Rocky schnuppert am Erfolg: Wer eine Person aufgespürt, hat eine Belohnung verdient. Foto: factum/Weise

Personensuche als Freizeitsport, der die Hund-Halter-Bindung stärkt und die Vierbeiner auslastet: Unterwegs mit Hobby-Mantrailern in Ludwigsburg.

Ludwigsburg - Rocky hat es eilig. Im Zickzack rast der wuchtige, braun-weiß gescheckte American-Bulldog-Rüde die Straße entlang. Seine Besitzerin Daniela Rapp muss Vollgas geben, um mitzukommen. Dann macht Rocky einen spontanen Schwenk zur Seite, hinter eine Litfaßsäule, und springt an einer schmalen Frau hoch. Die wusste immerhin, was auf sie zukommt: Birgit Reichert hatte sich absichtlich dort verborgen. Rocky sollte sie finden – und ist erfolgreich gewesen. Klar, dass jetzt ein Leckerli für ihn fällig ist.

Die Handvoll Menschen in Leuchtwesten, die wirkt, als spiele sie mit ihren Hunden zwischen den Gewerbeschluchten der Grönerstraße eine Art Verstecken, dessen Choreografie geheimen Regeln folgt, zieht die Blicke auf sich. Nicht jedem Passanten ist die Gruppe geheuer, und mancher Hund wirkt nicht gerade wie ein Schmusetier. Aber der Schein trügt. Die Hunde sind freundliche Seelen – und in wichtiger Mission unterwegs. Sie arbeiten daran, gute Personenspürhunde zu werden – im Fachjargon Mantrailer.

Schuppen-Schnuppern auf dem Weg zum Erfolg

Die eigentlich für die Vermisstensuche, Rettungs- oder Polizeiarbeit eingesetzte Aufspürmethode gewinnt auch als Freizeitbeschäftigung an Bedeutung. „Es ist eine sinnvolle und artgerechte Möglichkeit, einen Hund zu beschäftigen“, sagt die Verhaltenshundetrainerin Conchita Garcia aus Bietigheim-Bissingen. Sie ist Überzeugungstäterin: Ihren Beruf als OP-Fachkrankenschwester hängte sie an den Nagel, ließ sich zur behördlich geprüften Ausbilderin nach Paragraf 11 des Tierschutzgesetzes schulen und sattelte die Fachweiterbildung als Mantrailing-Instructor drauf. Eine Weile war sie auch im Rettungsdienst tätig, fand das als junge Mutter aber zu stressig.

Mantrailing macht sich den herausragenden Geruchssinn von Hunden zunutze. Aus einer Unmenge von Gerüchen können sie den individuellen Duft einer einzelnen Person herausfiltern. Eine phänomenale Gabe, wie Garcia findet. „Parfum, Schweiß, Knoblauch: Unser Individualgeruch ist nicht immer eine appetitliche Mischung“, sagt die Trainerin lachend. „Wenn wir unterwegs sind, hinterlassen wir Unmengen von Hautschuppen.“ Anhand dieser Schuppen könne ein Hund die gesuchte Person finden. „Das Riechen müssen wir mit den Hunden nicht üben, das können sie millionenmal besser als wir. Wir üben das Verfolgen.“ Am liebsten tun die Mantrailer das in Industriegebieten. Dort lockt so viel geruchliche, optische und akustische Ablenkung, dass die Personensuche eine doppelte Herausforderung ist: Sie erfordert höchste Konzentration. Der aparten Hündin auf der anderen Straßenseite hinterherträumen oder kurz an einer spannenden Markierung schnuppern: Solche Interessen müssen beim Trail zurückstehen.

Das richtige Arbeitsgeschirr gehört dazu

Außer Daniela Rapp und Rocky sind an diesem frostigen Tag Sarah Busch mit Cara, einem Cane Corso, Hannah Klumpp mit der Labrador-Hündin Emma, Birgit Reichert mit Schäfer-Mischling Maja und Nils Weber mit dem Richback-Labrador-Mischling Newton am Start. Conchita Garcia hat ihren Vizsla-Mischling Macho dabei. Alle eint, dass ihre Vierbeiner Jagd- oder Hüterassen entstammen und ordentlich Bewegung und Beschäftigung brauchen. „Wenn solche Hunde nicht ausgelastet sind, kommen sie auf dumme Gedanken“, sagt Garcia. Das könne etwa üble Folgen für die Wohnungseinrichtung haben. Die Trainerin betont aber, dass sich im Prinzip jede Rasse für das Mantrailing eigne. Nur zu alt sollte der Hund nicht sein.

Macho zeigt, was er drauf hat

Rocky sitzt nach seinem Erfolgserlebnis im Auto und speichert seine Erfahrungen ab. Jetzt ist Maja an der Reihe. Die Abläufe sind ritualisiert: Einer aus der Gruppe versteckt sich. Die Hunde bekommen ein Mantrailing-Arbeitsgeschirr mit langer Leine angelegt, beschnuppern einen persönlichen Gegenstand des Gesuchten, umkreisen mit ihren Besitzern dieses am Boden liegende Objekt – dann rennen Hund und Frauchen und Herrchen los, immer dem Duft nach, meist im Zickzack. „Die Hautpartikel werden ja verweht und verwirbelt“, erläutert Garcia.

Belohnung und Zuspruch sind das A und O

Ist die gesuchte Person gefunden, gibt’s lautstarkes Lob und eine Belohnung. Das kann ein Spielzeug sein oder auch etwas zu fressen, je nach Gusto des Spürnasen-Detektivs, der das Angebot vorher sichten durfte: Was ihn am stärksten anzog, bekommt er nach der Übung. Überhaupt ist Motivation die Basis von Garcias Arbeit.

Jeder Hund absolviert bei einer Trainingseinheit drei sogenannte Trails, bei denen sich die Schwierigkeitsgrade steigern. Profis wie Macho brauchen nicht einmal ein Kleidungsstück zu beschnuppern. Er findet den versteckten Nils Weber sogar, nachdem er die Nase an einen Autositz gehoben hat, auf dem der Gesuchte zuvor kurz Platz genommen hatte – wohlgemerkt war es nicht Webers eigener Wagen.

Dass die Hunde nach den relativ kurzen Distanzen groggy sind, mag Laien überraschen. Doch die Tiere verausgaben sich bei der hohen Konzentrationsleistung enorm. „Eine Viertelstunde Mantrailing ist für Maja wie zwei Stunden neben dem Fahrrad herlaufen“, sagt Birgit Reichert, die sich gerade zum Mantrailing-Instructor fortbildet. Auch dem hibbeligen Newton – seine überforderten Vorbesitzer wollten ihn einschläfern lassen – tue der Schnüffelsport gut, erzählt Nils Weber. Zudem bauten Bestätigung und Lob der Gruppe Newton auf, berichtet der Landschaftsgärtner, der sich des Mischlings erbarmte. Der American Bulldog Rocky will nach dem Training nur noch eines: eine satte Portion Schlaf.

Sport für Hund und Halter

Mantrailing
Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern man (Mensch) und trail (verfolgen) zusammen. Im Gegensatz zur Fährtenarbeit, die sich auf beim Gehen entstehende Bodenspuren stützt, suchen Mantrailer die Duftmoleküle der Zielperson. Die Duftspur ist begrenzt haltbar – gesichert geht man von 36 Stunden aus – und hängt zum Beispiel von Witterungs- und Umwelteinflüssen ab.

Freizeitsport
Mantrailing als Freizeitbeschäftigung fördert die Bindung zwischen Tier und Halter, lastet den Hund aus und schult seine geistigen und instinktiven Leistungsmöglichkeiten.