Michelle Williams und Matthias Schoenarts in „Suite française“ Foto: Universum Film

Nicht zuletzt durch eine herausragende Besetzung – ­Michelle Williams als Lucille, Matthias Schoenaerts als Bruno von Falk und Tom Schilling als sadistischer Leutnant – gelingt es Saul Dibb, die poetische, klare Sprache der Vorlage von Irène Némirovskys zum Strahlen zu bringen, ihren Blick auf scheinbar Nebensächliches als Spiegel der ­Gefühlswelt ihrer Protagonisten in Bilder zu brennen.

Stuttgart - Die literarische Vorlage für diesen Film sind Episoden aus „Suite française“, dem fulminanten Romanfragment der russisch-französischen Kult-Autorin Irène Némirovsky. Anfang der 1940er Jahre verfasst, verbarg sich das handgeschriebene Manuskript vor seiner Entdeckung über 60 Jahre lang in einer Dachkammer in einem Koffer. Némirovsky konnte das auf fünf Teile angelegte Werk nicht vollenden. Sie wurde als staatenlose Jüdin von französischen Gendarmen verhaftet, den Deutschen übergeben und starb 1942 in Auschwitz. „Suite française – Melodie der Liebe“ isoliert den zweiten Teil („Dolce“) des vielseitigen literarischen Werks und nimmt ihn als Drehvorlage.

Eine junge Frau steht vor dem Fenster ihres Zimmers. Traumverloren blickt sie in die Ferne. Melancholische Klavierakkorde dringen aus dem Nebenraum, traurig und begehrend zugleich. Über ihr Gesicht huscht ein vorsichtiges Lächeln: „Seine Musik hat meine Seele geöffnet und das Licht hereingelassen.“ Die junge Frau heißt Lucille, sie ist Französin und lebt mit ihrer reichen, aristokratischen Schwiegermutter in Bussy, einem kleinen Ort in Frankreich. Der Klavierspieler heißt Bruno von Falk. Er ist Offizier der deutschen Wehrmacht und Teil der Kompanie, die den Ort 1940 requirierte.

Für die Franzosen eine schwierige Situation: Kein Kontakt zu den Deutschen ist die scheinheilige Parole, die die Älteren vorgeben. Doch die jungen Frauen wagen immer öfter heimliche Blicke auf die blonden Siegertypen. Und Bruno ist sowieso ganz anders. Sein spitzbübisch wirkendes Lächeln, seine Liebe zur Musik – als er Lucille zum Tanzen überredet, legt er „Parlez-moi d’amour“ von Lucienne Boyer auf. Seine kultivierte Art lässt bei Lucile alle Dämme brechen. Sie ist einsam. Ihr Mann ist in deutscher Gefangenschaft, von ihrer Schwiegermutter erfährt sie nichts als Verachtung. Lucille verliebt sich unsterblich und kämpft zugleich dagegen an: Sie ist Französin, er ist der Feind.

Saul Dibb zeigt die Lebenswirklichkeit in der französischen Provinz nach dem Einmarsch der Nazis

Doch dann wird ein deutscher Leutnant erschossen. Der Täter, ein französischer Bauer und Kommunist, wird von der Soldatenbestie gejagt. Er ist verzweifelt auf der Suche nach einem Versteck, das ihm Lucille gewährt.

Was anfangs wie ein kitschiges Melodrama anmutet, ist auch eines – und doch weit mehr. In schnellem Szenenwechsel beschreibt Regisseur Saul Dibb die Lebenswirklichkeit in der französischen Provinz nach dem Einmarsch der Nazis. Dieser treibt Kontraste hervor: Großgrundbesitzer stehen gegen arme Pachtbauern, katholische Tradition gegen kommunistische Ideale, Mitläufer gegen Résistance-Kämpfer. Die Franzosen haben kein Konzept gegen diese Invasion. Erst jener Mord, aus Notwehr an einem sadistischen deutschen Leutnant begangen, erinnert die Franzosen an ihr Selbst und lässt sie zusammenrücken.

Leider kippt das Werk am Ende ins Unglaubwürdige

Nicht zuletzt durch eine herausragende Besetzung – Michelle Williams als Lucille, Matthias Schoenaerts als Bruno von Falk und Tom Schilling als sadistischer Leutnant – gelingt es Dibb immer wieder, die poetische, klare Sprache Némirovskys zum Strahlen zu bringen, ihren Blick auf scheinbar Nebensächliches als Spiegel der Gefühlswelt ihrer Protagonisten in Bilder zu brennen.

Leider kippt das Werk am Ende ins Unglaubwürdige. Allzu tränenverschleiert zelebriert der Regisseur eine im Roman nicht vorhandene Schlusssequenz, angelehnt an die Abschiedsszene von „Casablanca“. So gelingt es dem Film lediglich, eine Ahnung vom Schaffen dieser großartigen Dichterin zu vermitteln.

Ab 12; im Atelier am Bollwerk, EM