Das Milaneo lockt viele Kunden von außerhalb nach Stuttgart. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Der Stuttgarter Einzelhandel schlägt sich im Vergleich mit anderen Metropolen Deutschlands "bemerkenswert gut". Dies ist das Ergebnis einer Studie der IHK. Die Kaufkraft der Region erreicht bundesweit eine Top-Platzierung. Gebremst würde die Entwicklung indes durch Fahrverbote.

Stuttgart - 18,9 Milliarden Euro. Eine imposante Geldmenge, die in der gesamten Region Stuttgart im laufenden Jahr als einzelhandelsrelevante Kaufkraft zur Verfügung steht. Umgerechnet bedeutet das, dass ein Viertel des gesamten Kaufkraftvolumens in Baden-Württemberg in die Zentralregion, also Stuttgart und Umgebung, vorhanden sind. Georg Fichtner, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart, erklärt mit Blick auf die aktuelle Untersuchung: „Die Region Stuttgart kann mit ihren vielen starken Mittelzentren auch bundesweit überzeugen.“ Dies führe dazu, dass „die Landeshauptstadt im Herzen des Ballungsraums zudem immer stärker Ziel von Kunden aus anderen Bundesländern und dem Ausland ist“.

Stuttgart selbst kommt auf eine einzelhandelsrelevante Kaufkraft pro Kopf und Jahr von 7103 Euro. Den Top-Platz in der Region nimmt allerdings Gerlingen im Landkreis Ludwigsburg mit 8138 Euro pro Kopf ein. Das Schlusslicht bildet Geislingen an der Steige. Hier verfügt jeder Einwohner im Jahr 2015 durchschnittlich nur über 6181 Euro. 58 Städte mit mehr als 10 000 Einwohnern wurden untersucht, lediglich vier davon liegen im Kaufkraftpotenzial unterhalb des Bundesdurchschnitts von 6459 Euro. Beim Vergleich der Landkreise in der Region fällt der Spitzenplatz des Raums Böblingen auf. Mit einer Kaufkraft von 7184 Euro stehen dort jedem Einwohner gemäß der IHK-Studie 725 Euro mehr als dem durchschnittlichen Bundesbürger zur Verfügung.

2,7 Milliarden langen nicht beim Einzelhandel

Bedenklich allerdings: Der regionalen Kaufkraft von 18,9 Milliarden Euro stehen lediglich Umsätze im stationären Einzelhandel von 16,2 Milliarden Euro gegenüber. Somit bleibt ein Rest von 2,7 Milliarden, der also anderswo ausgegeben wird – bei der letzten Erhebung im Jahr 2013 betrug die Differenz noch 2,4 Milliarden.

Sorgen machen insbesondere Kommunen, die entfernt von den Kreisstädten liegen. Vor allem große, peripher gelegenen Verkaufsflächen in angrenzenden Städten sowie der Versand- und Onlinehandel gelten als Gefahr. „Wenn immer weniger am Ort ausgegeben werden wird, nimmt der Einzelhandelsbesatz ab, was in einem Teufelskreis enden kann“, erläutert Diplom-Volkswirt Martin Eisenmann, Autor der IHK-Studie: Je weniger Bedürfnisse der Branchenmix abdecke, desto geringer wiederum sei die Attraktivität für Kunden. Wenn aber die Grundversorgung mit Waren vor Ort immer schlechter wird, treten auch in anderen Bereichen Defizite auf – in der Gastronomie, bei Post oder Ärzten. „Irgendwann lohnt sich auch die Aufrechterhaltung kommunaler Infrastruktur immer weniger“, so Eisenmann, „hier besteht dringender Handlungsbedarf.“

Einkaufen soll ein besonderes Erlebnis sein

Für IHK-Chef Fichtner ist der stationäre Einzelhandel ein bedeutender Faktor für die Attraktivität einer Stadt. Sein Angebot an Einkaufserlebnissen präge häufig die überregionale Wahrnehmung, stärke den Tourismus und befördere den Zuzug nötiger Fachkräfte. Allerdings: „Die Händler brauchen Planungssicherheit.“ Kluge Kommunalpolitik sollte die Anliegen des Handels genauso berücksichtigen wie die anderer gesellschaftlicher Gruppen. Auch sollte der Erfolg des Einzelhandels nicht durch großflächige Ansiedlungen von Einkaufszentren in Randlagen oder ein Übermaß an Bürokratie gefährdet werden. Offenkundig in Anspielung auf die angedachten Einschränkungen für den in Richtung Stuttgart strebenden Autoverkehr erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter: „Fahrverbote helfen dem stationären Handel nicht, sich gegen das Internet zu behaupten.“

Hintergrund:

Die Attraktivität der Landeshauptstadt zeigte sich zuletzt insbesondere am Erfolg des neuen Konsumtempels Milaneo nahe der Heilbronner Straße. Der Neugiereffekt der Anfangsmonate mit täglich 40 000 Besuchern ist zwar verflogen, doch mit an die 30 000 Besuchern ist Milaneo-Centermanagerin Andrea Poul mehr als zufrieden.

Die Königstraße indes hat, wohl wegen des Milaneo-Erfolgs, ein wenig an Zuspruch eingebüßt. Nach jüngster Zählung sind dort samstagnachmittags binnen einer Stunde weniger Passanten unterwegs als früher.

Das Gerber an der Marienstraße hat nach respektablem Beginn zuletzt deutlich nachgelassen. Kurz vor dem ersten Geburtstag sollen nun neue Berater und ein neues Konzept die Kundenflaute beheben.

Die City-Initiative Stuttgart ist mit der von der neuen IHK-Expertise zufrieden. Sprecherin Bettina Fuchs verweist auf die wichtige Zentralitätskennziffer. 2013 lagt diese bei 121,7, im vergangen Jahr sank sie auf 120,9 leicht ab. Umso erfreulicher seien nun die 121,9. „Spannendend wird es im nächsten und in den folgenden Jahren sein, wie viel Kunden dann von außen zu uns reinkommen“.

Fuchs verweist auf weitere erfolgversprechende Projekte wie das Dorotheen-Quartier neben Breuninger. Auch bei den derzeitigen Leerständen auf der Königstraße sitzen neue Betreiber „in den Startlöchern, wenn sich das eingeschwungen hat, hoffe ich auf positive Effekte.“ Man müsse weiter für die Innenstädte trommeln und auf Sonderaktionen wie Lange Einkaufsnächte setzen. „Den Einkaufsbummel mit Freunden auf dem Schlossplatz ausklingen zu lassen, das ist doch was ganz anderes als alleine zuhause am Laptop zu bestellen“.