Rund 1000 Beschäftigte haben nach Angaben der Polizei am Donnerstag in Bietigheim-Bissingen demonstriert. Foto: Simon Granville

Rund 1000 Beschäftigte aus der Metall- und Elektroindustrie demonstrieren am Donnerstag in Bietigheim-Bissingen. Am Nachmittag gingen im Forum in Ludwigsburg die Tarifparteien in die fünfte Verhandlungsrunde.

Laut war es am Donnerstagmorgen auf dem Bahnhofsvorplatz in Bietigheim-Bissingen. So laut, dass man zeitweise sein eigenes Wort kaum verstand. Um die 1000 Beschäftigten aus der Metall- und Elektroindustrie, die im Kreis Ludwigsburg arbeiten, waren gekommen, um zu demonstrieren. Von den Standorten der Firmen Dürr, Elring-Klinger und Bosch sowie Valeo waren die Demonstranten mit den typischen roten Schals, Mützen sowie Tröten und Plakaten zum Bahnhof gezogen.

Staus, wie sie im Vorfeld befürchtet worden waren gab es nicht. Die Polizei musste lediglich eine Kreuzung kurzzeitig sperren. Probleme habe es sonst keine gegeben, teilten die Beamten mit.

Streiks an vielen Orten in der Region

Das Bild ist nicht neu: seit Wochen gehen die Arbeitnehmer an verschiedenen Orten im Land und auch in der Region Stuttgart auf die Straße. Bis zu 286 000 Beschäftige haben nach Angaben der IG Metall allein in Baden-Württemberg die Arbeit bereits niedergelegt. Der Frust ist groß, die Streikbereitschaft ebenso. „Wahrscheinlich so groß wie nie“, sagt Jürgen Brett, Betriebsratsvorsitzender von Mahle in Markgröningen. In seinem Unternehmen seien die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bis Donnerstagabend sechs Aufrufen zu Warnstreiks gefolgt, so Brett. In anderen Betrieben sei es so ähnlich gewesen. Die generelle wirtschaftliche Situation spiele eine Rolle, die Inflation auch. Wer beispielsweise alleinerziehend sei, dem täten acht Prozent mehr Lohn „verdammt gut“.

Die IG Metall war mit einer Forderung nach acht Prozent mehr Geld über eine Laufzeit von zwölf Monaten in die Tarifverhandlungen gegangen. Die Arbeitgeber hatten 3000 Euro in Form von Einmalzahlungen angeboten. Eine Erhöhung der sogenannten Tabellenentgelte hatten sie bislang an eine Laufzeit von 30 Monaten geknüpft. Viele Arbeitnehmer wünschen sich eine Laufzeit von höchstens einem Jahr.

„Trippelschritte“ bei den bisherigen Verhandlungen

Dem Vernehmen nach hatten sich die Tarifparteien vor der fünften Verhandlungsrunde im Forum am Schlosspark in Ludwigsburg, die am Donnerstagnachmittag begann, zumindest angenähert.

Der IG-Metall-Bezirksleiter Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, sprach in Ludwigsburg von „Trippelschritten“. Bei Christiane Benner, der zweiten Gesamtvorsitzenden der IG Metall, die in Bietigheim auftrat, klang es nicht danach, als ob man in Ludwigsburg zu einem Ende finden werde. Benner nannte die bisherigen Angebote der Arbeitgeber einen „Witz“, die Beschäftigen würden sich nicht „abspeisen lassen“. Die Politik habe mit ihrem 200-Milliarden-Euro-Entlastungspaket „geliefert und Verantwortung übernommen“, die Arbeitgeber bislang nicht. Stattdessen hätte die „absurde Forderungen“ gestellt: etwa nach längeren Arbeitszeiten und einem Renteneintrittsalter ab 70 Jahren.

Arbeitskampf könnte weiter eskalieren

Die Forderungen der Gewerkschaft hält Andreas Ivenz, Betriebsrat bei Kienle + Spiess aus Sachsenheim, auch deshalb für berechtigt, weil die Belastung in vielen Betrieben seit Langem steige. „Die Belegschaft wird ausgedünnt, die Verbliebenen müssen immer mehr kompensieren.“ Das zeige sich auch an immer fragwürdigeren Schichtmodellen. Für Jürgen Brett ist das Thema nicht neu – und deshalb im Bezug auf den Tarifkonflikt nur zweitrangig.

Im Rahmen der Verhandlungen hatten die Arbeitgeber auf die aktuelle Lage mit Preisexplosionen bei Energie und Rohstoffen, Krieg in der Ukraine und Lockdown in China verwiesen. Harald Marquardt von Südwestmetall wiederholte das Argument der schwierigen Rahmenbedingungen vor Beginn der Verhandlungen im Forum. „Es wird nicht einfach“, so Marquardt. Im gleichen Atemzug betonte er aber den Willen zur Einigung, Zitzelsberger genauso.

Sollte das nicht gelingen, kündigte Zittselsberger „andere Formen des Arbeitskampfes“ an. Was genau das bedeutet, wollte er nicht sagen. Offenbar haben die IG-Metall-Verantwortlichen im Bezirk für Dienstag bereits Urabstimmungen vorbereitet.

Kreis
 Im aktuellen Tarifstreit waren die Proteste in Bietigheim-Bissingen nicht die ersten im Kreis Ludwigsburg. Die zweite Verhandlungsrunde hatte Mitte Oktober in Kornwestheim stattgefunden und wurde von rund 5000 Beschäftigten begleitet.

Tarif
 Sollte es in Ludwigsburg zu einer Einigung kommen, wäre das der erste Abschluss im Tarifkonflikt der Metall- und Elektroindustrie in diesem Jahr. In Deutschlands Schlüsselbranche, an der sich andere nach den Abschlüssen häufig orientieren, sind fast vier Millionen Menschen beschäftigt. Der Bezirk Baden-Württemberg war in der Vergangenheit immer wieder Vorreiter für tarifliche Einigungen der Branche gewesen. Oft übernehmen andere Bezirke das Ergebnis, das die IG Metall als erstes erzielt.