Nach dem positiven Epo-Test steht der Verteidiger des Hamburger SV an diesem Freitag erneut vor dem DFB-Sportgericht. Dann kommt es auch zur nächsten Runde im Kampf der Experten – Ausgang ungewiss.
Tim Walter ist ein Freund klarer Worte. Das brachte den Trainer des Hamburger SV, der auch schon beim VfB Stuttgart war, zuletzt ziemlich in Schwierigkeiten. Nach einem verbalen Scharmützel mit den Schiedsrichtern sah er bei der 2:4-Pleite in Karlsruhe die Rote Karte. Das bestimmte die Schlagzeilen, dabei waren dies längst nicht die einzigen bemerkenswerten Äußerungen, die der HSV-Coach in jüngerer Vergangenheit von sich gab. Denn auch beim Thema Doping kennt sich Walter offenbar aus. „Wir tun alles dafür“, sagte er zum Fall Mario Vuskovic, „dass die Wahrheit ans Licht kommt.“
Nun ist das mit der Wahrheit so eine Sache in dieser verzwickten Geschichte. Denn Tim Walter kennt sie sicher nicht. Über alles andere streiten die Gelehrten. Gröbere Fouls? Sind dabei nicht ausgeschlossen.
Doch von vorne. Am 16. September 2022 wurde HSV-Profi Mario Vuskovic (21) positiv auf das Blutdopingmittel Epo getestet, als erster Fußballer in Deutschland. Die B-Probe bestätigte das Ergebnis, der kroatische Verteidiger blieb gesperrt – und beteuerte weiter seine Unschuld. Gleichzeitig sicherte er sich die Dienste von renommierten Anwälten und Gutachtern, zusammen könnten sie eine eigene Elf stellen. An diesem Freitag findet in Frankfurt vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) der dritte Verhandlungstag statt. Die Argumente könnten konträrer kaum sein.
Welche Interpretation ist richtig?
Vor allem geht es um die Frage, wie sicher es ist, dass es sich tatsächlich um eine positive Probe handelt. Untersucht wurde der Urin des Kickers im von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zertifizierten Labor in Kreischa mit dem SAR-PAGE-Verfahren. Dabei geht es, stark vereinfacht gesagt, um Bilder von Teststreifen und deren Interpretation. „Wir haben Tausende solcher Proben gesehen“, sagt Sven Voss, der Chef des Instituts, „die Probe von Herrn Vuskovic sieht genauso aus, wie eine positive Probe aussehen muss.“ Das Ergebnis sei klar – „hundertprozentig“. Zu denen, deren Rechnung völlig anders aussieht, gehört Perikles Simon.
Der Professor aus Mainz, Leiter der Abteilung Sportmedizin der dortigen Universität, ist einer der anerkanntesten Anti-Doping-Experten in Deutschland und seit Jahren der größte Kritiker des Systems. Durch den Fall Vuskovic, dessen Berater er ist, fühlt er sich bestätigt. „Es handelt sich um einen Wischiwaschi-Befund“, sagt Perikles Simon, „hier behauptet ein Labor, Bioanalytik zu machen – und versteht sein Handwerk nicht. Ich halte derartige Ergebnisse für Lachnummern. Der Sport meint, mit dieser Art der Anti-Doping-Arbeit richtig unterwegs zu sein. Aus meiner Sicht befindet er sich auf einem Irrweg.“
Triathlet Vojtech Sommer wurde freigesprochen
Wie gesagt: Perikles Simon gehört zum Team von Mario Vuskovic. Doch zugleich, das kann man dem Experten abnehmen, geht es ihm ums Prinzip – und darum, dass kein aus seiner Sicht unschuldiger Athlet verurteilt wird. „Es ist in der Fachwelt bekannt, dass die Wada-Institute in Köln und Kreischa den SAR-PAGE-Test nicht können und dort ohne Zweifel falsche Analytik betrieben wird“, sagt er, „doch der Anti-Doping-Bereich führt im Sport ein veritables Eigenleben, indem er sich selbst in die Tasche lügt.“
In der Tat gibt es Beispiele, welche die These von Perikles Simon stützen. Ein Fall betraf Vojtech Sommer. Der tschechische Triathlet wurde 2016 in Kreischa positiv auf Epo getestet. Eine Analyse, die sich vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Cas) nicht halten ließ. Sommer wurde freigesprochen. Das wäre nach Meinung von Simon auch für Vuskovic das richtige Urteil. „Die Genauigkeit seines Tests ist sehr kritisch zu sehen“, sagt er, „die bedingte Wahrscheinlichkeit, dass er gedopt hat, liegt unter zehn Prozent.“
Keiner könnte einen Fehler eingestehen
Dies könne jeder Mathe-Abiturient ausrechnen, wenn er die vorliegenden Parameter (Sensitivität und Spezifität des Tests, Doping-Quote im Fußball) einbeziehe. „Dazu kommt, dass auf dem Teststreifen nur ein Schlier zu erkennen ist, das ist absolutes Fischen im Trüben. Niemand, der Biomedizin studiert hat, würde da ein positives Ergebnis sehen“, sagt Perikles Simon, „das Problem ist, dass Sven Voss nicht vom Fach ist und keine Ahnung von Biochemie und Endokrinologie hat. Sonst wäre er nie guten Gewissens zu so einem Urteil gekommen.“
Logisch, dass der Laborchef derartige Kritik nicht hinnimmt – und zurückschießt. „Kein Gegen-Gutachter ist ein Spezialist in der Epo-Analytik, speziell aus dem Urin“, erklärt er. „Ich kann Tausende Seiten über Krebsforschung lesen. Das macht mich aber nicht zu einem Spezialisten für so eine Auswertung.“ Und dann sagt er noch: „Bei uns geht es um Arbeitsplätze, ein falscher positiver Test würde zwingend zur Schließung des Labors führen.“ Was zeigt, wie viel auf dem Spiel steht – und dass keine Seite ohne gravierende Folgen Fehler eingestehen könnte.
Wer legt sich schon mit Anti-Doping-Behörden an?
Trotz aller Kritik an der Vorgehensweise, zu der auch gehört, dass das DFB-Sportgericht in Jean-Francois Naud aus Kanada einen neutralen Gutachter bestellte, der zusammen mit Voss in einer Epo-Expertengruppe der Wada sitzt, geht Perikles Simon nicht von einem Freispruch für Vuskovic aus. „Ein solcher würde jetzt, da sich viele Wada- Gutachter unverständlicherweise hinter den Befund stellen, das Anti-Doping-System in einem schlechten Licht erscheinen lassen“, sagt er, „und für welchen Sportverband der Welt ist es ein Vorteil, sich mit den Anti-Doping-Behörden anzulegen?“
Weshalb als sicher gilt, dass Vuskovic im Falle einer Verurteilung weitere rechtliche Schritte einleiten wird. Das letzte Wort in diesem Fall ist noch längst nicht gesprochen.