Das Landgericht Heilbronn muss klären, inwieweit der Angeklagte für zehn verschiedene Taten verantwortlich ist. Foto: Oliver von Schaewen

Der mutmaßliche Mehrfachgewalttäter aus Marbach könnte Symptome einer Schizophrenie vorgetäuscht haben. Der Gerichtspsychiater geht von einer schweren Persönlichkeitsstörung aus, die ambulant nicht behandelbar sei.

Marbach/Heilbronn - Bereits seit Januar zieht sich der Strafprozess gegen einen 26-Jährigen aus Marbach hin, der in zehn Fällen mit Gewaltausbrüchen verschiedene Straftatbestände erfüllt haben soll (wir berichteten). Am Mittwoch hatte der psychiatrische Gutachter Dr. Thomas Heinrich das Wort. Sein Fazit: Der junge Mann leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung, doch halte er die vom Angeklagten selbst vorgebrachten psychotischen Symptome für unplausibel.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Sohn libanesischer Eltern unter anderem vor, im Sommer vorigen Jahres einem Arzt in der Weinsberger Psychiatrie Faustschläge verpasst und Krankenhausangestellte in Ludwigsburg mit einem Messer bedroht zu haben. Außerdem hat der Sozialhilfeempfänger offenbar aus Frust über ausbleibende Geldauszahlungen Scheiben im Marbacher Rathaus zertrümmert sowie Sanitäter, Ärzte und einen Polizisten angegriffen, die ihm in seiner Wohnung helfen wollten, nachdem er sich mit einem Messer in den Bauch gestochen hatte. Die Sanitäter zerschnitten dabei den Ärmel eines Pullovers, den ihm seine Mutter geschenkt hatte – was zum Gewaltausbruch führte.

Das Schema aus Frustration und plötzlicher Wutattacke wiederholte sich auch in anderen Situationen. „Immer dann, wenn er etwas will und nicht bekommt, knallt es“, sagte der Gerichtspsychiater Dr. Thomas Heinrich am Mittwoch, der aus einem dicken Stapel der bis in die 2000er-Jahre zurückreichenden Akte zitierte. Auch aktuell stelle er die Justizvollzugsanstalt Heilbronn vor „sehr unübliche“ Problem und beschäftige das Personal wie noch nie ein Häftling vorher. „Aggressiv“, „verweigernd“, „achtlos“ – so beschreiben damals Gutachter das Verhalten des Jugendlichen, der 2009 das Mobiliar seiner Zelle zertrümmerte, als er keinen Tabak bekam und der Fernseher aus der Zelle genommen wurde. Oft wurde er in der Psychiatrie fixiert. Später wird berichtet, der offenbar drogenabhängige junge Mann habe versucht, sich Adern aufzuschneiden, Rasierklingen zu schlucken oder sich zu strangulieren.

Im Laufe seiner psychiatrischen Behandlungen bei Dr. Heinrich im Juni 2019 habe der Marbacher immer wieder vorgegeben, Stimmen gehört zu haben. Der Ruf „Komm zu mir“ oder Anweisungen, zum Messer zu greifen, will der Angeklagte akustisch vernommen haben. „Ich habe erhebliche Zweifel an der Echtheit der Symptome“, sagte Thomas Heinrich, der keine Anhaltspunkte für eine paranoide Schizophrenie erkennen konnte. „Im Gespräch wirkten seine Gedanken formal geordnet – er war nicht verwirrt.“ Wirklich psychisch Erkrankte redeten in der Regel gequält. Er jedoch habe davon erzählt, als ob er zum Einkaufen gehe. Heinrich vermutet, der Angeklagte instrumentalisiere seine Schilderungen. Die Selbstmordversuche könnten Versuche gewesen sein, dorthin zu kommen, „wo er lieber sei“ als zum Beispiel im Strafvollzug.

Eine Schuldunfähigkeit nach Paragraf  20 sprach Dr. Thomas Heinrich dem Angeklagten ab, er gehe aber aufgrund der Persönlichkeitsstörung von einer „erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit“ nach Paragraf 21 aus. Heinrich sagte eine sehr langwierige psychiatrische Behandlung mit einer weiteren Einnahme von Medikamenten voraus. Diese Behandlung dürfe auf keinen Fall in Freiheit geschehen, da mit weiteren ähnlich gearteten Straftaten zu rechnen sei und die Allgemeinheit dadurch gefährdet würde. Der Prozess wird am 24. März fortgesetzt.