IG-Metall-Chef Jörg Hofmann Foto: Leif Piechowski

Für vier Jahre ist Jörg Hofmann, früher Chef des Landesverbands Baden-Württemberg, zum Chef der IG Metall gewählt worden. Seine Agenda ist anspruchsvoll.

Stuttgart - Wir haben einige der wichtigsten Themen von Hofmanns Grundsatzerklärung in Zitate gefasst und erläutern diese.

1. „Die Grausamkeiten der Flexibilisierung machen unser Sozialsystem kaputt“ – zu Billigjobs

Billigjobs ohne Tarifbindung, Leiharbeit, Werkverträge, Befristung, Praktika, Mini-Jobs: Die Zunahme der Arbeitsplätze ohne feste Bindung an einen Arbeitgeber oder an tarifliche Regelungen führt nach Hofmanns Ansicht zu „zwei Klassen von Arbeitsplätzen und damit auch zu zwei Klassen von Menschen“. Sie seien überdies ein „ungedeckter Scheck auf die Zukunft“, weil die Jobs nicht für die Altersvorsorge ausreichen. „Die Kosten der sozialen Sicherung werden den nächsten Generationen aufgebürdet.“ Mehr noch: Gerade Werkverträge – gemeint ist vor allem die Vergabe von Aufträgen an Firmen, die weniger zahlen als ihr Auftraggeber – würden „missbraucht, denn durch sie werden gut bezahlte Arbeitsplätze in unseren Kernbereichen ersetzt“. Zudem würden „Tarifregelungen gezielt umgangen“.

2. „Tarifflucht vor der IG Metall geht nicht. Wer uns entgehen will, dem geht es wie bei Hase und Igel“ – zu Tarifbindung

„Die IG Metall ist schon da, wenn es um Arbeitnehmerrechte geht“, sagt Hofmann mit Blick auf die Auslagerung von Tätigkeiten. Bei der Leiharbeit ist es bereits gelungen, tarifliche Regelungen einzuführen; dies hat allerdings die – noch viel weniger regulierte – Verlagerung von Tätigkeiten im Rahmen von Werkverträgen begünstigt, etwa für die Kontraktlogistik, also die Vergabe von Transportaufträgen. Da dort die Tarifbindung wesentlich geringer ist und oft allenfalls ein Vertrag aus der deutlich billigeren Logistik-Branche gilt, will die IG Metall die Tarifbindung auch mit Hilfe der Politik verstärken. Daher fordert Hofmann von der Politik Regelungen zur Eindämmung von Missbrauch – und fand bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ein offenes Ohr. In Kürze will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles ihre Pläne zur Regulierung der Werkverträge vorstellen. Da Arbeitnehmervertreter oft nicht einmal wissen, welche Werkverträge es in ihrem Betrieb überhaupt gibt, wäre bereits eine gesetzliche Auskunftspflicht der Arbeitgeber ein Fortschritt. Zufriedengeben wird sich die IG Metall damit aber sicher nicht.

3. „Ein neues Normalarbeitsverhältnis muss Sicherheit für alle bieten“ – zu Arbeitnehmerrechte

Die Bindewirkung der Tarifverträge schwindet schon lange. Nur jeder zweite Beschäftigte im Organisationsbereich der IG Metall ist heute noch durch einen Branchentarifvertrag erfasst; vor gut 20 Jahren waren es noch 70 Prozent – so viele wie heute in Baden-Württemberg. Doch Hofmann will nicht nur die Erosion der Tarifbindung aufhalten, er will auch die Tarifverträge selbst stark ausweiten, etwa durch Wahlmöglichkeiten bei der Arbeitszeit. Darin soll das Recht auf eine „selbstbestimmte Lage der Arbeitszeit im Rahmen der täglichen Höchstarbeitszeit“ ebenso enthalten sein wie das Recht auf mobiles Arbeiten, eine Pflicht zur Erfassung aller geleisteten Arbeit unabhängig von Ort und Tätigkeit sowie ein Recht zum Abschalten“. Doch nicht nur im Alltag solle es mehr Selbstbestimmung geben. Vielmehr sollten Beschäftigte auch ihre Arbeitszeit an Lebensphasen anpassen können – etwa für die berufliche Fortbildung, die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen. Hofmann plant eine große angelegte Arbeitszeitkampagne, die auf die „Rückgewinnung der gewerkschaftlichen und der persönlichen Souveränität im Umgang mit der Zeit“ zielt. Flexibilität dürfe keine Einbahnstraße mehr sein – und „Unflexibilität“ nicht länger ein Schimpfwort.

4. „Wir holen uns die Zeit zurück“ – zu Überstunden

Die 35-Stunden-Woche gilt als eine der großen Errungenschaften der IG Metall – doch nach zwei Jahrzehnten fällt Hofmanns Fazit eher ernüchternd aus. Die Arbeitszeitpolitik habe sich in vielen Betrieben „vielfältig und oft ungesteuert entwickelt – getrieben vor allem von den unternehmerischen Interessen, selten von den Bedürfnissen der Arbeitnehmer“. In vielen Firmen sei die „betriebliche Handlungshoheit über die Arbeitszeitpolitik verloren gegangen“. Geradezu skandalös sei es, dass in vielen Firmen Überstunden angehäuft würden, die schließlich verfielen, wenn sie überhaupt je erfasst worden seien. Mit dem Verfall von Arbeitszeiten müsse Schluss sein. „Die Zeit ist reif für einen Neustart.“

Überdies müsse Schluss mit der Praxis sein, dass „wachsende Arbeitsberge durch immer mehr und intensivere Arbeitsstunden bewältigt werden“. „Nimmt die Arbeit zu, muss Personal her.“

5. „Wir werden im Gehen lernen müssen“ – zu Digitalisierung

Der zunehmende Einsatz selbstständiger Roboter, sich selbst steuernder Maschinen und von Menschen, die von jedem Ort der Welt aus als Soloselbstständige Anlagen steuern und programmieren können, bereitet der Gewerkschaft erhebliche Sorgen. Doch anders als früher bei der Rationalisierung steht sie dem technischen Fortschritt nicht mehr mit einer Grundskepsis gegenüber. Denn sie sieht auch große Chancen für qualifizierte Beschäftigung. Doch Hofmann stellt auch bange Fragen, deren Antwort es noch nicht gebe: Führt die Digitalisierung wirklich zu Tätigkeiten mit höheren Qualifikationen – oder doch nur zu eingeengten, unqualifizierten Tätigkeiten, die der Menschen billiger als die Maschine ausführen kann? Und kontrolliert der Mensch die Maschine, oder ist es umgekehrt? Weil es keine Antworten gibt, müsse die Gewerkschaft „im Gehen lernen“ und die Entwicklung mitgestalten. Hofmanns Ziel: „Keiner darf unter die Räder kommen.“ Es gelte, nicht nur die Arbeitsplätze zu erhalten, sondern auch die Qualifikation und das Entgelt.

6. „Die Fahrzeughersteller triefen vor Bräsigkeit“ – zu Autokonzerne

Der VW-Skandal trifft auch die IG Metall. Sie hat laut Hofmann schon lange eine andere Führungskultur bei dem Konzern gefordert, die es erlaube, Widerspruch zu äußern und Probleme offen anzusprechen. Der Konzern hatte jahrelang Abgasmessungen manipuliert. Doch auch jenseits des VW-Skandals machten sich die Unternehmen bei den Verbrauchern unglaubwürdig, weil sie Werte über Verbrauch und Emission von Abgasen verwendeten, die unter irrealen Testbedingungen ermittelt wurden. Dies schade der Branche und den Beschäftigten. Ein Trauerspiel sei auch, dass bei der Elektromobilität die „Verantwortung zwischen Herstellern, Zulieferern und der Politik hin und her geschoben wird“. Dabei sei es zwingend, dass in Deutschland eine Industrie für die Herstellung der Batterie fürs E-Auto entstehe, wolle man die industrielle Wertschöpfung in Deutschland halten. Stattdessen werde „abgewartet und zugeguckt, wie sich diese Schlüsseltechnologie dynamisch in Fernost und den USA entwickelt“.

7. „Eure Arbeit ist so viel wert wie unsre Arbeit“ – zu Flüchtlinge

Forderungen von Arbeitgebern, angesichts der starken Zuwanderung von Flüchtlingen einen neuen Niedriglohnsektor zu schaffen oder den Mindestlohn für Flüchtlinge auszusetzen, erteilt Hofmann eine klare Absage. Man dürfe nicht „Arbeit von Menschen, die es eh schon schwerer haben, noch ein bisschen billiger am Markt anbieten“. Die neuen Kollegen müssten vielmehr nach Kräften unterstützt und weitergebildet werden – auch wenn das mit Zusatzkosten verbunden sei.