Diese neue Seidentuchkollektion in einem Stuttgarter Schaufenster hat panische Kommentare eines AfD-Politikers provoziert. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

„Hut ab!“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg zeigt, wie spannend und politisch Kopfputz ist.

Stuttgart - Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist keine Ausstellung über Mode. Es geht nicht um schicke Kreationen für den Catwalk oder die neuesten Hutmodelle der Queen. Für die Ausstellung „Hut ab! Pickelhaube, Pussyhat und andere Kopfgeschichten“ im Haus der Geschichte Baden-Württemberg wurden zwar mehr als zweihundert Kopfbedeckungen zusammengetragen – aber nicht wegen ihrer feinen Stöffchen und eleganten Dessins. Denn es ist knallhart politisch, wenn sich Frauen einen pinkfarbenen „Pussyhat“ aufziehen. Die rosa Mütze mit Katzenöhrchen wurde vor zwei Jahren zum Symbol der amerikanischen Women’s-March-Bewegung, die gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit protestiert. Der „Pussyhat“ spielt an auf Donald Trumps Äußerung, er könne Frauen nach Lust und Laune an die „Pussy“ greifen.

In Deutschland sind Hüte und Kopfbedeckungen zwar aus der Mode gekommen – verschwunden sind sie deshalb aber keineswegs. Sie gehören noch immer selbstverständlich zur Arbeit der Piloten und Stewardessen, der Bäcker und Schornsteinfeger. Coole Jungs markieren mit ihrer Baseballkappe, zu welchem Milieu sie gehören, und auch auf den Demonstrationen gegen das Bauprojekt Stuttgart 21 konnte man auf Köpfen allerhand kämpferische Eigenkreationen entdecken.

Für einen AfD-Stadtrat läuten Designer-Schals den Untergang des Abendlandes ein

Die Kopfbedeckung ist also ein Thema, an dem man „ganz viel ablesen kann“, sagt entsprechend Paula Lutum-Lenger, die Direktorin vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Sie und das Kuratorenteam wollten nicht die Kulturgeschichte des Huts nacherzählen, sondern sind auf überraschend viele hochaktuelle Aspekte gestoßen, welche zeigen, dass der Kopfputz noch immer provozieren kann. Deshalb sah der Stuttgarter AfD-Stadtrat Lothar Maier auch den Untergang des Abendlands gekommen, als das Kaufhaus Breuninger 2018 ein Schaufenster mit der neuen Seidenschal-Kollektion gestaltete. Dass die Schaufensterpuppen die Tücher auch um den Kopf gewickelt hatten, war für Maier ein klares Indiz für die „Islamisierung der Gesellschaft“. Die Frauen, twitterte er, sollten sich „schon mal ein Kopftuch beim Breuninger kaufen“.

Vielleicht hätte Lothar Maier etwas genauer hinschauen sollen – aber die vielschichtige und lebendig aufbereitete Ausstellung macht deutlich, dass Kopfbedeckungen heute zwar nicht mehr die Standeszugehörigkeit anzeigen, aber als politische oder religiöse Symbole reflexhaft Gegenwehr evozieren können. So erzählt die Ausstellung auch viel vom Hass, den etwa Kippa oder auch Kopftuch auslösen können – selbst wenn darunter kein „Kopftuchmädchen“ steckt, wie es die AfD-Politikerin Alice Weidel einmal abschätzig sagte. Aus Protest wickelte sich der Aalener Pfarrer Wolfgang Sedlmeier daraufhin für seine Pfingstpredigt einen Schal um den Kopf. Die Reaktionen waren zum Teil hasserfüllt. Er sei ein „politischer Pfaffe, der sich dem Linksfaschismus verschrieben“ habe, schrieb man ihm etwa in einem Brief, der in der Ausstellung zu lesen ist.

Die Ausstellung holt das Thema ins Hier und Jetzt

Die Kuratoren erzählen das Thema Hut nicht abstrakt und allein über die Objekte, sondern meist anhand von Menschen aus der Region und deren persönlichen Schicksalen. Hier entdeckt man die Hausmütze von Eduard Mörike, dort Friedrich Schillers ledernen Reisehut, mit dem er sich vor Stuttgart aus auf den Weg in die Freiheit macht. Dann wieder der von Kugeln durchbohrte Stahlhelm von Ernst Jünger. Er rettete dem Schriftsteller im Ersten Weltkrieg das Leben vor den „Stahlgewittern“, weshalb der Helm zeitlebens auf Jüngers Schreibtisch lag. Interessant ist auch das Interview mit einer jungen Nonne aus Offenburg, die erzählt, warum sie ins Kloster gegangen ist. Seit dem Eintritt in den Orden trägt sie zwar die Tracht mit Haube und Schleier, ihr „Frausein und Menschsein“ habe sie deshalb aber nicht abgelegt.

„Hut ab!“ ist nicht nur lehrreich, die Schau macht zum Beispiel bewusst, warum die Menschen früher mit Schlafmütze ins Bett gingen – weil die ungeheizten Schlafzimmer erbärmlich kalt waren. Vor allem versucht die Ausstellung jedoch, den Blick zu weiten und mögliche erhitzte Gemüter zu beruhigen. Denn sie erinnert daran, dass auch das Christentum über Jahrhunderte hinweg enorme Probleme mit weiblichen Haaren hatte, weshalb Frauen nur mit Kopfbedeckung beten durften. Bis heute ist bei Nonnen der Schleier ein Zeichen für Jungfräulichkeit und Demut. Hierzulande kamen Frauen auch über Jahrhunderte „unter die Haube“. Der gute alte Schwarzwälder Bollenhut unterscheidet zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen – rot für die Jungfern, schwarz für die anderen Frauen, die quasi vom Markt sind. Kopfbedeckungen haben eine so lange und vielschichtige Geschichte, dass aus der Distanz und im Kontext der Historie die Vehemenz mancher Debatte überrascht – wie über Fereshta Ludin. Das Land Baden-Württemberg übernahm sie nach ihrem Referendariat nicht in den Schuldienst, weil sie das Kopftuch im Unterricht nicht ablegen wollte. Es ging nicht um ihre Religion, sondern um ein Symbol. Wie willkürlich die Verurteilung gerade des Kopftuchs mitunter ist, zeigt auch das Beispiel einer Stuttgarter Chemikerin. Sie ersetzte ihren Schleier eines Tages durch eine fröhliche Mütze – und erntete dafür begeisterte Zustimmung. Alle Ablehnung verpuffte mit einem Mal, obwohl sie weiterhin das tat, was zuvor provoziert hatte: Sie hat ihr Haar aus religiösen Gründen verdeckt.

Die fröhliche Mütze bekommt Applaus