Im Zeichen des Kreuzes: Der Evangelische Kirchentag in Berlin lockt Zehntausende an, die Gemeinden vor Ort aber schrumpfen. Foto: dpa

Statt die Kirche aufzubauen, werde sie gerade abgebaut, sagen die Kritiker. Doch die Schar der Gläubigen schrumpft und die Steuereinnahmen sinken. Darum will die Württembergische Landeskirche viele Pfarrstellen streichen – im Bezirk Ludwigsburg sollen es 4,5 sein.

Ludwigsburg - Zurzeit feiern die Protestanten in Berlin und Wittenberg Kirchentag. Das heißt, ein Großereignis reiht sich ans andere und die Medien verbreiten vor allem Bilder von Menschenmassen. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Alltag in der Evangelischen Kirche ganz anders aussieht: An der Basis ist von Massenzulauf längst nicht mehr die Rede. Die Gemeinden schrumpfen und die Gotteshäuser sind leer. In Stuttgart und Württemberg rollt die nächste Sparwelle über die Gemeinden hinweg. Dem „Pfarrplan 2024“ sollen auch in Ludwigsburg Pfarrstellen zum Opfer fallen – 4,5 von derzeit etwa 35.

Nicht überall im Ludwigsburger Kirchenbezirk schrumpfen die Gemeinden – und damit die Einnahmen über die Kirchensteuer. Es gibt auch glanzvolle Gegenbeispiele: etwa in Neckarweihingen oder in der Ludwigsburger Oststadt. Wo in den vergangenen Jahren größere Neubaugebiete erschlossen wurden, haben auch die Kirchen davon profitiert. Damit komme man aber nicht dauerhaft aus der Talsohle heraus, sagt der Stadtdekan Winfried Speck. Auf lange Sicht helfe nur Sparen.

Fusionen und Kooperationen

Hält der bisherige Abwärtstrend an, wird es 2024 im Kirchenbezirk nur noch 56 700 Protestanten geben – 2016 wurden noch 65 500 gezählt. Eine Trendwende ist nach Ansicht der württembergischen Landeskirche nicht in Sicht, sie legt ihren Hochrechnungen für das nächste Jahrzehnt und darüber hinaus einen gleichbleibenden Schwund von etwa zwölf Prozent bis 2024 zugrunde. Um sich schon jetzt dafür zu wappnen, wurde im April der sogenannte Pfarrplan 2024 vorgestellt. Im Kern handelt es sich dabei um eine Streichliste. Mit dem feinen Unterschied, dass in diesem Katalog zunächst nur mitgeteilt wird, wie viele Stellen wegfallen müssen, aber nicht wo. Die Antwort darauf müssen nun die einzelnen Bezirke selbst finden. Sie haben ein Jahr lang Zeit, um zu entscheiden, in welcher Gemeinde der Rotstift angesetzt werden soll.

Mit 4,5 Stellen falle die Kürzung für die Ludwigsburger vergleichsweise moderat aus, sagt Speck. Andere Bezirke müssten deutlich großere Einschnitte vornehmen. Das habe damit zu tun, dass Ludwigsburger Kirchengemeinden in Vorleistung gegangen sind: „Wir hatten schon 2013 kräftige Einschnitte vorgenommen“, sagt der Dekan. Außerdem habe es bereits diverse strukturelle Veränderungen gegeben.

So hätten die Erlöser- und die Paul-Gerhardt-Gemeinde in der Weststadt fusioniert, während die Auferstehungskirche Teile ihres Gemeindegebiets an die Friedens- und die Kreuzkirche abgegeben habe. Auch die Zusammenlegung der drei Freiberger Gemeinden sei beschlossene Sache; sie tritt am 1. Januar 2018 in Kraft. Weitere Fusionen gibt es auch in Remseck und Kornwestheim. Im Übrigen dürfe man sich jedoch von der scheinbar kleinen Zahl von 4,5 Pfarrstellen auch nicht täuschen lassen. Das sei keine Bagatelle: „Das wird die Kirchen und Gemeinden deutlich verändern“, sagt Speck.

Als der Pfarrplan Anfang April in der Bezirkssynode vorgestellt wurde, hatte der Schuldekan Johannes Christoph von Bühler kritisiert, dass dieser Prozess allen Grundsätzen zuwiderlaufe: „Wir sind angetreten, Kirche zu bauen und jetzt bauen wir sie zurück.“ Statt von einer Konsolidierung wolle er lieber von einem Trauerprozess reden. Man müsse diese Trauer zulassen, sagt der Stadtdekan: Veränderungen machten den Menschen immer Angst und man wolle die einzelnen mit ihrer Enttäuschung nicht allein lassen: „Der Weg ist nicht einfach, er ist mit Hindernissen gepflastert.“ Speck ist dennoch zuversichtlich: „Wir werden Auseinandersetzungen haben, aber wir haben auch den letzten Pfarrplan gemeistert.“

Um das zu schaffen, sei es wichtig, die Gemeindeglieder in den Prozess einzubinden. Zu diesem Zweck haben die Gemeinden dieser Tage Post bekommen. In den Briefen wird das Konzept noch einmal erläutert. Die Gläubigen sind nun aufgefordert, auf dieser Grundlage zu diskutieren und bis zum Ende der Sommerferien Stellungnahmen abzugeben. Erst dann wird der Bezirk beschließen, wo Stellen gestrichen werden. Das Ziel sei es, „ein möglichst konsensfähiges Konzept“ zu entwickeln, heißt es.

Viele Pfarrer gehen in Rente

Ob das gelingen wird, ist noch nicht ausgemacht. Bisher habe er „einen guten Eindruck“, sagt Dekan Speck, der auch damit für eine von allen getragene Lösung wirbt, dass er die Chancen herausstreicht, die ein solches Verfahren mit sich bringen kann. Wiederholt habe sich in ähnlichen Situationen gezeigt, dass das Infragestellen vermeintlicher Gewissheiten eine neue Begeisterung geweckt habe. „Es gibt damit auch eine Chance für neue Ideen“, sagt Speck, „für Projekte, für die man bisher vielleicht keine Verbündete hatte.“

Konkret überlege man sich, den Pfarrern Arbeit abzunehmen. Dazu gehöre sowohl, dass man noch mehr als bisher bei der Betreuung von Konfirmanden auf gemeindeübergreifende Gruppen setzt. Außerdem sei daran gedacht, noch mehr Verwaltungsaufgaben zu bündeln, sodass den Pfarrern mehr Zeit für Seelsorge und Liturgie bleibt.

Das eine Problem ist noch nicht gelöst, da dräut schon das nächste: Zwischen 2020 und 2030 werden in der württembergischen Landeskirche unverhältnismäßig viele Pfarrer in den Ruhestand gehen. Auch dafür rüstet man sich gegenwärtig mit neuen Konzepten. Doch sie werden wohl nicht verhindern, dass es zu Engpässen kommt.