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Wochenlang hat er für sich geworben, nun kommt's zur Entscheidung. Noch-Ministerpräsident Günther Oettinger kämpft im Europaparlament in Brüssel um seinen neuen Job.

Stuttgart/Brüssel - Wochenlang hat er für sich geworben, nun kommt's zur Entscheidung. Noch-Ministerpräsident Günther Oettinger kämpft im Europaparlament in Brüssel um seinen neuen Job als EU-Energiekommissar.

Der Termin ist ganz nach dem Geschmack von Oettinger. Landesvertretung in Brüssel: Oettinger hat zum Neujahrsempfang der Landesregierung eingeladen, 500 Gäste sind da. Und der Gastgeber scheint an seinem neuen Arbeitsplatz schon angekommen, obwohl er die Stelle noch garnicht hat. Er redet über die weltweite Wirtschaftskrise, analysiert die aktuellen Finanzprobleme der Griechen. Gut 15 Minuten dauert die Ansprache, der Auftritt wird mit viel Beifall bedacht. "Der Günther", meint einer danach, "wird die Sache in Brüssel gut machen". Unter den Zuhörern ist auch Günter Verheugen, der bisherige deutsche EU-Kommissar. Und selbst er scheint seine zuletzt kolportierten Zweifel am neuen deutschen Vertreter in der EU-Kommission abzulegen. "Ich habe ihm keine Ratschläge zu erteilen", sagt er im kleinen Kreis. Was so viel heißen soll wie: Oettinger wird die Sache schaukeln.

Davon geht der Stuttgarter auch selbst aus. "Ich fühle mich gut vorbereitet", sagt er. Die Energiepolitik sei "kein Neuland" für ihn, er habe in den vergangenen Wochen "viele Dossiers gelesen", habe sich "mit zahlreichen Spitzenbeamten und Abgeordneten" getroffen. Und doch weiß der gelernte Anwalt, dass er trotz seiner Werbetour durch die EU-Hierarchien die Anhörung vor dem EU-Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie nicht auf die leichte Schulter nehmen darf: "Ich nehme die Hürde sehr ernst."

Das Prozedere ist klar festgelegt: Erst wird Oettinger um 9 Uhr zehn Minuten lang seine Vorstellungen von der künftigen europäischen Energiepolitik darlegen, dann dürfen die Fraktionsvorsitzenden der Parteien reden. Und dann beginnt die eigentliche Herausforderung: Die 55 Ausschussmitglieder dürfen den 56-Jährigen aus Stuttgart ins Kreuzverhör nehmen. Der frühere Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, jetzt Europaparlamentarier, hat bereits angekündigt, dass er von Atomkraft-Anhänger Oettinger klare Aussagen zu den erneuerbaren Energien erwartet: "Baden-Württemberg hat sich bei der regenerativen Energie nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Das Land steht schlechter da als alle anderen Bundesländer."

Welche Themen sonst noch gefragt werden? Keiner weiß das. In Unions-Kreisen in Brüssel wird befürchtet, Oettingers berüchtigte Filbinger-Trauerrede könnte nochmal hochkommen. Andere gehen davon aus, dass das linke Lager den Kandidaten danach fragen wird, wie unabhängig oder abhängig er denn von der deutschen Bundeskanzlerin ist, die ihn für den Posten in Brüssel vorgeschlagen hatte. Wie auch immer: Drei Stunden wird das Kreuzverhör dauern. Dann ziehen sich die Fraktionsvorsitzenden des Parlaments zur Beratung zurück und werden ihr Votum in einem Brief an EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso abgeben. Allgemein wird ein "Ja" zu Oettinger erwartet, aber Insider warnen den Neuling vor Leichtsinn. "Das wird ein schweres Stück Arbeit", so ein erfahrener Parlamentarier.

Oettinger selbst mag an ein Nein - was zwangsläufig eine Blamage für die Bundeskanzlerin wäre und das Aus seiner politichen Karriere bedeuten würde - gar nicht erst denken. "Meine Chancen, den Posten zu bekommen, sind gut", betont er mehrfach und antwortet schmunzelnd, wie seine Vorbereitung ausssehen wird: Aufstehen um 7.20 Uhr, dann duschen, ein leichtes Frühstück, um 8.40 Uhr im Parlamentsgebäude eintreffen, im Wartezimmer Platz nehmen, nochmals die Krawatte prüfen. "Dann werde ich rausgehen und Rede und Antwort stehen."

Dass die Anhörung der Kommissions-kandidaten kein Selbstläufer ist, hat sich bereits gezeigt. Den Kandidaten aus Litauen, Algirdas Semeta, lehnte das EU-Parlament vorerst ab. Der Mann soll künftig für die Betrugsbekämpfung zuständig sein, überzeugt die Parlamentarier aber nicht. Nun soll es ein zweites Treffen geben. Aber von solchen Schwierigkeiten geht man im Oettinger-Lager nicht aus. "Der kommt durch", heißt es.

Um jeglichen Anschein von Abhängigkeit in der neuen Funktion zu vermeiden, kündigt Oettinger schon mal an, sich zum Amtsantritt am 1. Februar von seinen Aktien - 100 Daimler, 80 Post, 100 Telekom - zu trennen. "Es war mir schlichtweg zu mühselig, die fünf, sechs kleinen Aktienpakete im Wert von unter 100.000 Euro insgesamt angeben zu müssen, und deshalb werden die verkauft und das Ganze auf ein Sparbuch gelegt, Punkt", betont er und fügt hinzu: "Ich fühle mich in jeder Hinsicht und für jedes Amt unabhängig."