„Im Jahr der Finsternis“ ist einige Wochen vor der Europawahl erschienen. Foto: Lukas Jenkner

Verlässlich greifen die Krimi-Autoren zurzeit den politischen Rechtsruck in Europa auf. I. L. Callis hat einen reinrassigen Anschlagsthriller vorgelegt, der am Ende ein bisschen zu sehr den mahnenden Zeigefinger hebt.

Stuttgart - Die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich, jüngst die ultrarechte Vox in Spanien – der Rechtsruck in Europa ist unübersehbar und Anlass zur Sorge. Was passieren könnte, wenn sich rechte Scharfmacher nicht nur politisch zusammenschließen, sondern auch noch genügend kriminelle Energie mitbringen, um Europa politisch in den Abgrund zu stürzen, darüber hat sich die Thrillerautorin I. L. Callis Gedanken gemacht. „Im Jahr der Finsternis“ ist soeben im Emons Verlag erschienen, wo Callis bereits mit „Das Alphabet der Schöpfung“ Lust auf mehr gemacht hat.

Im Mittelpunkt des Geschehens stehen der Berliner Anwalt Viktor Hellberg und seine Tochter Marie, die nach Wien reisen, um den Nachlass von Hellbergs Mutter zu regeln. Doch ehe er sich’s versieht, steckt der Anwalt mitten im Schlamassel: Seine Tochter verschwindet spurlos, dann melden sich Entführer und fordern Dokumente aus dem Besitz der verstorbenen Mutter. Das Problem: Hellberg hat keine Ahnung, wo diese Unterlagen sein könnten. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Ein Anschlag soll Europa in den Faschismus treiben

„Im Jahr der Finsternis“ zieht seinen Reiz daraus, dass I. L. Callis den Leser mit offenem Visier durch ihre Geschichte treibt. Parallel zu Hellbergs verzweifelter Suche schildert sie das Schicksal der brillanten politischen Analystin Sophie Wellendorff, die dem Rechtspopulisten Wingolf von Manhardt verfallen ist und mit militanten, französischen Rechtsradikalen anbandelt. Die planen einen Anschlag, der ähnlich wie 9/11 in den USA den Weg frei machen soll für ein quasifaschistisches Überwachungssystem in Europa. Der dritte Handlungsstrang handelt vom brasilianischen Berufskiller Cayetano Jose Maria Rossi, der für den Anschlag nach Europa geschickt wird.

All diese Stränge treibt I. L. Callis systematisch und routiniert voran, der Leser verfolgt mit Spannung, wie die Handlung auf die erwartbare Katastrophe hinsteuert. Oder doch nicht? Der eine oder andere Twist, der von Callis mehr als angedeutet wird, bringt ein bisschen Pfeffer ins Geschehen. Das ist unterhaltsam, ohne den Leser mit allzu verzwickten Wendungen zu überfordern.

Genügend Stoff für eine Verfilmung

Der hätte sich etwas mehr vom Schicksal der Hellbergs gewünscht, dessen tragische Tiefe leider allzu routiniert abgehandelt wird. Und dass die europäischen Demokratien gefährdeter sind, als sich es viele einbilden, das lesen wir genügend in den Politikteilen und Feuilletons der Zeitungen. Ein paar weniger mahnende Zeigefinger hätten der Geschichte sicher nicht geschadet.

Unterm Strich bleibt ein spannender Thriller, der einmal mehr beweist, dass sich die europäischen Hauptstädte mit ihren vielen Eigenheiten und ihrer historischen Tiefe bestens eignen als Kulissen für Kriminalgeschichten. Das wussten ja bereits die James-Bond-Macher und später die Verantwortlichen der Jason-Bourne-Filme. Auch „Im Jahr der Finsternis“ bietet genügend Stoff für eine Verfilmung. Wer weiß?

I. L. Callis: Im Jahr der Finsternis: Thriller. Emons Verlag Köln 2019. Gebunden mit Schutzumschlag, 448 Seiten, 22 Euro.