IHK-Präsidentin Marjoke Breuning will den kleinen Unternehmen eine Mindestzahl von Sitzen in der Vollversammlung einräumen. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Die Kammer will künftig bei der Wahl zum Kammerparlament zwischen größeren und kleineren Unternehmen unterscheiden. Damit soll der Wirtschaftsstruktur besser Rechnung getragen werden. Den kleinen Unternehmen soll eine bestimmte Zahl von Sitzen garantiert werden. Die kammerkritische Kakteen-Gruppe sieht die geplante Änderung indes als Angriff auf die kleinen Firmen.

Stuttgart - In der nächsten Sitzung der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart am 12. Dezember könnte es heiß hergehen. Die Kammer will künftig für die Wahlen zu diesem Gremium zwischen größeren und kleineren Unternehmen unterscheiden. Die kammerkritische Kakteen-Gruppe lehnt dies ab und fordert, dass ein Beschluss über die Änderung vertagt wird. Die Vollversammlung legt die großen Linien der IHK Arbeit fest und wählt beispielsweise das Präsidium und den Hauptgeschäftsführer.

Grundsätzlich müsse vor jeder Wahl überprüft werden, ob die künftige Vollversammlung noch die Wirtschaft des Kammerbezirks ausreichend widerspiegele sagte Bernd Engelhardt, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Kammer. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 2017 zur Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern sei dies vor der nächsten Wahl nun umso mehr geboten. Das oberste deutsche Gericht hatte damals die Pflichtmitgliedschaft grundsätzlich bejaht. Gleichzeitig hatte es aber auch darauf hingewiesen, die Unternehmen müssten gemäß ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in der Vollversammlung vertreten sein. Eine Bevorzugung von Teilinteressen sei dagegen zu verhindern.

Kleine Firmen sollen nicht unter die Räder kommen

Kernpunkt der Änderung ist die Einführung von Betriebsgrößenklassen in den wichtigen Wahlgruppen Produktion, Handel und Dienstleistungen. Dass solche Gruppen für die verschiedenen Wirtschaftszweige gebildet werden können, hatte das Gericht seinerzeit ausdrücklich betont. In diesen drei Gruppen soll künftig getrennt nach Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und solchen mit zehn und mehr Beschäftigten gewählt werden. IHK-Präsidentin Marjoke Breuning erklärte zu der geplanten Änderung, für die kleinen Unternehmen werde auf jeden Fall eine Mindestzahl an Sitzen in der jeweiligen Wahlgruppe vorgesehen. Wie groß diese ist, steht aber noch nicht fest. Die Änderungsvorschläge sollen noch bis Dezember in den Bezirksversammlungen Esslingen, Böblingen, Ludwigsburg und Rems-Murr sowie in einer gesonderten Veranstaltung in Stuttgart diskutiert werden.

Nach den Angaben der Kammer haben 90 Prozent aller von ihr vertretenen 160 000 Unternehmen in der Region lediglich bis zu neun Beschäftigte, nur zehn Prozent beschäftigen zehn und mehr Mitarbeiter. „Die Garantie einer Mindestzahl von Sitzen für die kleinen Unternehmen ist ein Schutz für diese“, sagte Engelhardt. Ganz anders sieht dies die kammerkritische Kaktus-Gruppe. Clemens Morlok, einer der Sprecher dieser Gruppe, wertet die geplante Änderung der Wahlordnung keineswegs nur als Angriff auf die Kakteen, die künftig möglicherweise weniger Sitze erreichen könnten, sondern geht noch weiter: „Diese Änderung richtet sich gegen die kleinen Unternehmen“, sagte Morlok unserer Zeitung. Deswegen werde seine Gruppe allen kleineren Unternehmen in der Vollversammlung empfehlen, bei der Sitzung am 12. Dezember gegen einen Beschluss über die Vorschläge zu stimmen und sich für eine Vertagung auszusprechen. Eine Abstimmung durch einen Auszug der Kakteen zu verhindern – damit könnte die Vollversammlung beschlussunfähig werden - ist auch nach Ansicht von Morlok nicht sinnvoll. Die Kammer kann zu einer weiteren Sitzung am selben Tag einladen, bei der dann das Quorum von 50 Prozent aller Mitglieder nicht mehr nötig ist. In der jetzigen Vollversammlung haben die Kakteen 33 der hundert Sitze. Auch die Kammer selbst braucht nach den Worten von Engelhardt nicht unbedingt schon im Dezember, wohl aber im kommenden Frühjahr einen Beschluss. Dies deswegen, weil im kommenden Jahr die Vorbereitungen für die Wahl der Vollversammlung im Jahr 2020 getroffen werden müssen.

Initiative begrüßt Änderung

Anders als die Kakteen begrüßt die „Initiative pro Wirtschaft Stuttgart“ die Änderungsvorschläge der IHK. Diese seien „nicht nur angebracht, sondern zwingend notwendig“ heißt es in einer Erklärung der Initiative, wenn die Vollversammlung die Struktur der regionalen Wirtschaft möglichst spiegelbildlich abbilden solle. „Soweit wie in Hamburg darf es in Stuttgart nicht kommen“, meinte Heinrich Baumann, Gründungsmitglied der Initiative und geschäftsführender Gesellschafter des Esslinger Autozulieferers Eberspächer. Baumann ist auch Vizepräsident der Stuttgarter Kammer und Präsident der Bezirkskammer Esslingen. Zu der Initiative hatten sich im Juli 2017 Vertreter von rund 30 Unternehmen zusammengeschlossen. Vertreten sind in der Initiative auch große Mittelständler sowie die Konzerne Daimler und Bosch. Bei der Handelskammer Hamburg hatte die kammerkritische Gruppe „Die Kammer sind wir“ im Februar 2017 von den 58 Sitzen der Vollversammlung 55 erobert. „Die Handelskammer Hamburg findet künftig ohne die Industrie statt“, hatte der Industrieverband Hamburg seinerzeit kritisiert.

Ulm ist Vorreiter

Als bundesweit erste Kammer hatte die IHK Ulm im Februar vor der Wahl der neuen Vollversammlung eine Differenzierung nach Betriebsgrößenklassen eingeführt, um die regionale Wirtschaft besser zu repräsentieren. Die Vorschläge dazu seien in einer Arbeitsgruppe von Ehrenamtlichen entwickelt worden, sagte Hauptgeschäftsführer Otto Sälzle. In Ulm wird seither zwischen Firmen mit 50 und mehr Beschäftigten sowie solchen mit weniger als 50 Mitarbeitern unterschieden. Dies gelte nun für alle Wahlgruppen mit Ausnahme des Kreditgewerbes, das ohnehin nur zwei Sitze in der Vollversammlung habe, erklärte Sälzle. Seit der letzten Wahl haben die größeren Unternehmen 32 der 52 Sitze in der Vollversammlung, die kleineren schicken 20 Vertreter in diese. Garantiert worden waren den kleineren Unternehmen elf Sitze, den größeren 22 Vertreter in der Vollversammlung.