Dringend gesucht: Facharbeiter für das Baugewerbe. Foto: IG BAU

Die Bauwirtschaft im Kreis Esslingen steuert auf einen immer größeren Fachkräftemangel zu. 230 Stellen in der Banche waren im vergangenen Jahr durchschnittlich länger als drei Monate unbesetzt.

Esslingen - In seltener Einigkeit läuten die Industrie- und Handelskammer im Kreis Esslingen, die Kreishandwerkerschaft und die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (BAU) die Alarmglocken. Der Bauwirtschaft gehen die Facharbeiter aus, so lautet die eher einem Hilferuf denn einer Feststellung gleichende Botschaft.

Einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit zufolge sind kreisweit im vergangenen Jahr 230 Stellen in der Branche durchschnittlich länger als drei Monate unbesetzt geblieben. Das sind 29 Prozent mehr als im Vorjahr. Insgesamt waren im Kreis Esslingen im Jahresmittel 342 offene Bauarbeiterjobs gemeldet.

„Das ist ein Alarmsignal“, sagt der Bezirksvorsitzende der Industriegewerkschaft BAU Stuttgart, Mike Paul. Während die Baukonjunktur so gut dastehe wie zuletzt Ende der 1990er-Jahre, fänden die heimischen Unternehmen immer häufiger keine Fachleute mehr. „Vom Betonbauer über den Zimmerer bis hin zum Estrichleger fehlen Spezialisten in nahezu allen Bausparten“, klagt der Gewerkschaftsvertreter.

Der Fachkräftemangel brennt auf den Nägeln

Die IHK stößt vehement ins gleiche Horn. „Das Thema Fachkräftemangel brennt allen unseren Mitgliedsunternehmen inzwischen gewaltig auf den Nägeln“, sagt Christoph Nold, der Leitende Geschäftsführer der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen. Wie gewaltig, das zeigt ein Blick in den druckfrischen Konjunkturbericht für den Landkreis Esslingen. Dessen Überschrift, „Voll in Fahrt“, fasst die Einschätzung der Firmen zum anhaltenden Höhenflug der Wirtschaft im Landkreis treffend zusammen. Im selben Atemzug benennt der Bericht aber auch den Fachkräftemangel als das Risiko, das dieser Entwicklung am stärksten entgegenwirkt. Für 63 Prozent der Unternehmen ist demnach die (meist) erfolglose Suche nach qualifizierten Mitarbeitern das größte Problem – noch weit vor den hohen Arbeitskosten, den schwankenden Absatzmärkten im In- und Ausland oder den steigenden Rohstoffpreisen.

Alle Wirtschaftsbereiche eint ein immer enger werdender Spielraum, der von zwei Kennzahlen charakterisiert und gleichzeitig auch begrenzt wird. „Mit einer Arbeitslosenquote von 3,1 Prozent ist der Arbeitsmarkt im Kreis Esslingen praktisch leer gefegt. Demgegenüber stehen aber 30 Prozent aller Unternehmen, die Personal suchen“, benennen die IHK-Berichterstatter das Dilemma. Christoph Nold legt nach. „Tatsächlich haben wir in den vergangenen Jahren beobachten können, wie der Fachkräftemangel in der Rangliste der Risikofaktoren aus dem Mittelfeld auf Platz 1 geklettert ist“, sagt er.

Baugewerbe hat um 7,2 Prozent zugelegt

Trotzdem hat das Baugewerbe im vergangenen Jahr personell zugelegt. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit weist im Juni 2017 – neuere Zahlen liegen nicht vor – für den Kreis Esslingen 11 822 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus. Im Vergleichsmonat des Vorjahres haben nur 11 024 Beschäftigte eine Anstellung auf dem Bau gehabt. Mit einer Steigerungsrate von 7,2 Prozent liegt die Baubranche, gemessen an der Dynamik, an vierter Stelle der von der Arbeitsagentur insgesamt erfassten 20 Wirtschaftsbereiche.

„Das Thema Fachkräftemangel drückt auch bei den Handwerksbetrieben im Landkreis Esslingen auf die Stimmung, und zwar quer durch alle Gewerke “, bestätigt Jens Schmitt, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Esslingen-Nürtingen. Im Ringen um den Nachwuchs schicken die Handwerker vermehrt Ausbildungsbotschafter in die Schulen. Die jungen Leute, Absolventen oder Auszubildende im letzten Lehrjahr, sollen ihren Altersgenossen eine Ausbildung schmackhaft machen. Parallel dazu versucht die Kreishandwerkerschaft, einen Fuß in die Elternabende zu bekommen. „Wir wissen, dass die Eltern noch einen großen Einfluss auf die Berufswahl ihrer Kinder haben“, sagt Schmitt. Flyer, Imagekampagnen und Ausbildungsmessen flankieren die bundesweit angelegte Werbeoffensive.

Gymnasien mauern

Bei aller Mühe – eine Türe bleibt sowohl den Handwerkern, als auch der IHK bisher verschlossen. „Wir haben versucht, Zugang zu den Gymnasien zu bekommen. Das Ergebnis war enttäuschend“, sagt Schmitt. Ähnlich ist es Nold ergangen. „Unser Werben dort ist auf geringes Interesse gestoßen“, pflichtet er bei. Schmitt jedoch will nicht locker lassen. „Wir versuchen es über die politische Schiene noch einmal“, sagt er. Man müsse den Gymnasiasten deutlich machen, dass durch die Digitalisierung auch die Anforderungen an das Handwerk steigen würden. Zudem sei die Gesellenprüfung keine Sackgasse. „Da geht es weiter, in Richtung Betriebswirt des Handwerks oder in Richtung Meister“, sagt er.