Andreas Hofer mit Mega-Schorle Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit einem halben Jahr ist der Schweizer Andreas Hofer Chef der Internationalen Bauausstellung Stadt-Region Stuttgart. Was er an seinem neuen Wohnort mag und wo der Städtebau in Deutschland Nachhilfe braucht, erklärt er beim zweiten Frühstück.

Stuttgart - Er sitzt schon da und raucht, obwohl die „Metzgerei“ noch gar nicht aufhat. Gefrühstückt hat er auch schon: um sechs eine Kanne Assamtee und aus der Schweiz importiertes Müsli in einer Spezialmixtur, die eine Freundin anfertigt. Von Natur aus sei er eigentlich kein Frühaufsteher, bekennt Andreas Hofer, aber seit er Anfang des Jahres Intendant der Internationalen Bauausstellung IBA StadtRegion Stuttgart geworden ist, braucht er die zwei ruhigen Stunden morgens ohne Telefon und ohne Hektik, bevor der Tag mit tausend Terminen über ihn hereinbricht. Er nutzt die Zeit dann zum Beispiel, um die „Republik“ zu lesen, ein von unabhängigen Schweizer Journalisten gegründetes Online-Magazin für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. „Unser Job ist, dass Sie ein vernünftiges Leben führen (mit Familie, Beruf, Hobby), während wir uns durch den Lärm der Welt arbeiten“, steht auf der Homepage des Magazins. Schön gesagt, die Muße für die durchschnittlich zwanzigseitigen Artikel muss man aber erstmal aufbringen.

Zum zweiten Frühstück um neun bestellt sich der IBA-Chef einen Espresso und ein Glas Mangoschorle, die hier in Eimergröße serviert wird. Um diese Zeit füllen sich die schmucklosen Biertische auf dem Pflaster vor der „Metzgerei“ mit Schülern aus den umliegenden Schulen und Leuten, die vom Einkaufen auf dem kleinen Wochenmarkt vor der Elisabethenkirche nebenan kommen. Der Krach nimmt auch zu: vorbeidonnernde Lkws, ein Straßenreinigungswagen, der mit Getöse am Rinnstein entlangkriecht, Autos, Gehupe von einem Motorroller . . . Ausgesucht hat sich Andreas Hofer diese laute Eckkneipe im Westen, die vom Vorgänger das Ladenschild und den Namen übernommen hat, weil er gleich um die Ecke wohnt. Außerdem mag er dieses urbane Treiben am Bismarckplatz, diese Mischung aus Geschäftigkeit und Müßiggang, diese „Mediterranisierung“ des öffentlichen Raumes, die er so ähnlich auch in Zürich beobachtet. Sogar die Frühstückskarten am Neckar und an der Limmat gleichen sich, findet er, „mit diesem ganzen Biofutter“.

Er muss einen Flohzirkus hüten – mit 179 Flöhen

Seit ungefähr einem halben Jahr ist der Schweizer Architekt und Planer nun in Stuttgart und Region unterwegs, um der IBA programmatisches Profil zu geben. Bis 2027, dem hundertsten Geburtstag der Weißenhofsiedlung, soll die Bauausstellung Zukunftsmodelle für das Leben, Wohnen und Arbeiten in der globalisierten, digitalisierten Welt von heute entwickeln. Hofer kann es noch knapper formulieren. „Das Thema lautet: Stadt bauen.“ Seit Ludwig Mies van der Rohe 1927 die Pioniere des Neuen Bauens zusammentrommelte, um in Stuttgart mit neuen Wohnformen und Bauweisen zu experimentieren, seien die Fragen zwar komplizierter geworden, „aber es ist schon verrückt, wie eine kleinere Wohnsiedlung am Stadtrand die Architekturgeschichte beeinflusst hat“. Respekt schwingt in dieser Feststellung mit – vor den Vätern der Moderne, aber auch vor der aktuellen Aufgabe. Denn anders als Mies und Co. haben die IBA-Macher es nun nicht nur mit der Stadt Stuttgart als Auftraggeber zu tun, sondern einem ganzen Flohzirkus beteiligter Gemeinden. Hofer grinst: „Einem Flohzirkus mit 179 Flöhen.“ So viele Städte und Dörfer im Umkreis von Stuttgart wollen mitmachen.

Und dann sind da natürlich die hohen Erwartungen an die IBA. Ihrem Leiter ist bewusst, dass er demnächst aus der Deckung kommen und konkrete Projekte benennen muss. Die paar Monate bis zum Jahresende gibt er sich aber noch für Sondierungsgespräche. Klar sei jedoch, dass die IBA kein Problemlöser für alles sein könne, was in Stadt und Land gerade unrund läuft. Weder sei sie zuständig für die Verkehrs- noch für die Bodenkalamitäten in Stuttgart.

Die Städte müssen dichter werden

Die „unselige Entwicklung“ auf dem Wohnungsmarkt erachtet er dagegen als Kernfrage, weil die gesellschaftliche Diversität durch den Preisirrsinn ernsthaft gefährdet sei. Anders ausgedrückt: Niedrigere und mittlere Einkommensgruppen werden verdrängt – was dem „Recht auf Stadt“, wie es der marxistische Soziologe Henri Lefebvre genannt hat, fundamental zuwiderläuft. Den Kommunismus will Hofer deshalb nicht gleich wieder einführen, ohne eine erhebliche Erhöhung des Anteils gemeinnütziger Wohnungen werde es aber nicht gehen, wenn auch nicht unbedingt auf hundert Prozent. Er überlegt kurz und schiebt dann nach: „Obwohl ich manchmal damit liebäugle.“ Zweitens, sagt er beim zweiten Espresso, gelte es die Dichte in den Städten signifikant zu erhöhen, wenn man sie nachhaltig machen wolle. In dieser Beziehung sei der Städtebau in Deutschland, „mit seiner panischen Angst, dass die Leute sich gegenseitig in die Kaffeetassen gucken könnten“, der Entwicklung eindeutig hinterher – „late modern“, sagt Hofer. Englische Wendungen flicht er gelegentlich gern ein.

Entwicklungspotenziale sieht der IBA-Direktor vor allem in den unspektakulären, peripheren Stadträumen. Dort kann die Bauausstellung seiner Meinung nach mehr bewirken als im „geistig und an Bürgerinitiativen reichen Stuttgart“, wo ohnehin bereits viel in Bewegung gekommen sei. Ausgeklammert werden solle die Stadt natürlich keineswegs. Fritz Kuhn wird trotzdem nicht entzückt sein. Denn des Oberbürgermeisters Lieblingsprojekt Rosensteinquartier etwa stünde dann nicht im Fokus der IBA. Ein objektives Hindernis ist dabei aber ohnehin die Stuttgart-21-Baustelle. Vielleicht tröstet es den Rathauschef, dass der geplante Stadtteil nördlich des Hauptbahnhofs indirekt von der IBA profitieren werde, im Sinne von „lessons learned“ – das hofft Hofer zumindest.

Zwei Fragen zum Schluss noch schnell an den helvetischen Neu-Stuttgarter, bevor er an die Arbeit muss (er schaut schon auf die Uhr): Was gefällt ihm an Stuttgart? „Diese unglaubliche Nähe von viel Grün und Topografie, die hohe Lebensqualität, die Freundlichkeit der Leute.“ Und was nicht? Andreas Hofer macht wieder eine seiner kurzen Nachdenkpausen und bläst zwischen den Lippen ein „pfffffff“ hervor: „Das Europaviertel“, sagt er dann. „Auf die Idee, ein Neubauquartier in dieser Lage mit einer Bank anzufangen und mit einer Shoppingmall aufzuhören, muss man erstmal kommen.“