Neu im Kino: Das Drama „Große Freiheit“ erzählt am Beispiel eines einsamen Mannes, wie Homosexualität in Deutschland bis 1969 kriminalisiert wurde.
Stuttgart - Es fällt heute schwer, sich das vorzustellen: Bis 1969 war gleichgeschlechtlicher Sex unter Männern in der Bundesrepublik Deutschland eine Straftat. Die Nazis verschärften den aus dem Kaiserreich stammenden Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, die Adenauer-CDU hat ihn verteidigt. Erst die große Koalition unter Kiesinger und Brandt hatte ein Einsehen. Der Regisseur Sebastian Meise erzählt in seinem Spielfilmdrama „Große Freiheit“ die Geschichte eines Opfers – und an seinem Beispiel davon , wie geltendes Recht Existenzen brechen kann.
Hans Hoffmann (Franz Rogowski) wird beim Sex in einer öffentlichen Toilette erwischt. Die Nazis hatten ihn ins KZ geschickt, kurz in Freiheit wandert er nun ins Kittchen – wie auch später, 1957 und 1968, nochmal. Die Maschinen, an denen die Häftlinge Bettwäsche nähen, werden moderner, man streicht die Wände, nur an den Vorurteilen ändert sich nichts. Franz Rogowski spielt den stoischen Hans als einen, der nur so wirkt, als würde er das Genick einziehen. In ihm steckt das große Herz eines einsamen Kämpfers für die Liebe, und Rogowski reicht oft ein Blick, um die Zerrissenheit der Figur ins Bild zu setzen. Hans bemüht sich in der Haft um Liebhaber, die mit ihm eingefahren sind – doch die scheuen weitere Risiken. Die Bedrohung personifiziert der heterosexuelle Viktor, der bald einen weichen Kern offenbart. Einen herrlich ambivalenter Charakter macht Georg Friedrich aus ihm, jede Nuance, jeder Ausbruch sitzt. Der Weg ist weit für die beiden von sporadischer Komplizenschaft zu echter Männerfreundschaft. Die französische Kamerafrau Crystel Fournier vollbringt dabei ein Kunststück: Sie bleibt dicht an den Figuren und verschafft ihnen zugleich Raum für eine eigene Aura inmitten der Enge.
Der Weg zu einer Männerfreundschaft ist weit
Zum eindringlichen Jazz von Nils Petter Molvær und Peter Brötzmann wird viel geraucht und wenig gesprochen. Meise deutet gerne nur an, er entfaltet auch kein Knast-Netzwerk mit konkurrierenden Gruppen, wie es exemplarisch in der Serie „Orange is the new Black“ zu sehen war. Selbst die politische Diskussion draußen blendet er weitgehend aus. Diese Art der schleichenden Unterinszenierung, wie sie die sogenannte Berliner Schule pflegt, ist für viele Zuschauer eine Herausforderung. Beim Festival in Cannes hat der Film in der Reihe „Un certain regard“ den Jurypreis gewonnen, Europäische Filmpreise für Kamera und Filmmusik folgen.
„Große Freiheit“ setzt ein Zeichen
Auf jeden Fall setzt „Große Freiheit“ ein starkes Zeichen gegen gesellschaftliche Diskriminierung, die vielerorts fortbesteht – auch im Osten der Europäischen Union.
Große Freiheit. D 2021. Regie: Sebastian Meise. Mit Franz Rogowski, Georg Friedrich. 117 Minuten. Ab 16 Jahren.