IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger Foto: dpa

Der Fahrplan steht fest – Ende Februar beschließt die IG Metall förmlich ihre Tarifforderung, am 16. März beginnen die Verhandlungen und am 29. April mögliche Streiks. Ein Überblick über die wichtigsten Argumente und Gegenargumente.

Stuttgart - Unsichere Lagen machen es für eine Gewerkschaft immer schwierig, Tarifforderungen festzulegen. Schließlich soll die Forderung einige Monate Bestand haben, und je unsicherer die Lage, desto unsicherer auch die Frage, ob sich eine Forderung halten lässt. In diesem Jahr häufen sich die Risikofaktoren: Die Wachstumslokomotive China schwächelt gewaltig, die Rohstoffpreise sind so niedrig, dass wichtige Länder wie Russland noch mehr unter Druck geraten, als sie es durch die Ukraine-Sanktionen ohnehin schon sind; und die geopolitische Lage samt Terrorgefahren ist auch nicht gerade hilfreich bei einer verlässlichen Einschätzung, wie die Wirtschaft in der Schlüsselbranche Metall sich entwickelt, während die Tarifparteien um Lohnprozente ringen.

Die Konjunktur

Doch die Gewerkschaft kann auch nicht ewig warten, zumal die Forderungen, ehe sie endgültig beschlossen werden, noch einen internen Abstimmungsprozess durchlaufen, der sicherstellen soll, dass sie auch wirklich einen breiten Rückhalt an der Basis hat. Deshalb hatte sie bei der Forderung weniger die schwer kalkulierbaren Störfaktoren im Auge, sondern vor allem die aktuelle Lage der Branche, die sie – auch gestützt auf eine breite Umfrage unter den Betriebsräten der Branche – für sehr gut hält. „Von Krise keine Spur“, sagt IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger und verweist vor allem auf den nach wie vor brummenden Export und auf Wachstumsprognosen, die auch für das laufende Jahr Zuwächse der Wirtschaftsleistung um die 1,8 Prozent vorhersagen. Die gute Lage wertet Zitzelsberger zugleich als Zeichen dafür, dass der vergangene Abschluss mit einem Plus von 3,4 Prozent keineswegs zu hoch gewesen sei, wie die Arbeitgeber beklagen. „Die Tarifpolitik der vergangenen Jahre hat zu dieser Stabilität maßgeblich beigetragen“, sagt Zitzelsberger. „Wir werden sie deshalb beibehalten.“

Die Arbeitsplätze

Die Arbeitgeberseite sieht dies naturgemäß ganz anders. Allein seit der Krise 2008 seien die Löhne in der Branche um 20 Prozent gestiegen, die Produktivität aber nur um zwei Prozent. Zitzelsberger räumt dies zwar ein, verweist aber darauf, dass die Rahmenbedingungen sehr günstig seien: „Die Importpreise sind niedrig, die Refinanzierung wegen der niedrigen Zinsen extrem günstig, die Wechselkurse begünstigen den Export, und die niedrigen Energiepreise bringen weitere Entlastung.“ Die Arbeitgeberseite sieht das genauso, interpretiert diese Fakten aber auf genau entgegengesetzte Weise: Die gute Lage beruhe auf einem „Scheinaufschwung“, sagte vor kurzem Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger. Und Südwestmetall-Chef Stefan Wolf sagt, das Wachstum werde „massiv künstlich angeheizt durch niedrige Rohstoff- und Energiepreise, niedrige Zinsen und einen für den Export günstigen Euro-Kurs“. Die deutsche Wirtschaft, so die Arbeitgebersicht, sei abhängig von diesen günstigen Rahmenbedingungen, die sie kaum beeinflussen könne. Auch der Deutung, dass die deutsche Wirtschaft die hohen Lohnsteigerungen verkraftet habe, widerspricht Wolf: Einer Reihe von Unternehmen gehe es zwar „gut oder sogar sehr gut – dies aber meist nur deshalb, weil immer mehr im Ausland kostengünstiger produziert wird“.

Die Statistik

Freilich greift die Gewerkschaft ihre Forderungen nicht aus der Luft, sondern stützt sich dabei auf die Statistik. Ein Prozent der Forderung entspricht der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung von einem Prozent. Wird pro Arbeitsstunde ein Prozent mehr erwirtschaftet, finanziert sich eine Lohnerhöhung in diesem Ausmaß gewissermaßen von selbst, wenn dies nicht mit höherem Kapitaleinsatz verbunden ist. Auch die Inflation spielt eine Rolle – steigen die Preise, erhöht sich der Bedarf der Arbeitnehmer, aber auch die Möglichkeit, Lohnerhöhungen an die Verbraucher weiterzugeben, verbessert sich; auch wenn dies die Preise dann erneut steigen lässt. Die Gewerkschaft setzt hier den Wert von zwei Prozent an – das ist die Zahl, die die Europäische Zentralbank knapp erreichen will, der aber gegenwärtig in weiter Ferne liegt. Dass die Gewerkschaft trotzdem diesen rein theoretischen Wert ansetzt, begründet Zitzelsberger damit, dass gerade die Lohnpolitik einen Beitrag dazu leisten müsse, diesem Ziel näherzukommen. „Es wäre makroökonomisch geradezu fahrlässig, wenn wir hier Zurückhaltung üben würden.“ Als dritten Faktor neben der Produktivität und der Inflation setzt die Gewerkschaft den eigentlichen Umverteilungsanspruch an. Angesichts ordentlicher Umsatzrenditen in der Branche hält sie es für angemessen, weitere zwei Prozent anzusetzen, so dass sich in der Summe fünf Prozent ergeben. Dass dies ein halbes Prozent unter der letzten Forderung liegt, erklärt Zitzelsberger damit, dass damals das Produktivitätswachstum auf 1,5 Prozent und nicht auf ein Prozent geschätzt wurde.

Die Tarifbindung

Wichtig ist für die Gewerkschaft auch der Anstieg der Tarifbindung. Selbst steigende Mitgliederzahlen konnten nicht verhindern, dass der Flächentarifvertrag über die Jahre erodiert ist und heute nur noch jeder zweite Beschäftigte im Geltungsbereich des Metall-Tarifvertrags nach Tarif bezahlt wird. Das will Zitzelsberger ändern und auch Betriebe mit Forderungen konfrontieren, die gar nicht im Tarifvertrag sind. Solche Betriebe, die seiner Ansicht nach „Wettbewerbsvorteile zulasten der Beschäftigten“ erzielen, sollen gegebenenfalls öffentlich „benannt“ werden. Durch Werkverträge, bei denen Arbeiten statt an eigene Beschäftigte an branchenfremde Firmen vergeben werden, versuchen Arbeitgeber nach Ansicht der IG Metall ebenfalls, sich den Tarifverträgen zu entziehen.

Auch hier sieht die Interpretation der Fakten durch die Arbeitgeber anders aus. Zum einen könnten sich die Firmen durch die Vergabe von Aufträgen an spezialisierte Firmen auf das konzentrieren, was ihre Wettbewerbsfähigkeit ausmache; zum anderen seien die Vergabe an billige Auftragnehmer und hohe Tarifabschlüsse zwei Seiten einer Medaille. Durch die Vergabe sparten die Firmen bei Aufträgen das, was sie ihren Beschäftigten an – aus Arbeitgebersicht – überzogenen Löhnen zahlen. Ohne diese Möglichkeit müssten sie noch viel mehr Arbeitsplätze ins Ausland verlagern als ohnehin schon.