Die IG Metall vertritt die Interessen der Metall- und Elektroberufe – im Landkreis Esslingen mit steigendem Erfolg. Foto: dpa-Zentralbild

Im vergangenen Jahr hat die IG Metall im Landkreis Esslingen einen Zuwachs von 900 Mitgliedern verzeichnet. Damit sind 36 Prozent mehr in die Gewerkschaft eingetreten, als noch im Vorjahr.

Esslingen - Die Überschrift der Pressemitteilung springt ins Auge: IG Metall wächst – über 900 neue Mitglieder 2018. Das ist nicht falsch, doch dem Rekord bei den Neuaufnahmen stehen rund 822 Abgänge gegenüber. Trotzdem sagt Gerhard Wick, der Erste Bevollmächtigte der Industriegewerkschaft (IG) Metall im Landkreis Esslingen, unter Hinweis auf die inzwischen 14 901 IG-Metaller im Kreis: „Für uns war es ein sehr erfolgreiches Jahr.“ Immerhin sei die Zahl der Neuaufnahmen im Vergleich zum Vorjahr um 36 Prozent gestiegen.

Wären nicht zwei gewerkschaftlich gut organisierte Unternehmen in den benachbarten Landkreis Göppingen gezogen, wäre auch der absolute Zuwachs unterm Strich doppelt so hoch ausgefallen. Die Zahl der Abgänge – laut Wick sind das Mitglieder, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden oder gestorben sind, Migranten, die in ihre Heimatländer zurückziehen, Unzufriedene und Beschäftigte, die sich den Gewerkschaftsbeitrag sparen wollen – bewegt sich dagegen seit mehreren Jahren auf dem gleichen Niveau.

Anteil der Angestellten steigt ständig

Bilanzneutral ist bisher noch eine Entwicklung, die dem Gewerkschaftsfunktionär auf lange Sicht jedoch die meisten Sorgen bereitet. „Die Zahl unserer Mitglieder im gewerblichen Bereich schrumpft ständig. Zum Ausgleich haben wir dagegen im Kreis Esslingen landesweit mit mehr als 30 Prozent inzwischen den zweitgrößten Anteil an angestellten Mitgliedern“, sagt Wick. Jedes dritte IG Metall-Mitglied steht inzwischen nicht mehr in einer Werkshalle sondern sitzt an einem Schreibtisch.

„Der Strukturwandel in der Wirtschaft schlägt auch auf die Struktur unserer Mitglieder durch“, sagt Wick. Das bringt der Industriegewerkschaft zwar kurzfristig ein Mehr an Beitragseinnahmen, weil Angestellte in der Regel besser bezahlt sind als gewerbliche Beschäftigte.

Der Strukturwandel bedroht die Arbeitsplätze

Auf lange Sicht jedoch droht der Aderlass. „Die Maschinen- und Werkzeugfabrik Nagel hängt ebenso am Antriebsstrang für den Verbrennungsmotor, wie die Maschinenfabrik Gebr. Heller“, nennt Wick zwei Betriebe aus Nürtingen, in denen die IG Metall auf ein stabiles Fundament bauen kann. Falle dieses Geschäft über kurz oder lang weg, sei kein Ersatz in vergleichbarer Größenordnung in Sicht. Und auch bei den Angestellten sei die IG Metall beileibe nicht auf der sicheren Seite, denn da kündige sich ein Arbeitsplatzabbau durch eine zunehmende Digitalisierung an.

Neben dem sich verschiebenden Kräfteverhältnis zwischen dem gewerblichen und angestellten Bereich gibt es ein zweite Entwicklung, die vom Mitgliederzuwachs auf der einen und vom Abbröckeln auf der anderen Seite gekennzeichnet ist. Wenn Wick feststellt, dass die IG Metall im vergangenen Jahr vor allem im Jugendbereich überproportional Mitglieder gewonnen hat, dann nicht ohne den Hinweis auf die gleichzeitige Erosion am anderen Ende der Alterspyramide. „Die Hochzeit der Gewerkschaften in der Bundesrepublik haben wir Ausgang der 1960er- und zu Beginn der 1970er-Jahre erlebt“, sagt der Bevollmächtigte. Diese mitgliederstarken Jahrgänge würden nun nach und nach ausscheiden. „Von unseren 14 901 Mitgliedern sind mehr als 3000 im Rentenalter“, sagt Wick.

Lieber mehr Freizeit als mehr Geld

Umso wichtiger für die Gewerkschaft sind vorzeigbare Erfolge in ihrem Kerngeschäft, den Tarifverhandlungen. Im Jahr 2018 ist das nach Einschätzung Wicks gelungen. Vor allem die Möglichkeit, anstelle einer Lohnerhöhung acht zusätzliche freie Tage zu nehmen, stößt bei Schichtarbeitern und Eltern kleiner Kinder auf Widerhall. Mehr als 1500 Beschäftigte hätten in ihrem Betrieb für das Jahr 2019 einen entsprechenden Antrag gestellt, so Wick.