört er zu den Ersten, die über den frisch grau gestrichenen Asphalt der Arena marschierten: „Wir haben so sehr für die größte Show der Welt, den Karneval in Rio de Janeiro, gekämpft“, sagte Santos Souza.

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Tatsächlich ist der nachgeholte Karneval so etwas wie ein Befreiungsschlag für die Millionen-Metropole. Das Thema Corona spielt bei den ersten Auftritten der Sambaschulen eine große Rolle. „Es lebe die Wissenschaft“ – Karnevalkönig Momo hat ein eigenes Schild mitgebracht. Auf der Rückseite feiert er das Gesundheitssystem SUS.

Der Karneval in Brasilien wird jedes Jahr politischer

Das ist ein Seitenhieb auf den rechtspopulistischen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, der während der Pandemie mit seinem Verharmlosungskurs nach Meinung seiner Kritiker eine Mitschuld an der verheerenden Zahl der Covid-Toten trägt. Bolsonaro, der Karneval nicht mag, ist – wenig überraschend – in der Arena unbeliebt. Tatsächlich sind einmal sogar Sprechchöre für Lula da Silva zu hören. Der frühere Präsident wird im Wahlkampf in diesem Jahr der Gegenspieler Bolsonaros – und hat gute Chancen auf einen Machtwechsel. Einige Zuschauer haben sogar Fahnen seiner Partei mitgebracht.

Der Karneval in Brasilien wird ohnehin jedes Jahr politischer: Zum Auftakt nahmen die Sambaschulen die Probleme des Nahverkehrs, der indigenen Völker, der Armut und der Umweltzerstörung ins Visier. „Stolz der Straßenverkäufer“ heißt das Kostüm, das Andreia Martins (34) für die Sambaschule Em Cima da Hora trägt.

Respekt ist eine der Stärken des Karnevals in Rio

„Ich vertrete heute die Straßenverkäufer in den Zügen und Bussen. Ich freue mich, dass wir hier heute ihre Arbeit würdigen, denn sie müssen sehr früh das Haus verlassen, um ihr tägliches Brot aus dem Verkauf im Nahverkehr zu verdienen“, sagt Martins. Respekt ist eine der Stärken des Karnevals in Rio.

Im tiefreligiösen Brasilien spielt natürlich auch Gott und Jesus beim Karneval eine Rolle. Unidos da Ponte setzte der 2019 heiliggesprochenen Ordensschwester Irma Dulce mit ihrem Auftritt ein Denkmal. „Die Schwester der Armen zu repräsentieren bedeutet, eine Frau zu repräsentieren, die das Elend des brasilianischen Volkes gespürt hat“, sagt Sängerin Millena Wainer, die während des Umzugs in ein Kostüm der Ordensschwester geschlüpft ist. „Sie war eine Frau, die sehr nah dran war an der Armut unseres Volkes und die den Menschen geholfen hat. Für mich ist das eine Ehre und eine große Emotion.“

Armut und Hunger sind in Brasilien wieder allgegenwärtig.

Auch das ist eine Botschaft in einem Land, in dem die katholische Kirche und evangelikale Gruppen einen Machtkampf austragen – und in der vor allem die Katholiken für den sozialen Einsatz stehen. Die Armutsrate ist in Brasilien durch die Pandemie noch einmal gestiegen, Armut und Hunger sind in dem südamerikanischen Land wieder allgegenwärtig.

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Traditionell beginnen in Rio de Janeiro die Sambaschulen der zweiten Ligen die Woche mit ihren Auftritten. Im Fokus stehen am Freitag und Samstag dann die großen traditionellen Schulen aus der Grupo Especial, der ersten Liga. Karneval in Rio de Janeiro ist eben auch eine Meisterschaft mit Auf- und Abstieg. Dann wird das Sambodromo ausverkauft sein.

Am Eröffnungstag musste sich der Karneval mit ungewollter Konkurrenz auseinandersetzen, die es so in einer normalen Karnevalswoche nicht gegeben hätte. Der Fußballklassiker zwischen Rios Kultclub Flamengo und Palmeiras aus São Paulo lockte 50 000 Zuschauer ins Maracanã-Stadion. Am Wochenende aber gehört der größten Party der Welt – wie die Brasilianer sagen – die gesamte Aufmerksamkeit.

Viele Covid-Tote in Brasilien

Impfungen
 Die Coronapandemie hatte im Februar 2020 Brasilien noch nicht erreicht, erst nach den Karnevalstagen hatte das Virus das größte südamerikanische Land fest im Griff. Geschätzt 700 000 Menschen starben in den vergangenen zwei Jahren, rund 80 Prozent der Bevölkerung sind mindestens einmal geimpft.

Verschiebung
 2021 wurde der Karneval komplett abgesagt, 2022 verschoben. Der Straßenkarneval in São Paulo soll in diesem Jahr im Juli nachgeholt werden.