Fußball-Legende Diego Maradona: der Argentinier hat mit seiner Spielkunst ewigen Ruhm Foto: dpa

Kaum ein anderer Sport bewegt die Menschen so wie Fußball. Ausnahmespieler werden verehrt wie Götter. Ein Relikt aus alter Zeit oder Nebenwirkung der Leistungsgesellschaft?

Kaum ein anderer Sport bewegt die Menschen so wie Fußball. Ausnahmespieler werden verehrt wie Götter. Ein Relikt aus alter Zeit oder Nebenwirkung der Leistungsgesellschaft?

Stuttgart - Vedad Ibisevic verstand die Welt nicht mehr. Erst war er gefeierter Held, als er für den VfB Stuttgart ein Tor nach dem anderen schoss. Dann reichte ein unbedachter Moment, um ihn zum Buhmann zu machen: Im Februar 2014 schlug er dem Augsburger Jan-Ingwer Callsen-Bracker im Vorbeigehen ins Gesicht – und sah Rot dafür. Fünf Spiele Sperre verhängte das Sportgericht des DFB. Fünf Spiele, die Ibisevic dem VfB im Abstiegskampf fehlte. Für die Fans war er von da an ein rotes Tuch. Im Internet tobte ein Shitstorm. Auch nach seiner Rückkehr im März 2014 konnte er das schlechte Image nicht abschütteln.

Was Ibisevic erlebt hat, ist ein häufiges Phänomen im Fußball: Wird ein Star geboren, liegen Liebe und Hass nahe beieinander. Doch woher kommt das Phänomen des Star-Kults? Welche Funktionen erfüllt er? Und wann wird der Segen zum Fluch?

Stefan Krause, Professor für Sportpsychologie an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart, glaubt, dass der Kult um die Idole einen egoistischen Charakter hat. „ Es geht dabei um die Stabilisierung des Selbstwertgefühls bei den Fans“, sagt er. Eigentlich gehöre die Verehrung von Stars in die Pubertät, so der Forscher.

Wenn junge Menschen versuchen, sich von ihren Eltern abzugrenzen, sind sie auf der Suche nach Orientierung. Der Fan wertet sein Ich auf, indem er sich mit dem Helden identifiziert. Dabei steht nicht die Persönlichkeit des Stars im Vordergrund, sondern die Rolle, die der Fußballer verkörpert. Von der wahren Persönlichkeit des Sportlers wissen die Fans kaum etwas. Bleibt der sportliche Erfolg aus, ist er schnell vergessen oder wird zum Hassobjekt.

Der Philosoph Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin sieht in der Verehrung von Fußballgrößen ein Überbleibsel aus vormoderner Zeit. „Der Starkult speist sich aus magischen Kulten.“ Es geht im Kern immer um dieselbe Heldengeschichte. Ein junger Mann aus einfachen Verhältnissen entdeckt, dass er eine besondere Gabe hat. Er ist dadurch zu übermenschlichen Taten fähig und wird zum Anführer und Retter seiner Gemeinschaft.

Der Fußballstar als Wiedergeburt des Herkules oder gar als Messias? Der Soziologe Swen Körner von der Sporthochschule Köln sieht das anders. „Der Fußballstar ist eine typisch moderne Sozialfigur.“ Der Kicker hebt sich durch außergewöhnliche körperliche Leistungen von der Masse ab und wird dafür bewundert. Er reagiert damit auf die Ansprüche der Gesellschaft, die soziale Beachtung und Position von individueller Leistung abhängig macht. Ein Menschenbild, das erst in der Moderne entstanden ist. Aber es gibt auch Leute, die das weniger nüchtern sehen. Der Dortmund-Ultra und Journalist Jan-Henrik Gruszecki ist ein Verehrer Maradonas. Für ihn ist Starkult etwas Irrationales, Unerklärliches. Maradona, das ist für ihn so etwas wie die erste Liebe. „Was Maradona mit dem linken Fuß gemacht hat, wird nie wieder einem Menschen gelingen“, sagt er.

Darin steckt eine alte Erkenntnis über Fußballstars: Damit ein Kicker zum Helden wird, muss er die Naturgesetze außer Kraft setzen. Wie Robert Schlienz: Der VfB-Spieler hatte bei einem Unfall den linken Arm verloren. Niemand glaubte, dass er wieder spielen würde. Aber er spielte – und zog die ganze Mannschaft mit. Als Kapitän führte er die Schwaben in den Jahren 1950 und 1952 zur Meisterschaft.

Ähnlich war es bei Günther Schäfer. „Gün-ther-Schä-fer- Fuß-ball-Gott“, skandierten die VfB-Anhänger, nachdem der Verteidiger mit einem spektakulären Fallrückzieher 1992 ein Gegentor verhinderte und damit die Meisterschaft des VfB Stuttgart im letzten Spiel der Saison sicherte.

Es sind Heldentaten wie diese, die den Erfolg verewigen. Kommentatoren, Väter, Kollegen geben sie in Form von Erzählungen an die nächste Generation weiter. So entsteht ein Mythos.

Dazu gehören auch Bilder. Für den Soziologen Swen Körner entscheidet die Pose des Spielers darüber, ob er mit seiner Tat unsterblich wird. Wie beim italienischen Stürmer Mario Balotelli. Er ließ sich in Bodybuilder-Haltung ablichten, nachdem er im Halbfinale der EM 2012 mit zwei Toren für den Sieg über die deutsche Elf gesorgt hatte.

Für die deutschen Fans eine ungeheure Demütigung. Der Soziologe Körner vergleicht das mit den Statuen des Absolutismus, in denen sich barocke Herrscher als triumphierende Feldherren in Bronze oder Marmor verewigen ließen.

Weniger martialisch, aber genauso einprägsam ist das Bild von Günther Schäfers Rettungstat von 1992. Schäfer wälzte sich vor Schmerzen auf dem Boden, weil er ungebremst in das Metallgerüst des Tors geschlittert war. Beinahe wie ein Märtyrer, der in Heiligenbildern voll blutender Wunden dargestellt wird.

Ein Bild, das für immer im öffentlichen Bewusstsein bleibt. Nicht jeder ist damit glücklich. „Ich halte es für möglich, dass Zinédine Zidane mit seinem Kopfstoß gegen Marco Materazzi im Finale der Weltmeisterschaft 2006 seinem Image unterbewusst einen Kratzer zufügen wollte“, sagt Psychologe Stefan Krause. „Er wollte nicht als makelloser Heiliger in Erinnerung bleiben, weil er sich selbst nicht so sieht.“

Andere haben gelernt, ihr Image auch nach dem Ende ihrer Karriere weiterzuentwickeln – und genießen die Popularität. Günther Schäfer, der heute die Fußballschule des VfB leitet, liebt es, auf der Straße angesprochen zu werden. Er gilt als einer, der große Nähe zu den Fans pflegte, der vom Auswärtsspiel auch mal im Fan-Zug nach Hause fuhr, um mit seinen Anhängern zu feiern. Vielleicht ist es ihm deswegen gelungen, sein Bild vom aufopferungsvollen Helden zu etwas zu formen, das mit seiner Eigenwahrnehmung übereinstimmt.

Nähe zu den Fans ist ein wichtiges Korrektiv, findet auch der Psychologe Stefan Krause. „Fans können den Fußballer als normalen Menschen erleben, der auch Fehler macht“, sagt er.

Dass der Starkult aber auch eine Kehrseite hat, die gefährlicher ist als das ungewollte Image des Saubermanns, zeigt die Geschichte von Kevin Pezzoni beim 1. FC Köln. Der gebürtige Frankfurter spielte von 2008 bis 2012 in der ersten Mannschaft der Geißböcke. Noch bevor der Verein 2012 zum fünften Mal in die zweite Bundesliga abstieg, wurde Pezzoni zum Antihelden gewaltbereiter Fan-Gruppierungen. Ein paar Fehlpässe reichten dafür. Im Februar desselben Jahres schlug ihm ein maskierter Fan beim Karneval ohne Vorwarnung ins Gesicht – Nasenbeinbruch. Ende August 2012 verließ Pezzoni Köln, nachdem ihm Anhänger seines Clubs vor der Haustüre aufgelauert und mit Prügel gedroht hatten.

Für den Philosophen Gunter Gebauer sind solche Geschichten das pervertierte Ergebnis des Personenkults im Fußball. „Der Kult um die Spieler bringt archaische Dinge hervor, die in unserer modernen Gesellschaft keinen Platz mehr haben.“

Hass gegen Spieler, die nicht die erhoffte Leistung bringen oder zu einem anderen Verein wechseln, erklärt Gebauer durch die quasi-religiöse Struktur der Fangruppen. „Die Fans unterwerfen sich bestimmten Pflichten, zum Beispiel ihren Verein auch bei Auswärtsspielen zu unterstützen und auch in schlechten Zeiten zu ihm zu stehen. Dafür stellen sie Anforderungen an die Spieler, die nicht immer erfüllbar sind und mit der Realität des Fußball-Geschäfts nichts mehr zu tun haben.“

Wäre es dann nicht besser, es gäbe gar keine Stars im Fußball? Das bezweifelt der Philosoph Gebauer: „Wäre doch schrecklich langweilig.“